Wie viele Menschenrechte gerät auch das Recht auf Religionsfreiheit vielerorts zunehmend unter Druck – etwa wo der demokratische Grundkonsens schwindet, Diktaturen gefestigt oder Kriege geführt werden. „Es gibt praktisch kein gesellschaftlich relevantes Thema, das für die Religionsfreiheit keine Rolle spielt“, sagt Thomas Schirrmacher vom Internationalen Institut für Religionsfreiheit, das seit vielen Jahren zusammen mit den Evangelischen Allianzen in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte die Jahrbücher Religionsfreiheit und Christenverfolgung herausgibt. In kaum einer Region der Welt habe sich gegenüber dem Stand von vor zehn Jahren die Lage der Religionsfreiheit und der Menschenrechte verbessert, so Schirrmacher. Verbessert habe sich allenfalls die Dokumentation der Verletzungen und die Qualität der wissenschaftlichen Auseinandersetzung zu Religionsfreiheit. Auch gebe es immer mehr Fachleute zum Thema Religionsfreiheit.
Von denen hatten die Herausgeber bei der Vorstellung der Jahrbücher einige aufs Podium eingeladen. Die Genozidforscherin Tessa Hofmann ging auf die Entwicklungen im Kaukasus ein, wo Aserbaidschan seine Gebietsansprüche mit der Zerstörung armenischen Kulturguts in Bergkarabach und darüber hinaus verdeutlicht. Tamer Hannah machte darauf aufmerksam, dass es in Ägypten immer wieder Fälle von Zwangskonversion junger Christinnen zum Islam gibt und zum Christentum konvertierten Muslimen das Leben schwer gemacht wird. Der ägyptische Menschenrechtsaktivist hat selbst politisches Asyl in Deutschland beantragt.
Auf dem Podium war die Bundespolitik mit zwei Abgeordneten vertreten: dem Beauftragten der Bundesregierung für Religionsfreiheit, Frank Schwabe (SPD), dessen Tage im Amt mit dem Bruch der Ampel-Koalition gezählt sind, und Thomas Rachel (CDU), dem Vorsitzenden des Evangelischen Arbeitskreises der Unionsfraktion, der als möglicher Anwärter auf dieses Amt gilt – vorausgesetzt, es gibt auch in der neuen Regierung einen Religionsfreiheitsbeauftragten: Die Unionsfraktion hat bereits angekündigt, bei den Bundesbeauftragten sparen zu wollen, derzeit gibt es davon 48. „Es wäre schon bemerkenswert, wenn ausgerechnet die Unionsfraktion dieses Amt abschaffen würde“, sagte Schwabe; die CDU hatte sich in der letzten großen Koalition nachdrücklich für die Einrichtung dieser Stelle eingesetzt.
China, Nicaragua, Indien und Pakistan
Bei der Vorstellung der Berichte ging es vor allem um Länder, in denen die Religionsfreiheit besonders drastisch oder seit besonders langer Zeit verletzt wird: China kontrolliert Religionsgemeinschaften stark; Nicaragua geht hart gegen Vertreter der katholischen Kirche vor; in Indien leiden Christen und Muslime unter dem erstarkenden Hindunationalismus; Pakistan bedroht mit seinem Blasphemie-Gesetz den Übertritt vom Islam zu einer anderen Religion mit harten Strafen bis hin zur Todesstrafe. Und auch im Nahen Osten sowie in Teilen Afrikas wird die Religionsfreiheit stark eingeschränkt.
Viel Neues gab es hier nicht. Auch das gängige Fazit, das Christentum sei die am meisten verfolgte Religion, wurde mehrfach betont. „Christen sind qualitativ und in der Menge die am weitesten verfolgte Gruppe weltweit“, sagte Frank Heinrich von der Evangelischen Allianz Deutschland. An diesem Punkt hakte Schwabe ein: Das Christentum sei schließlich die Religion mit den meisten Anhängern. Kleine Religionsgemeinschaften wie die Bahai’i litten im Verhältnis zur Anzahl ihrer Mitglieder in manchen Ländern noch viel stärker unter Verfolgung. Und das Recht auf Religionsfreiheit schütze nicht eine ganze Religion oder gar Institution, sondern immer das Individuum, stellte Schwabe klar.
Einig war man sich wieder, dass in der deutschen Politik und in den Medien das Thema Religionsfreiheit viel zu wenig Beachtung finde und dass Kompetenzen dazu in den Ministerien eher ab- als aufgebaut würden. Immer weniger Politikerinnen und Politiker regten sich über Verletzungen der Religionsfreiheit auf, kritisierte Rachel. Der Religionsfreiheitsbericht von Frank Schwabe [KB2] sei nicht einmal im Bundestag debattiert worden.
Auch hier hakte Schwabe ein und warnte davor, ausschließlich den Fokus auf die Religionsfreiheit zu legen. Er warb dafür, dieses Recht im Kontext der anderen Menschenrechte zu sehen. Es gebe Verfolgung, die nichts mit Religion zu tun habe wie zum Beispiel bei der LGBTQ-Frage. „Und wenn eine junge Christin unterdrückt wird, dann kann man das auch als feministisches Thema begreifen und sich aus dieser Motivation heraus für sie einsetzen“, sagte Schwabe.
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