Entwicklung fördern, nicht Repression

Ein vollbesetztes Holzboot auf dem Mittelmeer.
picture alliance / Laurin Schmid
Die EU versucht durch diverse Abkommen mit Ländern wie Tunesien, Ägypten oder der Türkei, Menschen an ihrer Flucht nach Europa zu hindern. Manchen gelingt sie aber doch - häufig mit unsicheren Booten über das Mittelmeer. Dieses Boot mit 64 Passagieren kam Ende Januar 2024 vor der Küste Libyens in Schwierigkeiten. Die Passagiere des Bootes wurden von der NGO SOS Humanity gerettet und an den Hafen Marina di Carrara in Italien gebracht.
Flüchtlingspolitik
Viele Staaten des globalen Südens erzielen inzwischen hohe Einnahmen damit, dass sie Migrantinnen und Migranten auf ihrem Weg in wohlhabendere Staaten zurückhalten. Das schadet den Menschenrechten und der Wirtschaft.

Barbara Erbe ist Redakteurin bei welt-sichten.

In den 1980er Jahren kam in der Politikwissenschaft der Begriff „Ressourcenfluch“ auf. Gemeint ist damit, dass rohstoffreiche Staaten wirtschaftlich langsamer zu wachsen scheinen als rohstoffarme Länder. Die Ursache dafür sehen viele darin, dass sich die Regierungen beispielsweise erdölreicher Staaten so sehr auf den Export ihrer Hauptressource konzentrieren (und sich um die Verteilung der Erlöse daraus streiten), dass sie andere Investitionen vernachlässigen, die das Wachstum eines Staates langfristig treiben und Arbeitsplätze schaffen. 

Mit ihrer Politik zur Begrenzung von Flucht und Migration schaffen nun reiche Staaten einen Ressourcenfluch unter umgekehrtem Vorzeichen: Jetzt erzielen eine Reihe von Staaten des globalen Südens hohe Einnahmen nicht damit, dass sie Bodenschätze an reichere Länder verkaufen, sondern damit, dass sie von eben diesen Ländern Migrantinnen und Migranten fernhalten. Die EU-Staaten, die USA und auch Australien haben in den vergangenen Jahren benachbarten oder nahe gelegenen Ländern per Abkommen Milliardensummen zugesagt, damit diese innerhalb ihrer Grenzen Menschen festhalten, die vor Krieg und Gewalt fliehen oder aus wirtschaftlicher Not in wohlhabendere Staaten gehen möchten. Gerasimos Tsourapas, Professor für internationale Beziehungen an der Universität Glasgow in Schottland, spricht in diesem Zusammenhang von „Flüchtlingsrentierstaaten“.

Türkei lässt syrische Flüchtlinge nicht weiterreisen

Den Anfang dieser Entwicklung machte 2012 die Regierung von Australien, als sie in größerem Ausmaß damit begann, Bootsflüchtlinge, die an australischen Küsten landeten, im Inselstaat Nauru und auf der zu Papua-Neuguinea gehörenden Insel Manus unterzubringen. Im Gegenzug unterstützte Australien die beiden Inseln finanziell und mit Infrastrukturprojekten. Aus Lateinamerika wiederum versuchen Jahr für Jahr Hunderttausende Menschen, durch den Darién-Dschungel zwischen Kolumbien und Panama Richtung USA zu gelangen. Um dies zu verhindern, hat die US-Regierung im Juli 2024 mit der Regierung Panamas ein Abkommen unterzeichnet, demzufolge Panama im Gegenzug für Unterstützungsleistungen von Seiten der USA die Grenzübergänge im Dschungel von Darién sperrt.

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In Europa dürfte das bekannteste Beispiel für derlei Flüchtlingsrentierstaaten die Türkei sein: In einem Abkommen vom März 2016 hat ihr die EU Unterstützung in Höhe von sechs Milliarden Euro zugesagt; dafür versprach die Türkei, Menschen, die vor allem aus Syrien in die Türkei geflüchtet waren, nicht in die EU weiterreisen zu lassen. Ähnliche Abkommen hat die EU seit Mai 2024 mit dem Libanon, seit März 2024 mit Ägypten, seit Februar 2024 mit Mauretanien und seit Juli 2023 mit Tunesien. Noch weiter geht der vorerst gescheiterte Versuch Großbritanniens, durch ein Abkommen mit Ruanda Asylsuchende, die den Ärmelkanal per Boot überquert haben, also bereits im Land sind, zur Bearbeitung ihrer Verfahren in das ostafrikanische Land zu schicken. 

Reiche Staaten hofieren autokratische Regierungen - und machen sich erpressbar

Natürlich brauchen Länder wie die Türkei und der Libanon, die viele Geflüchtete beherbergen, von der internationalen Gemeinschaft starke Unterstützung. Allein das, was im Augenblick stattfindet, wirkt nicht wie Unterstützung in der Not. Stattdessen scheint der Zweck der Zahlungen zu sein, dass die Empfängerländer der Flüchtlingsrenten Asylsuchende und Migranten daran hindern, den wohlhabenden Norden zu erreichen – teils mit immenser Brutalität, vom Aussetzen in der Wüste über Entführungen und Erpressungen bis hin zu sexuellem Missbrauch. 

Gleichzeitig stützen reiche Staaten durch derlei Abkommen autokratische Regierungen, mit denen sie im Sinne einer „wertegeleiteten Außenpolitik“ jede Menge Konflikte über Menschenrechte auszutragen hätten, wenn ihnen nicht die Migrationsabwehr wichtiger wäre.  Mehr noch: Sie machen sich von diesen autokratischen Regierungen erpressbar. Als etwa die türkische Regierung im Februar 2020 ankündigte, Flüchtlinge künftig nicht länger an der Ausreise nach Griechenland zu hindern, erreichte sie damit, dass die EU weitere Finanzzusagen machte und sich mit Kritik am autoritären Auftreten der Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan zurückhielt.  

Anstatt immer wieder neu mehr oder weniger diktatorische Regierungen zu hofieren, vor denen im Lauf der Zeit auch wieder Menschen fliehen, müssen die EU-Staaten, wenn ihnen ihre humanitären Werte wichtig sind, Geld und Mühe in eine durchdachte Förderung legaler Migrationswege und Bildungsprogramme stecken und in Asylverfahren, die internationalem Recht entsprechen. Flüchtlingsrenten dagegen behindern – ganz wie beim  „Ressourcenfluch“ – die wirtschaftliche und demokratische Entwicklung und schaffen so schlimmstenfalls neue Fluchtgründe.

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