Sprachlich hat das Hilfswerk Open Doors bei der Vorstellung seines Weltverfolgungsindex 2024 am Mittwoch vergangener Woche wieder einmal geklotzt. Von einer „entfesselten Gewalt gegen Christen“ sprach Geschäftsführer Markus Rode im hessischen Kelkheim und fragte rhetorisch, ob „Religionsfreiheit nur noch ein Lippenbekenntnis“ sei. 365 Millionen Christinnen und Christen sollen bis Ende September 2023 weltweit wegen ihres Glaubens „mindestens in hohem Maße Verfolgung und Diskriminierung ausgesetzt“ gewesen sein.
Schaut man sich die Zahlen von Open Doors der letzten zehn Jahre dazu an, drängen sich Fragen auf. Warum soll sich die Zahl der verfolgten Christen weltweit seit 2013 (damals laut Open Doors 100 Millionen) mehr als verdreifacht haben? Was und wer wird da eigentlich gezählt?
Ein Blick auf die Homepage des Hilfswerks lohnt. Offenbar gelten für Open Doors alle Christen als verfolgt, die in Konfliktgebieten leben. Dies wird im Bericht im Kapitel „Religiös motivierte Gewalt nimmt mit der Destabilisierung von Subsahara-Afrika zu“ deutlich. Darin beruft sich das Hilfswerk auf Zahlen unter anderem des UN-Flüchtlingskommissariats UNHCR, nach denen es Ende 2022 rund 34,5 Millionen Vertriebene in Afrika südlich der Sahara gab. Von diesen seien schätzungsweise 16,2 Millionen Christen gewesen, rechnet Open Doors aus.
Keine tieferen Konfliktanalysen
Es ist schlimm, dass so viele Menschen vertrieben werden. Doch ist fraglich, ob die Christen unter ihnen allein wegen ihres Glaubens an Jesus Christus vertrieben werden. Konflikte sind in der Regel komplexer. Open Doors schreibt: „Islamistische Gewalt gegen Christen charakterisiert deren Verfolgung südlich der Sahara“. Doch das verzerrt die Tatsachen. Islamistische Gruppen werden in Afrika zwar stärker, doch sie sind nicht für alle Konflikte auf dem Kontinent verantwortlich. Im Ostkongo etwa, wo seit Jahrzehnten einer der schlimmsten Kriege überhaupt wütet und Hunderttausende auf der Flucht sind, agieren ganz unterschiedliche Interessensgruppen, nicht nur Islamisten.
Open Doors steigt nicht tiefer in Konfliktanalysen ein, sondern zählt lieber alles, was man zählen kann: Angriffe auf Kirchen, christliche Häuser und Geschäfte zum Beispiel. Die hätten sich etwa in Äthiopien mehr als verzehnfacht. Der Hintergrund dafür wird nicht genannt, kann aber nur im Konflikt in Tigray liegen, wo tatsächlich bewusst Kirchen zerstört wurden. Nur waren die Täter keine islamistischen Milizen, wie Open Doors es suggeriert, sondern amharische und eritreische Soldaten, die selbst einen christlichen Hintergrund haben. Es ist sicher kompliziert zu erklären, warum Christen Kirchen schänden. Doch wer verfolgten Gruppen helfen will, sollte sich wenigstens ansatzweise die Mühe machen, die Hintergründe eines Konfliktes zu verstehen.
Zu simpel ist auch die Darstellung der Situation im Libanon, wo „die Christen einen Rückgang ihrer Privilegien und ihres Einflusses im nationalen Leben“ erlebten, wie es im Weltverfolgungsindex 2024 heißt. Warum das so ist, ein Grund ist zum Beispiel, dass christliche Familien in der Regel weniger Kinder als muslimische Familien kriegen, erklärt Open Doors nicht. Dafür heißt es nur allgemein: „Auch Angriffe auf Kirchen und christliches Eigentum durch Muslime nehmen zu.“ Fragt man libanesische Christen danach, fangen sie an zu lachen. Denn solche Angriffe hat es seit dem Ende des Bürgerkriegs 1989 so gut wie nicht mehr gegeben. Open Doors berichtet indes über die libanesischen Christen, dass sie sich wegen der sich verschlechternden wirtschaftlichen Lage überlegten, das Land zu verlassen. Das stimmt. Doch auch ihre muslimischen Nachbarn tun dies. Und gemeinsam schimpfen sie auf die christlichen und muslimischen Politiker, die das Land in diese desaströse Lage gebracht haben.
