„Ein Flugblatt der Friedensgruppe?“ Monika Bootz und Ronald Nickel haben im Zentrum von Friedberg, einer Stadt nördlich von Frankfurt am Main, ihren kleinen Stand aufgestellt. Manche Passanten nehmen an dem kühlen Februartag die selbst verfassten Texte gegen Atomwaffen, Aufrüstung und die Militarisierung der Gesellschaft mit; einige lassen sich ins Gespräch ziehen.
Die beiden sind im Rentenalter und schon lange Friedensaktivisten. „Mich hat der Putsch in Chile 1973 politisiert“, sagt Monika Bootz. Roland Nickel kam ins Nachdenken, als er hörte, dass aus dem Vietnamkrieg zurückgekehrte Soldaten – Friedberg war damals Garnisonsstadt der US-Armee – den Krieg völlig anders schilderten als die Medien; einige GIs waren auch sichtlich traumatisiert, erzählt Nickel. Er hat dann als Lehrling den Wehrdienst verweigert und wurde erst neun Jahre und ein Gerichtsverfahren später als Verweigerer anerkannt.
Seit Kriegsausbruch in der Ukraine 2022 sind sie jeden Donnerstag hier, sagt Bootz. Zwei Berufstätige sind samstags mit dabei und ein paar andere, auch von der Linken, beteiligen sich öfter. Junge Leute, die früher mitmachten, sind zum Studium weggegangen. Beide stellen fest, dass sich jetzt mehr Menschen auf ihre Themen ansprechen lassen als vor drei Jahren, auch mehr Jüngere – weil wieder über eine Wehrpflicht diskutiert wird, vermutet Nickel.
Die Wehrpflicht wird eine große Rolle spielen
Da liegt er wohl richtig. In Frankfurt am Main hat sich Ende Januar ein lokales antimilitaristisches Jugendbündnis gegründet; beim ersten Treffen sprachen zwei alte Kämpen über Kriegsdienstverweigerung, berichtet Mirco Schneider, einer der rund zwanzig jungen Aktiven. Die wollen noch klären, worauf sie sich inhaltlich konzentrieren, aber die Wehrpflicht „wird eine große Rolle spielen“, sagt er. Er sei selbst friedenspolitisch aktiv geworden, weil sein bester Freund zur Bundeswehr wollte, was er dann doch nicht getan habe. Das Jugendbündnis ist „geschlossen gegen die Wehrpflicht, gegen Aufrüstung und Waffenlieferungen“, sagt Schneider. In Zukunft wollen die Engagierten der Werbung der Bundeswehr in Schulen etwas entgegensetzen und selbst Workshops und Vorträge über Kriegsdienstverweigerung anbieten.
Ihm ist aber klar: „Die Friedensbewegung ist klein und findet wenig Gehör. Frieden spielt in der Gesellschaft keine große Rolle, auch nicht bei jungen Menschen und an der Uni“, sagt der 22-Jährige, der in Frankfurt Politik und Soziologie studiert. Diese Schwäche schreibt er auch den Medien zu, wo seiner Meinung nach „ein starker Konsens zu Aufrüstung und Militär“ herrsche.
Autoren
Aber zum Teil verursacht die Friedensbewegung ihre Schwächen selbst: Sie hat ein Glaubwürdigkeitsproblem und ist überaltert. Die Glaubwürdigkeit ist, wie die Zeitschrift „Friedensforum“ kürzlich dargestellt hat, von zwei Seiten in Gefahr: Einerseits haben sich der Bewegung, die schon immer aus Gruppen mit unterschiedlicher politischer Ausrichtung bestand, seit 2014 Anhänger von Verschwörungsmythen und Rechtsradikale mit Sympathien für Autokraten wie Wladimir Putin angeschlossen. Andererseits sind manche linken Strömungen nicht bereit, nach dem Angriff auf die Ukraine Russland klar als Aggressor zu verurteilen. So erntete der SPD-Politiker Ralf Stegner ein Pfeifkonzert, als er auf der Friedensdemonstration am 3. Oktober 2024 in Berlin den Ukrainekrieg als „russischen Angriffskrieg“ bezeichnete.
Ein gut besuchter Workshop zu Frieden in Europa
Diese Schieflage war Mitte Februar auf der Veranstaltung „Frieden wählen!“ im Gewerkschaftshaus Frankfurt zu beobachten – insbesondere im gut besuchten Workshop zu Frieden in Europa: Im Zentrum stand dort, dass die Europäische Union zum „bellizistischen Projekt“ geworden sei. Viel Kritik an der Politik Europas und der USA war durchaus begründet. Aber insgesamt hinterließ die Diskussion den befremdlichen Eindruck, die Kriegsgefahr in Europa gehe heute eigentlich von der EU aus statt von Russland. Aus Anhänglichkeit an antiimperialistische Theorien aus den 1980er Jahren scheinen einigen die Maßstäbe krass zu verrutschen.
