Erst Schüsse auf Demonstranten, dann Granaten auf Stadtviertel, nun Guerillakämpfe und Massaker: Das Regime von Baschar al-Assad hat Syrien in den Bürgerkrieg geführt. Die schrecklichen Bilder lassen Rufe nach einer Militärintervention lauter werden. Doch die ist unwahrscheinlich, weil die USA und ihre Verbündeten sie mit guten Gründen scheuen. Es wäre auch genau die falsche Lehre aus der Eskalation in Syrien. Statt über Militäreingriffe sollte man darüber nachdenken, wie man wirksam politisch einwirken kann. Auch im Fall Syrien hat die Diplomatie versagt.
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Die Triebkräfte des Bürgerkriegs liegen in Syrien selbst. Als Assad im März 2011 auf eine Demonstration schießen ließ, löste das eine Bewegung für politische Reformen aus. Monatelang bekämpfte das Regime brutal die gewaltlosen Proteste, bis sich lokale bewaffnete Widerstandsgruppen bildeten und dann eine Rebellen-Armee, die jetzt Teile des Landes kontrolliert. Der Staat stützt sich vorwiegend auf Angehörige der Alawiten, einer Abspaltung der schiitischen Richtung des Islam, während drei Viertel der Bevölkerung Sunniten sind. Da Assad nicht sicher ist, dass alle Teile der Armee loyal sind, greift er auf Elitetruppen und, seit die überfordert sind, auf Milizen zurück. Die drohen sich seiner Kontrolle zu entziehen, während sunnitische Kämpfer aus Nachbarländern einsickern. Auch dem Protest fehlt eine einheitliche Führung. Das alles erschwert eine Einhegung der Gewalt.
Der stetigen Eskalation sah der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) lange tatenlos zu: Die Vetomächte Russland und China verhinderten eine scharfe Verurteilung der syrischen Regierung oder gar Sanktionen. Russland, das eine Marinebasis in Syrien hat und das Erstarken islamistischer Bewegungen an seiner Südgrenze fürchtet, lieferte nach Beginn des Aufstands noch Waffen an Damaskus. Die starre Haltung beider Vetomächte haben die USA und ihre Nato-Verbündeten allerdings fahrlässig mit verursacht: Gegen China betreiben die USA eine Eindämmungspolitik in Asien, die Peking als Versuch deutet, es vom Zugang zum Öl im Nahen Osten abzuschneiden. Russland sieht seine Rolle als Großmacht von der Nato missachtet. Und beide fürchten, der Westen wolle in Syrien ein weiteres missliebiges Regime stürzen – zumal die US-Regierung seit August 2011 offen sagt, Assad müsse gehen. Nun rächt sich, dass die Nato im vergangenen Jahr das UN-Mandat zu Libyen missbraucht hat, um auf den Sturz Gaddafis hinzuarbeiten.
In Syrien kann nur eine Lösung greifen, die von Russland unterstützt und von China und dem Iran geduldet wird
So musste der UN-Sicherheitsrat der arabischen Liga die Initiative überlassen. Doch auch deren 21 Mitgliedstaaten aus dem Nahen Osten und Nordafrika sind nicht einig – Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten, unterschiedliche Haltungen zu den USA sowie die Konkurrenz Saudi-Arabiens und des Iran (der Syrien unterstützt und nicht zur Liga gehört) um die Vormacht am Golf spielen da eine Rolle. Die Arabische Liga brachte Assad dazu, eine Beobachter-Mission in Syrien zu akzeptieren, konnte sich aber nach deren Scheitern im Januar nicht zu den angedrohten Sanktionen durchringen.
Immerhin machten sie und die UN im März Kofi Annan zum gemeinsamen Sonderbotschafter für Syrien. Er legte einen Sechs-Punkte Plan vor, der unter anderem einen Waffenstillstand und die Freilassung politischer Gefangener vorsieht. Damit dieser bisher realistischste Lösungsansatz jetzt noch funktioniert, müssten alle auswärtigen Mächte alle syrischen Parteien darauf verpflichten. In der Praxis geschieht das Gegenteil: Saudi-Arabien bewaffnet mit Rückendeckung Großbritanniens und der USA Rebellen, während Mitglieder der iranischen Revolutionsgarden Assads Schergen helfen und Russland wohl weiter Waffen liefert. Das ermuntert die Gegner einer Verhandlungslösung. Syrien ist zum Spielfeld geostrategischer und regionaler Rivalitäten geworden.
Im Westen kann man daraus lernen, wie unklug es auch für den mächtigsten Staat ist, auf eine Politik der Stärke und Eindämmung zu setzen. In Syrien kann nur eine Lösung greifen, die von Russland unterstützt und von China und dem Iran geduldet wird. Kofi Annan hat das verstanden – und vielleicht auch endlich Barack Obama: Am Rande des G20-Gipfels in Los Cabos im Juni hat er mit Wladimir Putin die Verständigung über Syrien gesucht und die Forderung, Assad müsse abtreten, nicht wiederholt. Wenn beide Seiten ihren jeweiligen Verbündeten Zügel anlegen, hat Annans Ansatz vielleicht noch eine Chance. Auch dann müsste Assad am Ende sicher abtreten, aber nach weniger Toten und ohne dass ein Kampf unter den Konfessionsgruppen entbrennt. Wenn der die Nachbarländer erfasst, wäre das für alle Beteiligten der schlechteste Ausgang – ein wahres Debakel der Diplomatie.
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