Wer den Weltverfolgungsindex von Open Doors liest, könnte meinen, dass es mit den Christen weltweit bald zu Ende geht. Damit das aber nicht passiert, bietet Open Doors eine Lösung: Beten und Spenden – und zwar an Open Doors. Das Hilfswerk versorgt verfolgte Christen nach eigenen Angaben unter anderem mit Nothilfe, Trauma-Seelsorge und christlicher Literatur.
Man erfährt wenig darüber, wo Spenden hinfließen
Seine Finanzkennzahlen veröffentlicht das Werk seit einigen Jahren nicht mehr. Auf wiederholte Nachfrage gab es schließlich an, dass es 2022 rund 37 Millionen Euro zur Verfügung hatte. Davon waren 31,5 Millionen Euro Spenden, der Rest Rücklagen und nicht näher definierte Gewinne. Knapp 25 Millionen seien in Projekte im Ausland geflossen. In welche Länder genau und wie viele Menschen mit wie viel Geld und welchen Maßnahmen unterstützt wurden, erfährt man nicht. Auch nicht, wie hoch die Personalkosten für die rund hundert Mitarbeitenden in Kelkheim sind.
Mehr als fünf Millionen Euro flossen in administrative Aktivitäten und 6,7 Millionen Euro in „satzungsgemäße Kampagnen- und Öffentlichkeitsarbeit“. Dazu gehören offenbar politische Lobby-Arbeit sowie Infomaterialien und Seminare, bei denen Christen in Deutschland lernen, wie sie für verfolgte Christen beten können. Mit Videos wendet sich das Werk auch gezielt an Kinder in Deutschland. Open Doors ist als gemeinnützig anerkannt, trägt allerdings nicht das DZI-Spendensiegel.
Unsachgemäße Darstellung seitens Frau Buck
Es ist notwendig, dass Kirche, Politik und Gesellschaft in Deutschland von der deutlich gestiegenen Gewalt gegen Christen in vielen Ländern erfahren. Open Doors erfasst zahlenmäßig im Weltverfolgungsindex dabei die Christen als von Diskriminierung und Verfolgung betroffen, die dies aufgrund ihres Glaubens erfahren. Die Behauptung von Frau Buck: "Offenbar gelten für Open Doors alle Christen als verfolgt, die in Konfliktgebieten leben." ist falsch. Vielmehr erfasst Open Doors separat für Bundesländer oder Provinzen und Regionen anhand eines Fragenkatalogs an einheimische Christen, in welchem Ausmaß, in welcher Häufigkeit und in welcher Art Christen Diskriminierung und Gewalt erleben – und auch, wie viele Christen regional betroffen sind. Dabei wird jeweils noch separat untersucht, in welcher Weise dies die Lebensbereiche Privatleben, Familienleben, Leben in der Gesellschaft, Leben im Staat sowie kirchliches Leben betrifft. Zusätzlich dokumentiert Open Doors die Anzahl und Art gewaltsamer Übergriffe gegen Christen – aufgrund ihres Glaubens. Aus all dieser Information ergibt sich ein engmaschiges Bild für einzelne Regionen. Die Situation in den Regionen/Bundesstaaten führen in ihrer Gesamtheit zur Bewertung eines ganzen Landes.
So haben Christen in Indien etwa im Süden eine völlig andere Situation hinsichtlich Glaubensfreiheit und gewaltsame Übergriffe als Christen im Norden. Gleiches gilt für andere Länder.
Die ausführlichen Länderberichte umfassen oft 30-40 aber auch bis zu 100 Seiten je Land. Da erscheint es fragwürdig, dass Frau Buck zur Behauptung gelangt, Open Doors würde sich nicht mit den Konflikten im Land auseinandersetzen. Wer genauere Informationen sucht - inklusive Hintergrundinfo und Analysen - muss etwas Arbeit investieren und einzelne Länderberichte studieren. Diese Informationen lassen sich nicht in eine Pressemeldung oder einen Begleittext von 10 Seiten unterbringen. Frau Buck empfiehlt Open Doors "sollte sich wenigstens ansatzweise die Mühe machen, die Hintergründe eines Konfliktes zu verstehen". Die Mühe und deren Ergebnisse sind nachlesbar. Dazu ist aber eine gründlichere Auseinandersetzung mit dem Weltverfolgungsindex notwendig. Oft hilft es auch, einmal die eigene Sichtweise zu hinterfragen. Ein Hilfswerk, das seit 1955 verfolgten Christen zur Seite steht – aktuell in mehr als 75 Ländern – hat mehr Information zur Hand als eine Journalistin.
