Ein Krankenhaus in Lagos in Nigeria: Deutschland unterstützt immer weniger Länder gezielt beim Aufbau der Gesundheitssysteme.
Stein des Anstoßes ist ein 2018 im Bundesentwicklungsministerium (BMZ) gestarteter Reformprozess, der die Entwicklungszusammenarbeit stärker an der Umsetzung der UN-Agenda 2030 ausrichten soll. Dafür werden die Zahl der Partnerländer reduziert und fünf Kernthemen definiert. Die Förderbereiche Gesundheit und Grundbildung sollen demnach ausgegliedert und in die Hände international tätiger Fonds wie dem Globalen Fonds gegen Aids, Tuberkulose und Malaria (GFATM) oder der Globalen Bildungspartnerschaft (GPE) gelegt werden. So jedenfalls lautete der Plan bis Mitte März.
Bekannt wurden die Pläne in einem Zwischenbericht, den das Ministerium im Bundestag präsentiert hatte. Nichtregierungsorganisationen und Vertreter der Opposition reagierten überrascht, selbst in der CDU/CSU-Fraktion sorgten unzureichende Begründungen und fehlende Konsultationen dem Vernehmen nach für Irritationen. „Entscheidungen waren schon weiter gediehen als erwartet“, sagt der Grünen-Abgeordnete Ottmar von Holtz, Experte für Entwicklung und globale Gesundheit. Aus Sicht der Kritiker wäre der Schritt besonders für den Aufbau von Gesundheitssystemen fatal, ohne deren Stärkung Ziel drei der Agenda 2030, eine universelle Grundversorgung, nicht erreichbar sei.
Mit der Corona-Pandemie hat im Hause Müller aber offenbar ein Umdenken eingesetzt – zumindest beim Thema Gesundheit. Inzwischen warnt der Minister vor den katastrophalen Folgen der Pandemie für Entwicklungsländer, setzt Soforthilfen für Labortechnik und Diagnostik in Bewegung – und betont, wie wichtig es sei, gezielt die Gesundheitsinfrastruktur in den Partnerländern zu stärken.
Mehr Geld für Fonds
Politiker wie von Holtz, die mit den Reformplänen vertraut waren, teilen zwar Müllers Analyse, hinterfragen aber die „opportunistische Kehrtwende“. Müller pflege eben einige Leib- und Magenthemen wie das Textilsiegel Grüner Knopf, die sich im Wahlkreis gut herzeigen ließen. Mit dem langfristigen Aufbau von Gesundheitseinrichtungen sei weniger gut Staat zu machen. „Jetzt eignet sich die Corona-Krise als Label“, sagt von Holtz. Ob sich der Schwenk auch strategisch niederschlage, werde sich im nächsten Haushaltsentwurf zeigen.
Derzeit geht in der Gesundheitsförderung mehr Geld an multilaterale Organisationen als in die direkte Zusammenarbeit mit einzelnen Ländern. So hat Deutschland 2020 dem GFATM 350 Millionen Euro zugesagt, der Impfallianz Gavi 60 Millionen Euro, und der Global Polio Eradication Initiative (GPEI) 35 Millionen Euro. Hinzukommen Mittel für UN-Programme für Familienplanung. Im Gegenzug sank die bilaterale öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) für das Gesundheitswesen in Partnerländern bereits im Jahr 2018 auf unter 500 Millionen Euro.
Die Zivilgesellschaft unterstützt diesen Trend grundsätzlich. Allerdings dürften Gesundheitsprogramme, die über Jahre hinweg aufgebaut wurden, nicht einfach wegfallen. Globale Fonds bündelten ihre Mittel jeweils stark auf bestimmte epidemische Erkrankungen, der Ausbau des Gesundheitswesens sei zweitrangig, so die gängige Kritik. Auch ein Thesenpapier der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und der Förderbank KfW stellt dazu fest: „Die Kehrseite der Medaille“ zeige sich darin, dass Fonds einen relativ großen Teil der administrativen, finanziellen und personellen Kapazitäten in den Ländern beanspruchen und so eine „Fragmentierung der nationalen Gesundheitssysteme gefördert haben“.