Auch deshalb hat das Image der Friedensbewegung gelitten. In Friedberg bekamen Bootz und Nickel das zu spüren: Anfangs wurden sie zuweilen angefeindet und ihnen wurde Nähe zur AfD unterstellt. Anfeindungen als Putinfreunde, Verschwörungstheoretiker oder Antisemiten seien selten, dann aber sehr vehement. Mirco Schneider erlebt ebenfalls das Imageproblem: „Wenn man sich kritisch gegen Militarisierung äußert, wird man sofort als Putinversteher abgestempelt. Ich möchte klar sagen, dass ich das nicht bin. Putin ist ein grausamer Diktator und ein Aggressor in diesem Krieg.“
Auch das Nachwuchsproblem war in Frankfurt zu besichtigen: Unter den rund hundert Teilnehmenden überwog klar die Generation der über Fünfzigjährigen, nicht wenige schienen hoch im Rentenalter. Menschen unter dreißig waren eine kleine Minderheit. Dabei haben vor wenigen Jahren Hunderttausende junge Leute für Klimaschutz demonstriert, teils mit zivilem Ungehorsam wie die Klimakleber. Auch an Kundgebungen gegen Rechtsextremismus beteiligen sich viele Jüngere. „Wir müssen mit denen über Frieden ins Gespräch kommen, die für Umwelt oder Demokratie demonstrieren, und gemeinsam vorgehen“, sagte deshalb Jörg Sommer bei „Frieden schaffen!“ in Frankfurt. Er war selbst in der Friedensbewegung der 1980er und 1990er Jahre engagiert und ist jetzt Vorsitzender der Deutschen Umweltstiftung.
Weniger Engagement für Frieden als für Klimaschutz
Aber warum engagieren sich weniger junge Leute für Frieden als für Klimaschutz? Ein Grund dürfte paradoxerweise der Erfolg der Fridays for Future sein: Ein großer Teil derjenigen in der jungen Generation, die für politische Mobilisierung offen sind, hat sich dort eingebracht und ist nun mit dem Klimathema beschäftigt. Und junge Menschen bringen sich generell lieber in Gruppen von Gleichaltrigen ein als in bereits fest gefügte Organisationen, in denen Ältere die Umgangsformen geprägt haben und die Debatten anleiten. Das bestätigt Stefan Maaß, der bis Februar 2025 Friedensbeauftragter und Jugendreferent der Evangelischen Badischen Landeskirche war: „Junge Leute in eine Gruppe von Älteren zu bringen, funktioniert nach meiner Erfahrung nicht – außer, wenn die Jungen selbst schon als Gruppe organisiert sind.“
Hinzu komme, dass für das Thema Frieden Multiplikatoren fehlten. „Für meine Veranstaltungen zu Frieden haben sich Jugendliche schon interessiert“, sagt er. „Seit dem Krieg in der Ukraine hat das Interesse zugenommen. Aber es ist vom Mainstream geprägt; die Nachrichten gehen auch an Jugendlichen nicht spurlos vorüber.“
Darüber hinaus haben Friedensbewegte aber ein Problem, für das sie nichts können: Die Sache ist kompliziert. Was jeweils Frieden näherbringt – oder Krieg verhindert – und was Frieden überhaupt ist, dazu gibt es gegensätzliche Theorien und keine eindeutigen Antworten. Hier verlieren keineswegs nur Friedensaktivisten manchmal die Orientierung, gerade in turbulenten und krisenhaften Zeiten wie jetzt.K
Kirchliche Gruppen beteiligen sich an „Sicherheit neu denken“
Dagegen ist zum Beispiel theoretisch klar, was passieren muss, um den Klimawandel zu begrenzen – die Emissionen rasch senken –, auch wenn praktische Schritte dazu umstritten sind. Klimaaktivisten können sich daher leicht auf Kernforderungen einigen und werden dabei aus der Klimaforschung unterstützt. Friedensbewegte wissen vor allem, was sie ablehnen, etwa neue Mittelstreckenraketen in Europa und hohe Rüstungsausgaben. Andere gangbare Wege zum Frieden vorzuschlagen, ist grundsätzlich sehr schwierig. Dazu kommt zuletzt auch nicht viel Hilfe aus der Konflikt- und Friedensforschung, obwohl der Ausbau dieser Disziplin ein Ergebnis der Friedensbewegung der 1980er und 1990er Jahre war.
