Einen „Masterplan für die nächsten vier Jahre“ nennt die entwicklungspolitische Sprecherin der Grünen, Ute Koczy, das Papier, das sie gemeinsam mit den Kollegen Thilo Hoppe und Uwe Kekeritz vorgelegt hat. „Es geht ums Ganze“, heißt es gleich eingangs darin: um nicht weniger nämlich als eine „Vision von globaler Gerechtigkeit“. Solle die erforderliche weltweite Transformation zu einer „menschenrechtsbasierten und nachhaltigen Entwicklung“ gelingen, sei eine neu aufgestellte Entwicklungspolitik dringend geboten. „Entwicklungsminister Niebels Bilateralismus“, so Uwe Kekeritz, „gehört auf den Müllhaufen der Geschichte.“
Tatsächlich hat das Entwicklungsministerium in der laufenden Regierungsperiode multilaterale Politik über Organisationen wie die Vereinten Nationen, die Europäische Union oder die Weltbank zugunsten einer direkten, bilateralen Entwicklungszusammenarbeit mit den Partnerländern Deutschlands zurückgenommen – und dies, so Hoppe, bei „massiver Verquickung mit deutscher Außenwirtschaftsförderung“. Das diene nicht dem anstrebten Ziel einer weltweiten sozial-ökologischen Transformation. Verbindliche Umwelt-, Sozial- und Menschenrechtsstandards, heißt es in dem Papier, seien ebenso unerlässlich wie die Formulierung globaler Nachhaltigkeitsziele (SDGs), umfassende Transparenz in der Rohstoffförderung oder ein Ende des Agrardumpings.
Dass alles dies die Entwicklungspolitik nicht alleine schultern kann, sehen auch die grünen Autoren. Dennoch – oder gerade deshalb – fordern sie, das jetzige Entwicklungsministerium (BMZ) in Bundesministerium für Internationale Zusammenarbeit und nachhaltige Entwicklung (BIZ) umzubenennen. Neuer Name, neue Rolle: Hier soll künftig zusammenlaufen und koordiniert werden, was mit der über mehrere Ressorts verstreuten staatlichen deutschen Entwicklungshilfe (ODA) zu tun hat. Mehr Kohärenz sei dringend geboten. Eine Enquetekommission soll untersuchen, ob und wie die Arbeitsstrukturen von Regierung wie Parlament Entwicklungsziele eher hemmen oder befördern.
Rot-grüne Gemeinsamkeiten
„Ein gutes multilaterales Projekt ist besser als ein gutes bilaterales“, sagt Sascha Raabe, entwicklungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Wie die Grünen fordert ein neues Papier der SPD-Arbeitsgruppe für Entwicklungszusammenarbeit, die starre Festlegung der jetzigen Koalition aufzugeben, zwei Drittel der Entwicklungshilfe bilateral und nur ein Drittel multilateral zu verwenden. Auch sonst beziehen die SPD-Parlamentarier ähnliche Positionen wie die Grünen. Beide halten daran fest, die deutschen Entwicklungsleistungen auf 0,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts zu erhöhen. Derzeit liegt die so genannte ODA-Quote bei 0,4 Prozent; bis 2015 sollten die 0,7 Prozent bereits erreicht sein – beim derzeit Etat ein Ding der Unmöglichkeit. Die Grünen wollen dies jetzt bis 2017 erreichen, die SPD will jedes Jahr eine Milliarde Euro zusätzlich aufbringen, was diesem Ziel in etwa gleichkommt. Gelder für den Klimaschutz, fordern beide, müssten zusätzlich bereitgestellt und dürften nicht der ODA zugerechnet werden.
Das neue BMZ der Grünen („BIZ“) heißt bei den Sozialdemokraten fast wortgleich Bundesministerium für globale Zusammenarbeit und nachhaltige Entwicklung. Alle Mittel, die als ODA angerechnet werden sollen, müssten dort mittels eines „ODA-TÜVs“ überprüft und freigegeben werden, fordern die Autoren. Unterstützung der deutschen Privatwirtschaft in den Partnerländern, auf die die jetzige BMZ-Führung große Stücke hält, lehnen die Sozialdemokraten nicht ab. Doch wollen sie sichergestellt wissen, dass die Wertschöpfung im Land bleibt und vor allem in besonders armen Ländern Produkte und Märkte vor ungebremstem Freihandel geschützt sind.
Sondervotum mit Sprengkraft
Wesentlich weiter geht derweil ein „Diskussionsanstoß“, den – unabhängig von Fraktionspapieren – der frühere Staatssekretär in BMZ, Erich Stather, und der frühere Vorsitzende des OECD-Entwicklungsausschusses (DAC) und Weltbank-Exekutivdirektor Eckhard Deutscher, beide SPD, zu Papier gebracht haben. Sie finden nicht nur die gegenwärtige „Renationalisierung“ der Entwicklungszusammenarbeit „paradox“ (Deutscher), sondern sehen ganz generell in einer nationalen Entwicklungspolitik in Europa keine Zukunft mehr.
Die Entwicklungspolitik, so Stather und Deutscher, müsse konsequent „vergemeinschaftet“, ihre Kompetenzen nach Brüssel verlagert werden. Im Zuge eines stärkeren europäischen Zusammenrückens sei zudem die Trennung von Auswärtigem Amt und Entwicklungsministerium nicht mehr zeitgemäß. An ihre Stelle müsse ein Ministerium neuen Typs treten, das die auf nationaler Ebene die Arbeit zu globalen Fragen koordiniert, die Verantwortung für alle ODA-Mittel sowie für die „Restzuständigkeiten“ der klassischen nationalen Außenpolitik übernimmt.
