Die Europäische Union beansprucht für sich, konsequenter als andere Wirtschaftsmächte und Regionalorganisationen in ihrer Handelspolitik neben wirtschaftlichen auch umwelt- und sozialpolitische Ziele zu verfolgen. Kapitel zur nachhaltigen Entwicklung (Trade and Sustainable Development, TSD) sind seit Jahren Standard in Handelsabkommen der EU mit anderen Staaten und Wirtschaftsblöcken. Darin verpflichten sich beide Seiten unter anderem auf die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens und die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO sowie weitere Schritte in Richtung Nachhaltigkeit, etwa zur Bewahrung biologischer Vielfalt.
Allerdings haben Umwelt- und Entwicklungsorganisationen sowie EU-Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament diese TSD-Kapitel oft als zu lasch und zu wenig verbindlich kritisiert. In einem 15-Punkte-Plan hatte die EU-Kommission vor vier Jahren deshalb Reformen skizziert, um den Verpflichtungen mehr Biss zu geben: In künftigen Abkommen, etwa dem zwischen der EU und dem Mercosur in Lateinamerika, solle unter anderem der Klimaschutz mehr Gewicht bekommen, die Rolle der Zivilgesellschaft bei der Kontrolle der Verpflichtungen gestärkt werden und das Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten über das TSD-Kapitel verbessert werden.
EU-Kommission will mit weiteren Reformen nachbessern
Die Kritik, besonders im Zusammenhang mit dem EU-Mercosur-Abkommen, ist seitdem aber nicht abgerissen. Die Kommission hat deshalb noch einmal überprüft, wie die EU-Handelspolitik besser in den Dienst nachhaltiger Entwicklung gestellt werden kann; Ende Juni hat sie in einer Mitteilung weitere Reformen vorgestellt, die auf dem 15-Punkte-Plan von 2018 aufbauen. Demnach will sie die TSD-Kapitel in den Verhandlungen mit Drittstaaten stärker als bisher auf unterschiedliche Bedingungen und Probleme dort etwa beim Umweltschutz oder beim Schutz von Sozialstandards zuschneiden. Zudem will Brüssel seine Handelspartner mit technischer und finanzieller Hilfe stärker unterstützen, die Verpflichtungen aus den TSD-Kapiteln zu erfüllen.
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Bei "schweren Verstößen" sollen Handelssanktionen möglich sein
Die weitreichendsten Reformen betreffen die Sanktionsmöglichkeiten bei Verstößen gegen Verpflichtungen aus den TSD-Kapiteln und die Beteiligung der Zivilgesellschaft. Bisher können Verstöße gegen Nachhaltigkeitsverpflichtungen in EU-Handelsabkommen nicht mit Handelssanktionen geahndet werden. Das will die Kommission ändern: Bei „schweren Verstößen gegen zentrale TSD-Verpflichtungen wie die Kernarbeitsnormen der ILO und das Pariser Klimaabkommen“ sollen Handelssanktionen als ultima ratio möglich sein, heißt es in der Mitteilung. Zudem will die Kommission zivilgesellschaftliche Organisationen stärker in die Ausarbeitung, Umsetzung und Überwachung von TSD-Kapiteln einbinden. So sollen die sogenannten Einheimischen Beratergruppen (Domestic Advisory Groups, DAGs), in denen Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Organisationen sitzen und die EU beim Abschluss von Handelsabkommen beraten, die Möglichkeit erhalten, Beschwerden gegen die Verletzungen von Nachhaltigkeitsverpflichtungen einzureichen, auch im Namen von Betroffenen in Drittstaaten.
Bernd Lange (SPD), der Vorsitzende des Handelsausschusses des Europäischen Parlaments, erklärte auf Anfrage, er „begrüße die Mitteilung der EU-Kommission sehr“. Anders als der informelle 15-Punkte-Plan von 2018 sei sie „endlich eine rechtliche Klarstellung der Haltung der gesamten EU-Kommission“. Die Kommission habe sich lange gegen eine Reform der TSD-Kapitel gesperrt, in der neuen Mitteilung hingegen seien wesentliche Anregungen von ihm aufgenommen worden, schreibt Lange.
Im September will das Parlament über eine Resolution des Handelsausschusses abstimmen, die die Mitteilung der Kommission weitgehend bekräftigt, teilweise aber noch darüber hinausgeht. Unter anderem fordert die Resolution, dass nicht nur die DAGs, sondern auch andere zivilgesellschaftliche Organisationen die Möglichkeit erhalten sollten, gegen TSD-Verpflichtungen Beschwerde einzulegen.
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