Anfang Dezember 2024 schrillten bei Gesundheitsexperten in aller Welt die Alarmglocken: In einer abgelegenen Provinz im Westen der Demokratischen Republik Kongo waren innerhalb kurzer Zeit Dutzende Menschen, vor allem Kinder, an einer bis dato unbekannten Krankheit gestorben. Vorher hatten sie über Fieber, Kopfschmerzen, Husten und Atemnot geklagt. Während Ärzte sich in die abgelegenen Dörfer begaben, um Proben zu nehmen und in ein weit entferntes Labor zu schicken, sprachen das Africa CDC und viele Medien von der „Krankheit X“ – also einer Krankheit, die durch einen neuen oder bisher unbekannten Erreger ausgelöst wird und sich durch schnelle Übertragung zur Epidemie auswirken kann. Erst nach mehreren Wochen war klar: Es ist keine neue Krankheit, sondern eine schwere Form von Malaria.
Doch dass die Krankheit X ausbrechen wird, ist „keine Frage des Ob, nur des Wann“, sagte der Direktor der Weltgesundheitsorganisation WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus, bei der Diskussion „Preparing for disease X“ des World Economic Forum im Januar 2024 . Die wichtigste Frage ist dann, wie wir Menschen, die Politik und unsere Gesundheitssysteme darauf vorbereitet sind. Erkenntnisse aus dem Umgang mit der Corona-Pandemie sollen dabei helfen.
Die begann vor fünf Jahren, für beendet erklärt wurde sie erst 2023. In den drei Jahren starben laut WHO weltweit rund sieben Millionen Menschen an Covid. Zudem hatten Lockdowns und Schulschließungen, mit denen die Verbreitung des Virus gestoppt werden sollte, enorme wirtschaftliche und soziale Folgen – vor allem in Ländern des globalen Südens, in denen die Gesundheitssysteme nicht so gut ausgebaut sind und die meisten Menschen im informellen Sektor arbeiten.
Covax-Initiative: Reiche Länder horteten Impfstoffe
Die indische Ärztin Soumya Swaminathan war im März 2019 zur WHO-Chefwissenschaftlerin berufen worden und saß in Genf, als Ende 2019 die ersten Fälle einer mysteriösen Atemwegserkrankung registriert wurden. „Alles war unbekannt“, erinnert sie sich. „Unser Ziel war es, so schnell wie möglich so viel wie möglich zu erfahren. Wir haben Expertengruppen gebildet, Wissenschaftler und Daten aus der ganzen Welt angefragt.“ Relativ schnell seien dann Profile von Impfstoffen erstellt und Medikamente entwickelt worden. „Als dann die Impfstoffe fertig waren, mussten wir sie testen, auf Nebenwirkungen prüfen und Notfallzulassungen erstellen.“
Stolz ist sie darauf, die Covax-Initiative zur fairen Verteilung von Impfstoffen mitangeschoben und koordiniert zu haben. Die wurde im April 2020 von der WHO, der Impfstoffallianz Gavi und der Coalition for Epidemic Preparedness (CEPI) gegründet. „Wir mussten mit reichen Ländern, mit Unternehmen und mit armen Ländern zusammenarbeiten, die keinen Zugang zu Impfstoffen hatten.“ Rückblickend sagt die Ärztin, dass Covax erfolgreicher gewesen wäre, wenn reiche Länder die Impfstoffe nicht gehortet, sondern sie ärmeren Ländern zur Verfügung gestellt hätten.
Auch um das in Zukunft zu verhindern und diese Ungleichheit zu verringern, hat die WHO Anfang 2021 das mRNA Technology Transfer Programme gestartet. „Das Programm ist kollaborativ, es basiert auf Open Source und Open Data“, sagt Swaminathan. Es gehe darum, sich international zu vernetzen und Wissen so weiterzugeben, dass es der öffentlichen Gesundheit und nicht privaten Profiten zugutekommt. „Ich bin sehr stolz darauf. Denn alle außerhalb der WHO waren gegen das Programm und dachten, es würde ein Misserfolg. Vier Jahre später denke ich, dass dieses Netzwerk sehr stark und gut ist.“ Sechzehn Länder arbeiteten darin zusammen, und es seien schon diverse Impfstoffe in der Entwicklung.
Indien: Wie bereitet sich die Regierung auf eine neue Pandemie vor?
