Sinnlos und unmenschlich

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Migrationssteuerung
Ein FDP-Politiker will Flüchtlinge aus Syrien, Irak und Afghanistan nach Ruanda schaffen. Das zeigt, in welche Abgründe die laufende politische Schlammschlacht über die Abwehr von Asylsuchenden führt.

Bernd Ludermann ist Chefredakteur von „welt-sichten“.

Der Migrationsgipfel beim Bundeskanzler ist gescheitert: Die Regierungsparteien und die CDU/CSU-Opposition können sich nicht über neue Schritte gegen „illegale“ Zuwanderung einigen. Dabei sind sie sich inzwischen durchaus einig in dem Ziel, Menschen fernzuhalten, die in Deutschland Schutz vor Krieg oder Verfolgung erbitten; um die sollen sich erst einmal die Staaten an den Außengrenzen der EU kümmern. Strittig ist nur, ob Deutschland sich dabei offen über Völkerrecht und europäisches Recht hinwegsetzen soll, wie der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz und der CSU-Chef Markus Söder es fordern.

Nach den Wahlerfolgen der AfD in Sachsen und Thüringen und dem Terroranschlag in Solingen ist offenbar ein Wettbewerb ausgebrochen, wer die härtesten Schritte gegen unerwünschte Zuwanderung und die schärfsten Schikanen gegen im Land lebende Asylsuchende verlangt. Wie sehr die sogenannten Parteien der Mitte hier Beißhemmungen ablegen, hat kürzlich der Sonderbevollmächtigte der Bundesregierung für Migrationsabkommen Joachim Stamp demonstriert – allerdings, wie er betont, in seiner Rolle als FDP-Politiker: Er schlägt vor, Syrer, Iraker und Afghanen, die über Russland und Weißrussland nach Europa kommen, nach Ruanda zu schaffen. Ob sie Asyl beanspruchen können, solle dort der UN-Flüchtlingskommissar prüfen. Man könne ja die Einrichtungen nutzen, die das kleine ostafrikanische Land bereits für Migranten aus Großbritannien geschaffen habe. Ruanda hatte darüber ein rechtlich zweifelhaftes Abkommen mit London geschlossen, das die neue britische Labour-Regierung widerrufen hat. 

Schreckt Ruanda mehr als der Folterkeller?

Stamp will uns weismachen, dass es die Lage in Deutschland erleichtert, wenn man pro Jahr bis zu 200 Schutzsuchende nach Ruanda deportiert – das war die für den Deal der Briten geschätzte Zahl. Und er behauptet, dass Menschen in Syrien und Afghanistan von einer Flucht über Russland Abstand nehmen und sich lieber mit brutalen Diktaturen und begrenzten Kriegen zu Haus abfinden, wenn sie erfahren, dass sie vielleicht in Ruanda landen könnten. Kein nüchtern denkender Mensch kann das glauben. Und kein zu Mitgefühl fähiger kann es wollen. 

Dass sich dennoch kaum jemand über Stamps Vorschlag aufregt, zeigt, auf welch erschreckendes Niveau die Debatte gesunken ist. Der unter anderem bei den Grünen beliebte Einwand, Vorschläge wie die von Stamp oder auch von Merz und Söder seien rechtswidrig, ist richtig, aber lahm und zweischneidig. Denn er lässt sich auch so verstehen, dass man schon härter vorgehen könnte, wenn man nur dürfte.

Absurde Rezepte werden salonfähig 

Stattdessen wäre es angebracht, unbequeme Wahrheiten offen auszusprechen: Migration lässt sich mit Grenzkontrollen und Abschiebungen erschweren – auf Kosten unserer Nachbarländer und der Migranten –, aber nicht dramatisch verringern. Und die Zahl der Kriegsflüchtlinge sinkt nur, wenn man Kriege beendet. Was Stamp, Merz und Söder, aber auch die Ampel-Koalition vorschlagen, sind Scheinlösungen, die unerfüllbare Erwartungen wecken – etwa, dass die Zuwanderung drastisch sinken und man in Deutschland nicht mehr von Kriegen anderswo belästigt werden möge. Sie tragen nichts dazu bei, Anschläge einzelner Extremisten zu verhindern oder lösbare Folgeprobleme der Zuwanderung zu lindern wie Wohnungsmangel oder Überlastung von Schulen. Und viele sind schlicht unmenschlich gegenüber den Opfern von Kriegen und Diktaturen. 

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Das alles sollte in allen demokratischen Parteien und übrigens auch in den Medien mindestens den Fachleuten bekannt sein. Dennoch meinen die christlichen Parteien und die der Ampel nun, mit Härte gegen Migranten auf Stimmenfang gehen zu müssen. Selbst die Grünen wagen beim Thema keinen klaren Widerspruch mehr, vielleicht aus Angst, gegen einen übermächtigen Strom zu schwimmen. 

Das Ergebnis ist eine öffentliche Debatte, die Vorurteile und Diskriminierung gegenüber Zugewanderten befördert, die Gesellschaft weiter spaltet, kollektives Misstrauen gegenüber Minderheiten nährt und ihre Integration behindert. Das alles macht es schwieriger, Zuwanderung zu bewältigen und damit verbundene Konflikte zu schlichten; dabei ist genau das jetzt die Aufgabe. Stattdessen werden absurde Vorschläge politisch salonfähig gemacht – so wie der von Stamp. Die Rattenfänger von der AfD müssen sich ins Fäustchen lachen.

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