Ich war eine der wenigen muslimischen Studentinnen, die Mitte der 1990er Jahre an der katholischen St.-Josephs-Universität in Beirut Geschichte studierten. Dort habe ich auch Kurse über die christlich-muslimischen Beziehungen belegt. In diesem Rahmen wurde ich eingeladen, an Dialogtreffen teilzunehmen. Am Anfang war ich nicht wirklich interessiert.
Warum?
Ich bin in einem Viertel in Beirut aufgewachsen, in dem Christen und Muslime seit Generationen zusammenlebten. Für mich war das völlig normal. Warum also noch mehr an Dialog arbeiten? Doch bei den Dialogtreffen verstand ich dann, dass meine persönliche Erfahrung etwas Besonderes war. Denn die meisten Menschen im Libanon leben in ihren Bezugsgruppen und haben nicht wirklich viel Kontakt mit der jeweils anderen Religion.
Wie war das für Ihre Eltern?
Meine Eltern hatten einen großen Einfluss auf mich. Als 1975 der Bürgerkrieg im Libanon ausbrach, war ich drei Jahre alt. Beirut wurde irgendwann zu einer geteilten Stadt, und von unseren christlichen Nachbarn flohen mit der Zeit immer mehr in den christlichen Teil. Meine Eltern gingen jedoch trotz aller Risiken von Zeit zu Zeit an die Demarkationslinie, um ihre christlichen Freunde zu treffen und zu fragen, wie es ihnen ging.
Gab es für Sie eine Schlüsselerfahrung für den Dialog?
Mit einem Stipendium des Päpstlichen Rates für den interreligiösen Dialog konnte ich ein Semester lang in Rom zu studieren. Neben internationalen Freunden habe ich dort auch einige christliche Freunde aus dem Libanon gefunden. Mit einem saß ich einmal zusammen, und wir kamen auf den Bürgerkrieg zu sprechen. Er wollte wissen, welche Ereignisse für mich in dieser Zeit am schlimmsten waren. Ich dachte sofort an die Massaker in den Flüchtlingslagern von Sabra und Schatila, wo christliche Milizen, unterstützt von den Israelis, viele Hundert palästinensische Flüchtlinge getötet hatten. Für meinen Freund waren jedoch ganz andere Ereignisse belastend, an die ich mich nicht erinnern konnte. Mir wurde klar, dass ich die andere Hälfte des Bürgerkriegs noch gar nicht verstanden hatte.
Wie erklären Sie sich das?
Es ist eine Art von kognitiver Dissonanz, wenn man seine Gruppe nur als Opfer oder nur als die Guten sehen will. Wir haben unterschiedliche Narrative, die auf Emotionen beruhen. Um dem anderen mit Empathie begegnen zu können, ist es wichtig, in ihm nicht sofort einen Verräter zu sehen. Wir müssen auch das Leiden der anderen Seite anerkennen.
Ist das alles, was es für einen Dialog braucht?
Es muss auch eine geistig-theologische Ebene geben. In Rom bin ich ab und zu in die katholische Messe gegangen und habe gelernt, bei welchen Teilen ich mitmachen kann und wo ich eher schweigend sitzen bleibe, zum Beispiel bei den Gebeten über die Dreifaltigkeit. Während dieser Zeit sprach ich meine eigenen Gebete in meinem Herzen. Einmal spürte ich, dass mein Gebet und das Gebet der Christen in der Kirche sich trafen und gemeinsam zu Gott gingen, in einem gemeinsamen Akt des Gebets. Wir müssen uns nicht ähnlich sein, um vereint zu sein. Wir können aus unseren Unterschieden heraus vereint sein. Und das ist eine schöne Erfahrung.
Ist es Ihrer Erfahrung nach möglich, einen religiösen Fanatiker zum Dialog zu bewegen?
Fanatiker kann man nicht überzeugen. Der Dialog ist keine rationale, sondern eine emotionale Angelegenheit. Ob sich die Menschen für den Dialog öffnen, liegt nicht in unserer Hand. Aber wir können Räume schaffen, in denen der Dialog stattfinden kann und die es erlauben, Menschen zu bewegen. Doch wer sich in seiner Identität bedroht fühlt, wird sich nicht öffnen.
Was halten Sie von Konferenzen zum Thema Dialog?
Auf Konferenzen findet kein Wandel statt. Wenn man sich aber wirklich auf den Dialog einlässt, dann hat man irgendwann auch eine gemeinsame Agenda und will sie zum Wohle der Allgemeinheit umsetzen. Bei Adyan nennen wir das, religiöse Verantwortung für die ganze Gesellschaft zu übernehmen, nicht nur für die eigene Gemeinschaft.
Wie bringt man die Leute dazu?
Wir arbeiten weniger an Fragen des Dialogs als vielmehr daran, dass die Menschen lernen, Unterschiede zu akzeptieren und damit umzugehen. Und das tun wir auf verschiedenen Ebenen. Wir gehen in Schulen, geben Schulungen, bieten Online-Tools an, arbeiten mit religiösen Führern und sorgen dafür, dass sie Fragen des öffentlichen Lebens in ihre Arbeit integrieren. Wir organisieren auch gemeinsame spirituelle Veranstaltungen. Und es geht immer darum, in der Vielfalt etwas Positives, etwas Bereicherndes zu sehen.
Das Gespräch führte Katja Dorothea Buck.
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