Einen Ansatz hat die Initiative „Sicherheit neu denken“ mit starker Beteiligung kirchlicher Gruppen ausgearbeitet. Sie geht zurück auf den Beschluss der badischen Kirche von 2013, „Kirche des gerechten Friedens“ zu werden, erklärt Stefan Maaß: „Um das umzusetzen, wollten wir ein Ausstiegsszenario aus der militärischen Friedenssicherung erarbeiten und in europäischen Kirchen diskutieren.“ Kernelemente sind faire Wirtschaftsbeziehungen, die Stärkung multilateraler Organisationen wie der UN, der Ausbau von ziviler Konfliktbearbeitung im In- und Ausland und der allmähliche Umbau der Bundeswehr zur internationalen Polizei. Die ersten Szenarien, die die von Maaß geleitete Arbeitsgruppe 2018 vorlegte, stießen auf großes Interesse; deshalb finanzierte die badische Kirche fünf Jahre ein Projekt, das eine breite Diskussion dazu anstoßen sollte, sagt Maaß.
„Sicherheit neu denken“ hat auch das Projekt Peace for Future gestartet, um jüngere Leute zu erreichen. Hier sind die Fachleute ebenfalls jung: „Jüngere Erwachsene, die gerade Friedens- oder Konfliktforschung studiert haben, bieten Schulungen für Jugendliche an“, sagt Maaß. Das funktioniere nach seinem Eindruck.
Friedensdialog zum Krieg in Gaza
Eine, die bei Peace for Future junge Leute für Konfliktdialoge schult, ist die 29-jährige Yasmina Steck. Die Psychologin und Gestalttherapeutin empfindet die zunehmende Polarisierung in der Gesellschaft, vor allem seit der Corona-Pandemie, als besorgiserregend. Sie hat auch deshalb einen Friedensdialog zum Krieg in Gaza angeboten, an dem unter anderem eine Israelin, mehrere muslimische Menschen und eine Aktivistin teilnahmen. Ihr geht es darum, „Kontexte zu schaffen, in der Unterschiedlichkeiten einen Raum haben und sich die Menschen gesehen und gehört fühlen.“ Frieden beginnt für Steck beim alltäglichen Umgang miteinander. In der Ukraine sei der Krieg so eskaliert, dass es keine einfachen Lösungen gebe. Trotzdem glaubt sie an Alternativen wie gewaltfreien Widerstand.
Aber zeigt nicht dieser Krieg, dass Konzepte für nicht militärische Sicherheit unrealistisch sind? Nein, sagt Stefan Maaß. Zwar stellt der Ukrainekrieg Friedensengagierte vor schwierige Fragen; nicht alle lehnen es ab, dem Land zur Verteidigung auch Waffen zu liefern. Aber, so Maaß: „Wir sagen nicht: Es ist einfach. Doch es ist falsch, jetzt wie selbstverständlich davon auszugehen, dass militärische Rezepte funktionieren. Auch die absehbare Aufrüstung bringt keine Sicherheit; ein Machtkampf mit Russland und China wird auf Dauer keinen Frieden bringen.“ Gerade Kirchen, sagt er, sollten mehr auf Gewaltfreiheit setzen, „sie halten sich da sehr zurück und stützen implizit die Linie der Regierung.“
Der richtige Zeitpunkt für eine neue Welt- und Sicherheitsordnung
Die tiefen Zweifel an militärischen „Lösungen“ teilt Maaß mit alten Kämpen wie Monika Bootz und Ronald Nickel und mit jungen Aktivisten wie Mirco Schneider. „Die Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg, dass ein großer Krieg zerstörerisch ist, wird vergessen, das macht mir Bauchschmerzen“, sagt Bootz. Sie tritt für verhandelte Rüstungsbegrenzung ein und für gemeinsame Sicherheit in Europa, mit statt gegen Russland, „sonst löst die Aufrüstung eine Spirale aus“.
Das mag wie eine Wunschvorstellung klingen angesichts der Kriege in der Ukraine, im Sudan und im Nahen Osten sowie der russischen und der neuen US-amerikanischen Außenpolitik. Aber man kann das Argument auch umdrehen: Gerade dass die vertraute Weltordnung nicht mehr funktioniert und nicht nur Russland, sondern auch die USA sie rasch demontieren, eröffnet Gestaltungsspielraum. „Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, eine neue Welt- und Sicherheitsordnung aufzubauen. Dazu müsste man sich mit China, den BRICS-Staaten und auch Afrika gleichberechtigt an einen Tisch setzen“, sagt Mirco Schneider. „Wir brauchen internationales Recht. Das ist meine Hoffnung.“
Website von „Sicherheit neu denken“:
www.sicherheitneudenken.de
Website von „Peace for Future“:
www.peace4future.de
Zeitschrift „Friedensforum“ 1/2025:
Thema: Junge Friedensbewegung
www.friedenskooperative.de/friedensforum/ausgaben
Neuen Kommentar hinzufügen