Dass der Aufruf von Open Doors zu Gebet und Spenden von Frau Buck ins Lächerliche gezogen wird, schmerzt. Ist derlei Berichterstattung von Welt-Sichten gewünscht, wird sie gar unterstützt? Auch hinsichtlich Spenden / Finanzen ist Frau Buck bemüht, Open Doors Schaden zuzufügen. Sie schreibt: "Auf wiederholte Nachfrage gab es schließlich an, dass es 2022 rund 37 Millionen Euro zur Verfügung hatte." Das ist nicht die Wahrheit. Es gab nur EINE Anfrage (Samstagmorgen) und die wurde am nächsten Arbeitstag (Montagmittag) beantwortet.
Will Frau Buck gezielt Misstrauen und Zersetzung säen? Sie gibt korrekt wieder, dass "6,7 Millionen Euro in „satzungsgemäße Kampagnen- und Öffentlichkeitsarbeit“ fließen. Und mutmaßt: "Dazu gehören offenbar politische Lobby-Arbeit sowie Infomaterialien ...". Für politische Lobby-Arbeit wird im Jahr ein geringer vierstelliger Betrag aufgewendet und nur, um Politiker über die Situation verfolgter und diskriminierter Christen zu informieren. Erstens ist dies laut Satzung ein Teil des Auftrags von Open Doors (genauso wie die Information der Gesellschaft und Kirchen), zweitens ist die Informationslage hinsichtlich Verfolgung von Christen im politischen Berlin ausbaufähig; es ist notwendig Politiker dazu zu informieren, da dies etwa durch das Auswärtige Amt und andere Behörden zu wenig geschieht.
Und zu den Finanzen: Wenn von 31,5 Millionen Spendeneinnahmen rund 25 Millionen in Projekte zur Unterstützung verfolgter Christen in deren Heimatländern fließen, ist dies eine beachtliche Hilfe für Christen, die unzählig oft ausgegrenzt, diffamiert, schikaniert, bedroht, beschimpft, verprügelt, vergewaltigt, überfallen, ausgeplündert, vertrieben und willkürlich verhaftet werden – weil sie Christen sind. In vielen Familien z.B. in Subsahara-Afrika wurden gezielt die Väter, d.h. die Versorger der Familie ermordet. Ziel ist immer, die Christen und Kirchen zu schwächen und sie zum Aufgeben oder Abwandern zu zwingen. Auch da leistet Open Doors finanzielle Unterstützung.
Fazit: Anstatt die notvolle Situation verfolgter und diskriminierter Christen aufzugreifen und für deren Unterstützung einzutreten, hat Frau Buck nur das Ziel, Open Doors zu beschädigen. Das ist journalistisch arm und unprofessionell.
Antwort an den Pressesprecher von Open Doors
Hallo Herr Greve,
war ja klar, dass Sie als Pressesprecher von Open Doors mit meinem Artikel ein Problem haben. Und dass Sie mir gleich Unprofessionalität vorwerfen, ach ja, „ein klassischer Move“ würde ich sagen. Das machen alle, die keine Argumente mehr haben, weil JournalistInnen etwas Richtiges geschrieben haben, das man einfach nicht hören will.
Der Weltverfolgungsindex hat ein Problem, und das liegt in der ihm zugrundeliegenden Methodik. Sie suggerieren wissenschaftliche Genauigkeit. Open Doors zählt alles, was man meint, zählen zu können. Dann fragt man noch die betroffenen Menschen nach ihrem Befinden und ihren Ängsten und wertet das Ganze nach den eigenen Vorstellungen aus. Wissenschaftlich geht anders. Mal ehrlich, wie wollen Sie „Christenverfolgung“ messen? Ja, Sie können zählen, wer für den Glauben an Jesus Christus ins Gefängnis kommt, vertrieben oder ermordet wird. Diese Fälle gibt es. Aber bitte, das sind doch keine 365 Millionen weltweit! Wenn Sie hierzulande die gleichen Fragebögen Musliminnen und Muslimen unterbreiten würden, um herauszubekommen, wie sie sich in der deutschen Gesellschaft fühlen, dann würden wir alle staunen, wie viele sich bedrängt und verfolgt fühlen. Da reicht es, dass einer mal blöd angemacht wurde wegen seines Glaubens, der erzählt es anderen weiter und dann wächst bei allen, die zur gleichen Religionsgemeinschaft gehören, die Sorge, dass ihnen das Gleiche irgendwann mal passieren könnte. Das ist überhaupt nicht schön. Aber würden wir dann gleich von „Muslimverfolgung“ sprechen? Aber so wie Sie vorgehen, kommen Sie natürlich auf hohe Zahlen, die dann griffige Schlagzeilen produzieren, mit denen man Aufmerksamkeit bekommt. Schon verstanden.
