Frieden fördern durch Teilhabe der Kinder

Herausgeberkolumne
Kinder und Jugendliche zu respektieren und sie schon früh in das gesellschaftliche und politische Leben einzubeziehen, ist für ein funktionierendes Miteinander unerlässlich.

Katrin Weidemann ist Vorsitzende der Kindernothilfe.

Niemand respektiert mich.“ Konzentriert liest das Mädchen aus ihrem Schulblock vor. „Alle gehen achtlos an mir vorbei, keiner sieht mich an.“ Sie macht eine kurze Pause. „Sagt der Baum.“ 

Zusammen mit rund 20 Schülerinnen und Schülern sitze ich auf dem Boden einer Schulaula im Norden Sri Lankas. Die Jugendlichen treffen sich hier jeden Samstag zum Theaterworkshop. Ihre heutige Aufgabe ist: sich einen Dialog mit einem Baum ausdenken. Kurz zuvor haben sie sich um einen Feigenbaum verteilt, der mitten auf dem weitläufigen Schulgelände steht. Reglos lehnen sie Rücken an Rinde oder liegen ausgestreckt am Boden im Schatten der Baumkrone. Ein Schüler macht es sich in einer Astgabel in zwei Metern Höhe bequem. 

„Der Dialog mit einem stummen Gegenüber ist sehr selbstreflexiv“, erklärt mir der Trainer des Theaterworkshops. Das zeigen die Gesprächsprotokolle der Jugendlichen, die sie sich jetzt gegenseitig vorlesen. Aus ihnen erfahre ich einiges über ihr Selbstverständnis.

Im Theaterworkshop werden die Kinder gesehen und gehört

„Wer hört das Rauschen meiner Blätter? Wer sieht meine feine Rinde? Wer interessiert sich für meine Geschichte? Wer hört mir zu?“ Die Mädchen und Jungen legen den Bäumen ihre eigenen Worte in den Mund. Und auch ihre eigenen Fragen und ihr eigenes Leid, ihre Not. Oft ist es die Not, nicht wahrgenommen zu werden. 

Diese Not hängt auch mit dem schlechten Schulsystem in Sri Lanka zusammen, einem der größten Probleme des Landes. Zwar können alle Kinder kostenlos die Schule besuchen. Lehrmethoden und Didaktik haben sich aber seit den Zeiten der Kolonialisierung kaum weiterentwickelt. Auswendiglernen und veraltete Lerninhalte, dazu pädagogisch und fachlich schlecht ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer – all das trägt zu einem System bei, das Kinder unter Druck setzt und demotiviert, statt sie zu befähigen und Freude am Lernen zu entwickeln. 

Im Theaterworkshop, der vom Kindernothilfe-Partner Stages Theatre Group angeboten wird, machen die Jugendlichen hingegen ganz andere Erfahrungen. Hier lernen sie, die Themen, die ihnen wichtig sind, zu benennen und kreativ zum Ausdruck zu bringen. Hier werden sie gesehen und nehmen sich gegenseitig wahr. Für Jungen und Mädchen gibt es sonst auch kaum gesellschaftlich akzeptierte Gelegenheiten, gemeinsam ein Miteinander der Geschlechter auszuprobieren und einzuüben. Sie sehen sich beim Theaterspiel auch über ethnische und religiöse Grenzen hinweg. In einem Land, das noch immer von den Narben eines jahrzehntelangen Bürgerkrieges gezeichnet ist, ist das etwas, das den Frieden fördert.

Kinder und ihre Rechte kommen in Wahlprogrammen kaum vor

Wer sieht mich? Wer achtet auf mich? Die Fragen der Bäume aus dem Theaterworkshop in Sri Lanka begleiten mich auch zurück in Deutschland. Zur Bundestagswahl im Februar haben Kinder und Jugendliche in einem Kinderrechte-Check die gleichen Fragen an die Wahlprogramme der politischen Parteien gestellt: „Seht Ihr uns Kinder mit unseren Themen? Armut, soziale Ungleichheit, Gewalt und mangelnde Teilhabe – all diesen Missständen sind wir Kinder nicht nur weltweit, sondern auch in Deutschland tagtäglich ausgesetzt. Was wollt Ihr Parteien dagegen tun? Wie setzt ihr euch für Kinderrechte und ihre Umsetzung ein?“

Das Ergebnis des Checks war ernüchternd: Obwohl 17 Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland unter 18 Jahren alt sind, kommen Kinder und ihre Rechte in den meisten Wahlprogrammen kaum vor. Dabei ist es ihre Generation, die von den langfristigen Auswirkungen politischer Entscheidungen am stärksten betroffen ist. Ihre Stimme ist wesentlich, ihre Teilhabe ein wichtiger Bestandteil der UN-Kinderrechtskonvention, die in Deutschland bereits 1992 in Kraft getreten ist.

All diesen Fragen der Kinder sollten sich Politikerinnen und Politiker stellen. Vielleicht sollten sie dazu öfter mal in sich gehen, statt schnelle, schlagkräftige Parolen zu verkünden. Und vielleicht sollten sie dabei auch öfter mal in einen Dialog mit einem Baum treten.  

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erschienen in Ausgabe 2 / 2025: Der Gewalt entgegenwirken
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