Inzwischen ist Soumya Swaminathan wieder in Chennai. Dort hat sie im Auftrag der Regierung an einem Papier mitgearbeitet, das die Corona-Maßnahmen in Indien bewertet und fragt, ob der Gesundheitssektor für eine neue Pandemie gerüstet ist. „Während der Corona-Pandemie waren die schnelle Produktion der indischen Impfstoffe, deren Verteilung und die Impfung der Bevölkerung sehr gut.“ Auch den Einsatz von digitalen Technologien, etwa Apps zur Speicherung von Impfzertifikaten, lobt Swaminathan und dass „wir schnell Labore für Genomtests und die Entwicklung von Diagnostika eingerichtet haben“.
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Nicht gut gelaufen sei hingegen die Corona-Bekämpfung während der verheerenden Deltawelle in 2021. Hier habe es vielerorts nicht genügend Sauerstoff, Personal und Betten gegeben. „Das hat zu unnötigen Todesfällen geführt.“ Insgesamt hat Indien mehr als 530.000 Tote durch Covid zu beklagen. Südliche Bundesstaaten wie Kerala haben laut Swaminathan ein besseres Gesundheitssystem als nördliche und seien darum in der Deltawelle besser aufgestellt gewesen. Außerdem hätten nicht alle Ärzte und Kliniken die Richtlinien der Regierung befolgt: „Gerade im privaten Bereich haben Ärzte und Kliniken die Patienten ausgenutzt, um Geld zu machen, etwa durch unnötige Medikamente oder Untersuchungen“, kritisiert sie.
Auch deshalb empfehlen Swaminathan und die anderen Autoren des Berichts „Future Pandemic Preparedness and Emergency Responses“ ein neues Gesetz zu Gesundheitsnotfällen, einen Public Health Emergency Act. Es soll eindeutige Zuständigkeiten festlegen und die Systeme zur Überwachung von Gesundheitsdaten sowie deren Austausch verbessern. Die Ärztin hält die Stärkung von Forschung und Entwicklung sowie mehr internationale und öffentlich-private Partnerschaften für essenziell, um Impfstoffprototypen zu entwickeln und mögliche Pandemieauslöser zu identifizieren.
Und was sagt die Regierung dazu? „Ich habe das Gefühl, dass sie das Thema sehr ernst nimmt und in Zukunft besser vorbereitet sein will.“ Andere Maßnahmen wie die Schulschließungen würden leider nicht kritisch betrachtet. Viele sowieso schon mangel- oder unterernährte Kinder hatten wegen der Lockdowns das wichtige Mittagessen nicht bekommen, was ihre Gesundheit und den weiteren Lebensweg beeinträchtigen werde, warnt sie.
Sri Lanka: Die Lockdowns waren oft unwirksam
In Sri Lanka, aber auch in China werde öffentlich nicht auf die Pandemie zurückgeblickt, sagt Ravi Rannan-Eliya, Direktor des Instituts für Gesundheitspolitik in Sri Lanka. Er war erst vor kurzem in China, um sich mit anderen Experten darüber auszutauschen. Er hat eine klare Meinung über die Lockdowns: „Sie waren oft unwirksam, vor allem, wenn sie über einen längeren Zeitraum und ohne systematische Tests und Isolierung durchgeführt wurden.“ Er lobt hingegen die Null-Covid-Strategie Australiens, Neuseelands und mehrerer anderer ostasiatischer Länder. 2020 sei er in Colombo gewesen, 2021 in Sydney: „Die meiste Zeit gab es dort keine Lockdowns, ich musste in der Öffentlichkeit keine Maske tragen und in Sydney blieben die Schulen geöffnet.“
Sollte in Zukunft eine neue Pandemie ausbrechen, sei die Welt auf China angewiesen. Eine engere Zusammenarbeit zwischen westlichen Ländern und China sei eigentlich essenziell, die würde aber durch unterschiedliche Interessen und fehlendes Vertrauen verhindert. Dennoch: „China verfügt über den größten Teil der weltweiten Produktionskapazitäten und ist besser in der Lage, die Produktion neuer Testkits schnell hochzufahren. Diese Kapazitäten werden wir brauchen.“
Uganda: Frauen und Mädchen als Hauptleidtragende
In Uganda haben vor allem Mädchen und Frauen unter Lockdowns und Schulschließungen gelitten, erklärt der Politikanalyst Reagan Wamajji. „Wir hatten schon vor Covid ein großes Problem mit Teenagerschwangerschaften, aber dadurch wurde es noch schlimmer. Unsere Schulen waren am längsten in der ganzen Welt geschlossen, 18 Monate. Die Mädchen waren daher lange zu Hause und oft in der Nähe von Leuten, die sie wahrscheinlich missbrauchen würden“, sagt er. In einem Bericht, den er im März 2021 dem ugandischen Parlament vorgelegt hat, hatte er vor den Risiken für Frauen und Mädchen gewarnt. Außerdem werde durch die Lockdowns der Zugang zu wichtigen Medikamenten, Verhütungsmitteln und Gesundheitsleistungen eingeschränkt.