Wo es aber wirklich problematisch wird, sind Ihre Kurzzusammenfassungen, welche die Realität vor Ort verzerren oder sogar verfälschen. Im Libanon von zunehmenden Übergriffen auf Christen durch Muslime zu sprechen, ist unlauter. Nicht nur, weil es die Realität nicht widerspiegelt, sondern weil Sie damit bewusst die Muslime in ein schlechtes Licht rücken und auch an anderen Stellen im Bericht immer wieder unterschwellig Islam-Bashing betreiben. Was wollen Sie damit bewirken? Sie verbessern dadurch weder die Lage der Christen vor Ort. Noch tun Sie dem Zusammenleben in unserer Gesellschaft etwas Gutes. Was lernen deutsche Kinder und Jugendliche zum Beispiel in Ihren Gebetsanleitungen und Videos? Dass sie sich vor „dem Islam“ oder vor „den Muslimen“ fürchten sollen, weil diese anderswo Christen verfolgen? Himmel hilf, die meisten Kinder sitzen in der Schule neben muslimischen Mitschülerinnen und Mitschülern, kicken im Sportverein mit ihnen. Wollen Sie wirklich, dass sie ihren Klassen- und Sportskameraden nicht mehr ohne Vorbehalt begegnen können? Das halte ich für gefährlich und ganz nebenbei auch für unchristlich.
Ach ja, und dann die Geschichte mit den Zahlen von Open Doors. Als Journalistin bei Weltsichten interessieren mich die Zahlen von kirchlichen Hilfswerken seit vielen Jahren. Einfach, weil sie ein Indikator für bestimmte Entwicklungen sind. Deswegen bin ich es gewohnt, dass solche Zahlen öffentlich zugänglich sind, in der Regel in Form eines detaillierten Jahresberichts im Internet. Es ist eine Frage der Glaubwürdigkeit, ob man der Öffentlichkeit gegenüber transparent macht, wie viel Geld man für die eigene Arbeit von wem bekommen hat und was genau mit diesen Geldern dann passiert. Ganz nebenbei muss man das ja auch dem Finanzamt gegenüber offenlegen, um weiterhin den Freistellungsbescheid für die Gemeinnützigkeit zu bekommen. Open Doors dagegen veröffentlicht keine Zahlen. Ich habe bei Ihnen nachgefragt, ob Sie mir die Zahlen schicken können. Sie wollten daraufhin erst einmal wissen, wofür ich die Zahlen brauche und warum die denn so wichtig seien, wenn es doch eigentlich um „die Situation von Millionen von Christen“ gehe, die verfolgt und diskriminiert werden. Sie schrieben mir noch: „Möchten Sie mehr Unterstützung für diese Christen erzielen? Dabei helfe ich Ihnen gerne.“ Lieber Herr Greve, als Journalistin bin ich einem Pressesprecher gegenüber nicht verpflichtet, ihm zu erklären, was ich in meinem Artikel schreiben möchte, um Antworten auf meine Fragen zu der Organisation, die er vertritt, zu bekommen. Zum anderen wirft es nun tatsächlich ein fragwürdiges Licht auf Open Doors, wenn man sich ziert, Zahlen offenzulegen. Erst als ich Ihnen das mit der Glaubwürdigkeit und Transparenz erklärt habe, die für andere kirchliche Hilfswerke sehr wohl ein Argument sind, haben Sie mir eine einzige Seite aus Ihrer Jahresrechnung geschickt. Mehr nicht. Das ist nun tatsächlich irritierend und ganz nebenbei – unprofessionell.
Ich habe Ihnen vor längerer Zeit, als wir schon einmal aneinandergeraten sind, angeboten, dass wir uns gerne einmal treffen können und uns über unsere unterschiedlichen Sichtweisen und Auffassungen austauschen können. Das Angebot steht nach wie vor. Mit freundlichen Grüßen, Ihre Katja Dorothea Buck
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