Seit gut zwanzig Jahren verhandeln Brüssel und der Mercosur über ein Freihandelsabkommen. Bereits 2019 lag ein unterschriftsreifer Vertrag vor, der allerdings bis heute nicht ratifiziert ist, weil sowohl von EU-Mitgliedern wie Frankreich und Österreich als auch aus den vier Mercosur-Mitgliedern Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay Bedenken kamen.
Anfang diesen Jahres hat die EU-Kommission ein Zusatzprotokoll mit Umweltauflagen vorgelegt, das bei Verstößen Sanktionen vorsieht. Mit dem Protokoll wollte die EU-Kommission Bedenken in Europa entkräften, das geplante Handelsabkommen könnte die Abholzung im Amazonas-Regenwald beschleunigen und dem Klimaschutz schaden.
Auf der anderen Seite des Atlantiks kommt das nicht gut an. Vor allem Brasilien und Argentinien haben wiederholt erklärt, die Drohung mit Sanktionen sei nicht akzeptabel. Die Verhandlungen über das Handelsabkommen liegen seitdem auf Eis, weil die Mercosur-Staaten bislang keine gemeinsame Antwort auf das Zusatzprotokoll hatten. Die haben sie jetzt vorgelegt – und sie „hat es in sich“, wie die handelspolitische Sprecherin der Grünen im Europaparlament, Anna Cavazzini, sagt. Valdis Dombrovskis, der für Handel zuständige Vizepräsident der EU-Kommission erklärte, es werde ein paar Tage dauern, bis Brüssel auf die Mercosur-Antwort reagiere. Die Ansage aus Lateinamerika dürfte es jedenfalls noch schwieriger machen als ohnehin schon, dass sich beide Seiten wie geplant bis Jahresende auf das Handelsabkommen einigen.
Entschädigung für entwaldungsfreie Lieferketten?
In ihrer Antwort, die nicht öffentlich ist, aber einem brasilianischen Journalisten vorliegt, erklären die Mercosur-Staaten, sie seien weiter an dem Handelsabkommen interessiert – und sie seien auch bereit, ein „gemeinsames Instrument für Handel und nachhaltige Entwicklung“ auszuarbeiten, das den Bedürfnissen und Interessen beider Seiten gerecht wird. Es dürfe aber keine Sanktionen enthalten oder auch nur erwähnen, und es dürfe keine Vorgaben enthalten, die nachhaltige Entwicklung durch „unangemessene oder unnötige Handelsbeschränkungen“ erreichen wollen.
Das Abkommen dürfe den Handlungsspielraum der beteiligten Staaten in wichtigen Politikbereichen wie Gesundheitsversorgung, Ernährungssicherung, Klimaschutz und Aufbau von Wertschöpfungsketten nicht schmälern, heißt es in der Antwort. Zudem erwarten die Mercosur-Staaten finanzielle Unterstützung unter anderem für die Produzenten von Agrargütern, die den Standards für Importe in die EU genügen wollen.
In diesem Zusammenhang fordern die Mercosur-Staaten außerdem, dass das Handelsabkommen einen Mechanismus enthält, „der gewährte Handelskonzessionen neu ausbalanciert, sollten diese als Folge von in der EU gültigen Gesetzen aufgehoben werden“. Anna Cavazzini von den Grünen bezeichnet das als „inakzeptabel“, da diese Forderung letztlich darauf hinausläuft, das EU-Gesetz über entwaldungsfreie Lieferketten zu schwächen. Nach diesem Gesetz müssen Firmen, die Rindfleisch, Kaffee, Kakao, Palmöl, Soja, Holz oder Kautschuk in der EU verkaufen wollen, nachweisen, dass ihre Waren ohne die Abholzung von Wäldern produziert wurden. Die Mercosur-Staaten erwarten offenbar, dass sie entschädigt werden, sollte diese Vorschrift zu Handelsnachteilen für sie führen.
Wer kommt nach Lula da Silva?
Cavazzini betont, die Mercosur-Staaten bestünden zu Recht darauf, dass das geplante Handelsabkommen ihre Handlungsfähigkeit nicht einschränken darf. Zu begrüßen sei außerdem, dass sie der Ausarbeitung eines Instruments zugestimmt hätten, das die Nachhaltigkeit in dem Abkommen stärken soll. Die Grünen-Politikerin befürchtet aber, ein solches Instrument würde „an Schlagkraft verlieren, wenn es nicht sanktionsbewehrt ist, wie die Mercosur-Staaten es bedauerlicherweise fordern“. Die Mercosur-Länder seien wichtige Partner, aber das Handelsabkommen mache „nur Sinn, wenn es unsere gemeinsamen Ziele nicht untergräbt. Also dürfen wir das Handelsabkommen nur mit einem robusten Waldschutzinstrument akzeptieren.“
EU-Politikerinnen und -politiker treibt die Sorge um, dass in Brasilien die Regierung von Präsident Lula da Silva, der man umweltpolitisch durchaus vertraue, irgendwann auch wieder abgewählt werden und eine Regierung wie die von Lulas Vorgänger Jair Bolsonaro ans Ruder kommen könnte, die an Umwelt- und Klimaschutz kein Interesse hat. Deshalb müssten Umweltauflagen in einem Handelsabkommen mit dem Mercosur so verbindlich sein, dass sie nicht einfach ignoriert werden können.
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