Fachleute fordern mehr direkte Hilfen
Die Fachleute plädieren in dem Papier dafür, den Aktionsradius globaler Fonds allmählich zurückzufahren und stattdessen die bilaterale Zusammenarbeit in der Gesundheitspolitik zu stärken. Deutschland hat derzeit noch elf Partnerländer mit diesem Schwerpunkt, darunter Kirgisistan, Nepal und Tadschikistan. Laut der kursierenden Länderliste würde die bilaterale Zusammenarbeit mit ihnen gestrichen. Besonders in Nepal wären über Jahre aufgebaute Strukturen mit breiten Programmen von GIZ und KfW betroffen.
Was die Grundbildung angeht, zeigt die deutsche Entwicklungszusammenarbeit schon seit Längerem wenig Ehrgeiz. Müllers Versprechen, ein Viertel seines Budgets für Bildung auszugeben, zielt eher auf die Aus- und Fortbildung. Grund- und Sekundarbildung waren 2018 mit nur 127 Millionen Euro ausgestattet. Ein Schwerpunkt ist die Grundbildung mit noch acht Partnerländern, darunter Jemen, Jordanien, Guatemala, Guinea und Honduras, die demnächst ebenfalls ausschließlich multilateral Hilfen erhalten sollen.
Die Mittel für die Globale Bildungspartnerschaft (GPE), der die Aufgabe zufallen soll, wurden im Haushalt 2020 auf jährlich 50 Millionen Euro angehoben. Die GPE dockt stärker an nationalen Bildungssystemen an, aber auch hier gibt es ähnlich wie bei den Gesundheitsfonds Bedenken: Sollen globale Akteure bisherige „Bottom-up“-Ansätze ablösen, dann müsse das BMZ auch mit mehr Engagement und Personal an der Arbeit der Fonds mitwirken und ein Auge auf die Bedürfnisse der Länder haben. „Da sehen wir kein klares Konzept“, sagt der Grünen-Abgeordnete von Holtz. Grundsätzlich, meint er, müsse es darum gehen, bilaterale und multilaterale Hilfen besser zu verknüpfen.
Sinnvolle Entwicklungszusammenarbeit?
„Derzeit geht in der Gesundheitsförderung mehr Geld an multilaterale Organisationen als in die direkte Zusammenarbeit mit einzelnen Ländern. So hat Deutschland 2020 dem GFATM 350 Millionen Euro zugesagt, der Impfallianz Gavi 60 Millionen Euro, und der Global Polio Eradication Initiative (GPEI) 35 Millionen Euro. Hinzukommen Mittel für UN-Programme für Familienplanung. Im Gegenzug sank die bilaterale öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) für das Gesundheitswesen in Partnerländern bereits im Jahr 2018 auf unter 500 Millionen Euro." / 1. Frage: Ist mit "Familienplanung" die Reduzierung von Geburten durch Förderung von Abtreibung und Sterilisation gemeint? / 2. Warum beendet die Bundesregierung die jahrelange gute Entwicklungszusammenarbeit mit den ärmsten Ländern wie Burundi? Gute Entwicklungsprojekte werden dadurch von heute auf morgen beendet!
Familienplanung
Vielen Dank für Ihren Kommentar. Unter Familienplanung fallen beispielsweise Beratungsangebote, die Frauen - und auch Männer - über Verhütungsmethoden und sexuell übertragbare Krankheiten informieren. Immer mit dem Ziel, dass Frauen über ihre Sexualität selbst bestimmen können. Und dazu gehört natürlich auch die Möglichkeit einer legalen Abtreibung. https://www.bmz.de/de/themen/frauenrechte/arbeitsfelder_und_instrumente/gesundheit_und_familienplanung/index.html
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