Überholt sei auch die Fixierung auf die ODA-Quote. Die Geberländer sollten stattdessen darauf verpflichtet werden, fünf Prozent der nationalen Budgets für Entwicklungszusammenarbeit und den Schutz öffentlicher Güter aufzuwenden – was rechnerisch etwa 0,7 Prozent bisheriger ODA entspräche. Die neue Quote sollte auch für „neue Geber“, etwa China, gelten. Die von der jetzigen BMZ-Leitung kurz gehaltene Budgethilfe, also die direkte Unterstützung der Haushalte der Partnerländer, müsse Vorrang vor klassischer Programm- und Projekthilfe bekommen. Ebenso müsse mit der privilegierten Vergabe von BMZ-Geld an die deutsche Durchführungsorganisation GIZ Schluss sein; stattdessen sollte die Vergabe über die EU gesteuert werden. Und nicht zuletzt: Bloße Armutsbekämpfung nach den Maßstäben der UN-Millenniumziele sei von gestern. Eine künftige Entwicklungspolitik müsse das ganze Spektrum globaler Fragen umfassen: von der Sicherheitspolitik über die Finanz- und Umweltpolitik bis zur Handels- und Agrarpolitik.
Johannes Schradi
Wo findet man den "Diskussionanstoß"
Der Artikel zitiert einen "Diskussionsanstoß" von Eckhard Deutscher und Erich Stather - aber wo findet man den denn? Ich habe gerade gesucht und finde keinen einzigen HInweis auf ein solches Papier, ausser in diesem Artikel. Ein LInk wäre sehr hilfreich!
Exklusiv in "welt-sichten"
Hallo Anstoß Suchender,
das Papier findet man nur exklusiv bei uns in "welt-sichten". Die Autoren haben es nicht ins Netz gestellt.
Viele Grüße,
Tillmann Elliesen
Seiltänzertraum
Beide Grundsatzpapiere sind leider sehr schwach.
Natürlich wäre in einer idealen Welt ein multilaterales nur an den Interessen der Empfängerstaaten orientiertes Ansetzen zu begrüßen. Erst recht im Vergleich zur derzeitigen Klientelpoltik a la Niebel.
Faktisch betreiben allerdings nahezu alle wichtigen Geberstaaten in der sogenannten Entwicklungszusammenarbeit eine sehr stark an den jeweiligen nationalen Eigeninteressen der Geber ausgerichtete Politik. Multilateral wird fast nur dann und nur dort mit nennenswerten Budgetallokationen angesetzt, wo eine multilaterale Organisation dominiert wird (USA in der Weltbank und in großen Teilen des VN-Systems, Japan in der Asiatischen Entwicklungsbank usw.).
Faktisch führt eine Multilateralisierung deutscher Entwicklungsgelder also nicht zur Verbesserung der entwicklungspolitischen Wirksamkeit, sondern dazu, dass wir statt eigener deutscher Interessen die Interessen anderer großer Geberstaaten finanzieren.
Das hängt auch damit zusammen, dass das Entwicklungsministerium in den vergangenen vierzehn Jahren keinerlei Anstrenugnen unternommen hat, deutsches Personal prominent in den großen multilateralen Organisationen unterzubringen. Auf den Führungsebenen von Weltbank, Regionalbanken und VN-System ist das BMZ praktisch gar nicht mehr vertreten, im restlichen Personalkörper deutlich unterproportional. Auch der große Multilateralist Stather hat sich in elf Jahren als Staatssekretär bei der Besetzung internationaler Posten mit wenig Ruhm bekleckert. Richtig engagiert hat sich das BMZ unter seiner Führung nur dann, wenn "Versorgungsfälle" unterzubringen waren.
Die bessere Lösung wäre es, die sehr leistungsfähigen deutschen Durchführungsorganisationen zu nutzen. Die Förderprogramme weitaus schneller und effizienter als die behäbige VN-Bürokratie umsetzen. Auch deutlich besser als die EU, die Jahr um Jahr Schwierigkeiten hat, die ihr im Europäischen Entwicklungsfonds überlassenen Mittel auch tatsächlich in vernünftigen Projekten umzusetzen. Häufig ist es ja dann im Ergebnis so, dass multilaterale Organisationen und die EU die Mittel unter Zuhilfenahme deutscher Durchführer (GIZ und KfW) umsetzen. Der einzige Effekt der Multilateralisierung ist dann der Anfall doppelter Verwaltungskosten, sogenannter "overheads".
Eine stärkere bilaterale Akzentuierung muss im Übrigen nicht notwendigerweise dazu führen, dass weiter in gleichem Maße deutsche Interessen gefördert werden. Eine altruistische Ausrichtung der deutschen Programme könnte vielmehr dazu führen, dass die kleineren, vergleichsweise entwicklungsgeneigt orientierten Geber (Norwegen, Dänemark, Schweiz, Österreich, Schweden etc.) eher bereit wären, gemeinsam mit Deutschland zu agieren und ebenfalls die deutschen Durchführer zu nutzen - als ehrliche Makler.
Alles andere ist Traumtänzerei, die sich Oppositionsparteien erlauben können, die aber nicht für die Übernahme von Regierungsverantwortung qualifiziert.
P.S. Die Forderung nach einer Fusion von KfW und GIZ wird durch gebetsmühlenartiges Wiederholen nicht richtiger. Dafür sind die Instrumente zu verschieden. Glaubwürdig ist sie ohnehin nicht, wenn sie von der SPD kommt, die zwischen 1998 und 2005 elf Jahre lang im BMZ nicht einmal ernsthaft versucht hat, diesen Schritt zu gehen.
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