Direkt nach der Corona-Pandemie gab es etliche Initiativen, neue Pharmaproduktionsstätten in afrikanischen Ländern zu schaffen, erinnert sich Richard Neci, Geschäftsführer des Ökumenischen Pharmazeutischen Netzwerks (EPN ). Der ungleiche Zugang zu Impfungen und Medikamenten während der Pandemie habe sehr deutlich gemacht, dass die pharmazeutische Produktion in afrikanischen Ländern ausgebaut werden müsse. „Aber inzwischen ist Corona kein heißes Thema mehr, und so hat auch das Engagement für den Ausbau afrikanischer Produktionsstätten abgenommen.“
Die meisten Länder Afrikas südlich der Sahara importieren laut dem African Healthcare Investment Opportunities Report etwa 70 bis 90 Prozent der von ihnen benötigten Medikamente. Von den verabreichten Impfstoffen wird nach Angaben der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) nur etwa ein Prozent auf dem Kontinent hergestellt. Die Afrikanische Union hat sich zum Ziel gesetzt, diesen Anteil zu erhöhen: Bis 2040 sollen 60 Prozent der in Afrika verwendeten Impfstoffe in Afrika hergestellt werden.
Um die 25 aktive Projekte gebe es mittlerweile zur Impfstoffproduktion in Afrika, berichtet Neci. Einige davon befänden sich noch in Anfangsstadien, aber fünf produzierten bereits kommerziell: die Unternehmen Pharmacare und Biovac in Südafrika, das Institut Pasteur de Dakar im Senegal, Marbio in Marokko und Vacsera in Ägypten.
Geistiges Eigentum: ein wichtiger Knackpunkt
Das deutsche Unternehmen Biontec zudem steht kurz vor der Eröffnung seiner ersten Produktionsanlage in Ruanda. Wie auch bei den genannten Produzenten geht es hier längst nicht mehr vorrangig um den Coronaimpfstoff, sondern um Vakzine gegen andere Krankheiten, die auf dem Kontinent teils viel stärker verbreitet sind als in Europa: so etwa Malaria, Mpox (gegen das ein bekannter Impfstoff gegen Pocken zum Einsatz kommt) oder Tuberkulose. Grundlage für die Produktion in Ruanda ist die mRNA-Technologie, die mit der Corona-Pandemie weltbekannt wurde.
Geistiges Eigentum ist allerdings ein wichtiger Knackpunkt, sein Schutz durch das Patentrecht stand bislang der Produktion von Medikamenten und Impfstoffen im globalen Süden oft im Weg. Denn die großen internationalen Pharmaunternehmen wollen das Know-how über die Herstellung ihrer Produkte in der Regel nicht oder nur gegen hohe Lizenzgebühren weitergeben. Um dennoch einen gewissen Technologietransfer zu fördern, hat die Afrikanische Entwicklungsbank 2022 die African Pharmaceutical Technology Foundation gegründet, die sich für die Erleichterung bestimmter Transfers einsetzt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und ihre Partner haben zudem 2021 in Kapstadt ein Zentrum für den Technologietransfer von Boten-RNA-Impfstoffen eingerichtet, das Unternehmen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen darin schult, wie sie auf dieser Grundlage pharmazeutische Produkte herstellen können.
Diesen Ansatz verfolgt auch Biontec. Das Unternehmen betont, dass Pharmaforschung so zeitaufwendig und teuer sei, dass eine Abschaffung der Patente die Unternehmen entmutigen würde, weiterhin Energie in die Erforschung neuer Medikamente zu stecken. Stattdessen, verspricht der Mediziner und Firmengründer Uğur Şahin, werde Biontec gemeinsam mit afrikanischen Regierungen und Fachleuten eine afrikanische Produktionskette aufbauen.
