Neue „Tage des Zorns“ in Ägypten

Menschenrechtler werfen Präsident Mursi schwere Verstöße vor
Menschenrechtler werfen Präsident Mursi schwere Verstöße vor

(1.2.2013) Im Dezember 2010 begann der arabische Frühling: In Tunesien protestierte der Gemüsehändler Mohamed Bouazizi mit seiner Selbstverbrennung gegen Polizeiwillkür und Demütigungen. Innerhalb weniger Wochen kam es zu landesweiten Aufständen, die auf viele Länder Nordafrikas und des Nahen Ostens übergriffen: In Ägypten und Tunesien wurden die Herrscher aus dem Amt gejagt. Libyen verfiel in einen Bürgerkrieg, in den die Nato eingriff. Und der Krieg in Syrien dauert noch immer an.

Zum zweiten Jahrestag der Revolution beherrscht nun neben Syrien auch Ägypten wieder die Schlagzeilen. Denn dort lässt der ersehnte Wandel auf sich warten. Mit der Wirtschaft geht es bergab, die Arbeitslosigkeit grassiert, die Währung kollabiert, die Staatsschulden explodieren. Das islamistische und das liberale Lager stehen sich nach der von den Muslimbrüdern durchgesetzten Verfassung immer unversöhnlicher gegenüber. Die Bilder auf dem Tahrir-Platz in Kairo ähneln jenen aus den „Tagen des Zorns“ vor zwei Jahren. Präsident Mohammed Mursi verhängte nun den Ausnahmezustand über mehrere Städte und lässt Polizei und Armee „mit exzessiver und unverhältnismäßiger Gewalt gegen Demonstranten“ vorgehen, sagt Ruth Jüttner, Ägypten-Expertin bei der Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI).  Die Menschenrechtslage habe sich nicht grundlegend verbessert: Seit dem Sturz von Mubarak seien mehr als 130 Menschen bei Protesten getötet, Tausende teils schwer verletzt worden. „Während die Opfer und Angehörigen der Getöteten und Verletzten noch immer auf Gerechtigkeit warten, stehen Polizei und Militär über dem Gesetz“, kritisiert Jüttner.

Human Rights Watch sieht „Ernüchterung“ nach dem arabischen Frühling 

In einem aktuellen Bericht führt AI zudem auf, wie „Ermittlungen und Strafprozesse gegen diejenigen, die für Todesfälle und Menschenrechtsverletzungen während der Demonstrationen Anfang 2011 verantwortlich sind, verschlampt und verschleppt wurden“. Darin kommt AI zu dem Fazit: 840 Menschen seien während der Proteste gegen Mubarak getötet worden, jedoch sei bisher kein einziger ranghoher Offizier oder Sicherheitsbeamter für die Tötung oder Verletzung von Demonstranten verurteilt oder bestraft worden.

„Die Ungewissheit der Freiheit ist kein Grund, zur erzwungenen Vorhersehbarkeit einer autoritären Herrschaft zurückzukehren“, sagt Kenneth Roth, Direktor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW). „Der Weg in Richtung Demokratie mag steinig erscheinen. Die Alternative ist jedoch, ganze Länder einer düsteren Zukunft in Unterdrückung zu überlassen.“ In ihrem aktuellen World Report schreibt HRW, die Euphorie des arabischen Frühlings sei „der ernüchternden Herausforderung gewichen, rechtsstaatliche Demokratien aufzubauen“. Besonders die Kontoverse über die neue ägyptische Verfassung, „der wohl einflussreichsten Verfassung unter den im Wandel begriffenen Ländern der Region“, zeige, wie schwierig sich der Schutz der Menschenrechte darstelle. (osk)

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