Wamajji forderte das Parlament unter anderem auf, Frauen und Mädchen weiter den Zugang zu Gesundheitsservices zu ermöglichen und Beratungs- und Schutzstellen für Opfer von sexueller Gewalt geöffnet zu lassen.
Leider wurde während der Pandemie keine dieser Empfehlungen umgesetzt“, sagt er frustriert. In den Dorfgemeinschaften seien keine Vorkehrungen getroffen worden, um Mädchen und Frauen vor Übergriffen zu schützen. Über Lockdowns habe es keine Debatte im Parlament gegeben. „Der Präsident und seine Berater haben die Maßnahmen einfach angekündigt, oft von einem Tag auf den anderen.“ Sie seien halbherzig und nicht durchdacht gewesen. Auch im Gesundheitswesen sei alles nur noch auf das Coronavirus fokussiert gewesen – mit verheerenden Folgen: „Es sind mehr Leute infolge der Maßnahmen zur Eindämmung gestorben als an Covid selbst – vor allem an Krankheiten wie HIV und Tuberkulose, weil sie ihre Medikamente und Behandlungen nicht bekamen. Auch schwangere Frauen sind gestorben, weil sie keinen Zugang mehr zu Gesundheitsvorsorge hatten.“
Erst als Statistiken die Zunahme von Teenagerschwangerschaften in vielen Distrikten belegten, hätten sich einige Politiker damit beschäftigt. Vorher habe Präsident Yoweri Museveni immer gesagt: „Wenn Kinder schwanger werden, ist das okay. Hauptsache, sie leben.“ Zwar gebe es jetzt Versuche, die Teenagermütter und Frauen zu unterstützen, aber die kämen eher vom UN-Bevölkerungsfonds als von der Regierung. „Meiner Meinung nach hat sie versagt“, meint Wamajji. Es gebe auch keine öffentliche Debatte über Lehren aus der Pandemiebekämpfung. „Die gibt es nur in privaten Haushalten, wo viele Menschen einen Schaden davongetragen haben, ob wirtschaftlich, sozial, mental oder physisch.“
Brasilien: „Die Bolsonaro-Regierung hat versagt“
Versagen wirft auch Nísia Trindade Lima, seit 2023 Gesundheitsministerin in der Regierung Lula in Brasilien, der früheren brasilianischen Regierung unter Jair Bolsonaro vor. Tatsächlich steht Brasilien mit mehr als 700.000 Toten auf dem unrühmlichen Platz 2 nach den USA (1,2 Millionen). Während der Pandemie war Nísia Lima Präsidentin der lateinamerikanischen Gesundheitsinstitution Fiocruz und arbeitete eng mit der WHO und dem Impfstoffhersteller AstraZeneca zusammen.
Um auf künftige Pandemien vorbereitet zu sein, sei es „essenziell, dass wir in Technologie und Innovation investieren und die Ungleichheit zwischen den Ländern reduzieren, vor allem in Bezug auf die Entwicklung und Produktion von Medikamenten, Impfungen und diagnostischen Tests“, sagte sie bei der Diskussion „Preparing for disease X“ des World Economic Forum im Januar 2024. Ebenso wichtig seien starke Partnerschaften zwischen Wissenschaft, Produktion und Entscheidungsträgern. Eine nationale Strategie in Brasilien, die während der Pandemie gut funktioniert habe und die man ausweiten wolle, sei der sogenannte HEIC-Ansatz (Health-Economic-Industrial Complex). Gemeint sind damit Partnerschaften zwischen Staat und Privatwirtschaft, die die lokale Produktion von Tests, Medikamenten und Impfungen gesteigert hätten.
Auch wenn in vielen Ländern öffentlich kaum noch über Corona gesprochen wird: Die WHO sowie nationale Gesundheitsinstitute versuchen, sich, so gut es eben geht, auf die nächste Pandemie vorzubereiten. Die WHO hat bereits rund 30 Virus- und Bakterienfamilien identifiziert, die das Potenzial für Epidemien oder Pandemien haben könnten und daher weiter erforscht und beobachtet werden müssen. Es gebe inzwischen einen Pandemiefonds und diverse andere Initiativen und Partnerschaften, so der WHO-Direktor. Am wichtigsten sei aber, die nationalen Gesundheitssysteme zu stärken und ein internationales Pandemieabkommen zu schließen. Das kann jedoch nur gelingen, wenn die Politik das Thema priorisiert – danach sieht es derzeit aber nicht aus. Vor allem nicht nach dem von Präsident Trump angekündigten Austritt aus der WHO (siehe Kommentar).
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