Autor
Johannes Schradi
war bis Frühjahr 2013 Berlin-Korrespondent von „welt-sichten“.Oberstes Ziel sei es, „gewaltsame Konflikte im Vorfeld ihres Entstehens zu verhindern“, heißt es in den neuen Leitlinien. Doch die Einschränkung folgt sofort: Bei gewaltsamen Entwicklungen in fragilen Staaten „haben die Schaffung eines sicheren Umfelds und die Herstellung von Basissicherheit für die Bevölkerung hohe Priorität“ – was militärische Interventionen ausdrücklich einschließt. Mehr noch: Rechtsstaatlichkeit und gute Regierungsführung nach westlichem Ideal bleiben zwar wünschenswert. Doch will man künftig auch solche politischen Verhältnisse tolerieren, die auf „lokalen Legitimationsvorstellungen“ fußen und nicht „in vollem Umfang denen liberaler Demokratien entsprechen“.
Mit dem neuen Dreiklang aus außen-, entwicklungs- und sicherheitspolitischen Absichtserklärungen ziehen die drei Ministerien die Lehren aus dem weithin als desaströs eingeschätzten Afghanistaneinsatz. Man habe gelernt, bescheidener zu werden, sagt Verteidigungsminister Thomas de Maizière. „Good enough governance“ – ausreichend gute Regierungsführung – sei im Zweifel besser als das Festhalten an nicht durchsetzbaren politischen Idealen, erklärt Außenminister Guido Westerwelle mit Blick auf die instabile Lage am Hindukusch. Entwicklungsminister Dirk Niebel spricht offen vom „Schadensfall Afghanistan“: Paradebeispiele Frieden schaffenden Engagements sähen anders aus.
Die Grünen vermissen ein schlüssiges Konzept
Was allerdings getan werden kann – über den bestehenden Ressortkreis Zivile Krisenprävention und eine engere Abstimmung hinaus –, um neue Krisenherde gar nicht erst entstehen zu lassen, bleibt weithin unklar. „Schlüsselfähigkeiten“ und „Kernkompetenzen“ Deutschlands im Umgang mit fragilen Staaten seien noch genauer zu definieren, heißt es in dem Papier. Besser mehr Polizei ausbilden als aufs Militär setzen, lautet eine Überlegung; Stärkung der Zivilgesellschaft sowie mehr Bildungs- und Wirtschaftsförderung eine andere. „Entwicklungspolitik ist unsere schärfste Waffe gegen Terrorismus und Extremismus“, sagt Minister Niebel. Die Grünen im Bundestag sprechen von „Halbherzigkeit und Konzeptlosigkeit“; die Linkspartei sieht Entwicklungszusammenarbeit gegenüber militärischen Optionen im Hintertreffen.
„Man kriegt 20 Soldaten leichter in die Welt als 20 Polizisten oder Richter“, sagte de Maiziére Ende September auf einer Tagung der Evangelischen Akademie Berlin zur Frage: Wie weit sollen deutsche Soldaten gehen? Dem Unbehagen von Kirchenvertretern, mit Militäreinsätzen irgendwo auf der Welt womöglich „zu schnell“ bei der Hand zu sein (Theologe Fernando Enns) und zu wenig nach Sinn und Nachhaltigkeit militärischer Interventionen zu fragen, begegnete der Verteidigungsminister mit dem Hinweis auf die von den UN beschlossene Schutzverantwortung bei schweren Menschenrechtsverletzungen (Responsibility to Protect). Im Einzelfall müsse zwischen der Wertebezogenheit deutscher Politik und deutschen Interessen abgewogen werden, sagte de Maizière. Konkret heißt das zum Beispiel: militärisches Eingreifen vor der Küste Somalias ja, aber in Syrien nein. Der katholische Theologe Thomas Hoppe nannte das keine Abwägungssache, sondern eine „Opportunitätserwägung“. Von der „Schuld des Tötens“ (Enns) als grundsätzlicher religiös-moralischer Frage ganz abgesehen.
Derweil wird die grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung ihre Afghanistan-Arbeit künftig von Berlin und nicht mehr von Kabul aus steuern. Der Grund: Die Gefahren seien nicht mehr kalkulierbar; ein beträchtlicher Teil des Programmbudgets müsse inzwischen für Sicherheitsmaßnahmen ausgegeben werden.
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