In Afrika sind die Produktionskosten für Arzneimittel hoch
Ein weiteres Problem für den Aufbau afrikanischer Produktionskapazitäten ist, dass für dort hergestellte Medikamente aus Kostengründen die Nachfrage in Afrika bislang schwach ist. „Die meisten afrikanischen Länder haben für das Gesundheitssystem nur sehr begrenzte Mittel zur Verfügung“, erklärt Neci. „In Indien und China lassen sich Arzneimittel aber viel billiger produzieren als in Afrika, so dass afrikanische Produzenten, zumal wenn sie gerade erst im Aufbau sind, das Nachsehen haben.“
Das bestätigt Irmgard Buchkremer-Ratzmann, die bei Action Medeor in Deutschland für den Großeinkauf von Medikamenten für humanitäre Nothilfe zuständig ist. „Wir kaufen für unsere Partner nach wie vor hauptsächlich in Europa, Indien und China ein.“ Es gebe sogar eine Reihe von Medikamenten, hauptsächlich bestimmte Antibiotika, die nur noch in Asien gewinnbringend hergestellt würden. „Das ist ein riesiges Problem in Afrika: Dort sind die Produktionskosten im Vergleich zu anderen Produktionsländern sehr hoch.“ So betrügen beispielsweise die Personalkosten für Laborkräfte in Indien in etwa die Hälfte von denen in westafrikanischen Staaten: „Das macht einen Riesenunterschied für Investoren.“
Effizienz und Qualität unter Weltmarktniveau
Dazu komme, dass die pharmazeutische Industrie beispielsweise in Tansania, Kenia und Uganda zwar ein beträchtliches Ausmaß erreicht habe, „aber Effizienz und Qualität der Produktion liegen noch deutlich unter Weltmarktniveau.“ Was wiederum daran liegt, dass Geld für Investitionen fehlt. So werde etwa bei Neugründungen häufig an den Gebäuden gespart – „und damit auch an den für die Produktion ganz wichtigen Lüftungsanlagen oder bei baulichen Vorkehrungen, die dafür sorgen sollten, dass Produktionsprozesse räumlich getrennt werden und bestimmte Substanzen nicht miteinander in Berührung kommen.“
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Auch müssen regionale Hersteller von Arzneimitteln viele Komponenten für die Produktion teuer importieren, wie EPN-Geschäftsführer Neci berichtet. „Dazu müssen wir – was eine uralte Forderung ist – den innerafrikanischen Handel vereinfachen, durch Handelsabkommen, gemeinsame Regelungen und eine Absenkung von Zöllen.“
Um hier Abhilfe zu schaffen, richtet die Afrikanische Union in Ruandas Hauptstadt Kigali die Afrikanische Arzneimittelagentur AMA ein. Das Gremium soll die Regulierung von Medizinprodukten auf dem Kontinent harmonisieren, so dass ein neues Arzneimittel nur einmal von der AMA und nicht von jedem Land einzeln geprüft werden müsste. Den Vertrag dazu hat die AU zwar schon 2019 angenommen, aber noch längst nicht alle Länder haben ihn ratifiziert.
GAVI will die regionale Impfstoff-Beschaffung ausbauen
Mitte 2024 hat die Impfstoffallianz Gavi ein neues Finanzinstrument in Höhe von einer Milliarde Dollar aufgelegt, um den aufstrebenden afrikanischen Sektor der Impfstoffherstellung zu fördern: den African Vaccine Manufacturing Accelerator (AVMA). Gleichzeitig versprach Gavi, 30 Prozent seiner eigenen Beschaffung für den afrikanischen Kontinent bei regionalen Unternehmen zu erwerben. „Wenn sie das wirklich tun, wäre dies ein Meilenstein“, sagt Richard Neci.
Auch Irmgard Buchkremer sieht darin einen wichtigen Schritt auf einem langen Weg. „Man muss sich bewusst sein, dass es ein sehr großes Ziel ist, vor allem in Subsahara-Afrika eine örtliche Impfstoff- und Medikamentenproduktion zu schaffen. Das ist mit enormen Investitionen verbunden und wird Jahrzehnte dauern.“ Subsahara-Afrika sieht sie dabei als wichtigste, weil bedürftigste Weltregion. „Asien und auch Lateinamerika haben große pharmazeutische Industrien, die die Kontinente versorgen können. Probleme mit der regionalen Produktion gibt es eigentlich nur in Afrika, und dort hauptsächlich südlich der Sahara, denn Nord-, und Ostafrika sind eigentlich schon recht weit.“
Richard Neci liegt schließlich noch ein weiterer Aspekt am Herzen: Vertrauen schaffen in regional hergestellte Medikamente. „Bisher waren viele Mittel gefälscht oder fehlerhaft. Deshalb ist es wichtig, nicht nur Handel und Produktion zu erleichtern, sondern auch Kontrollen zu stärken.“
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