Das Patronatsfest für San Jerónimo, den Stadtheiligen von Masaya, 30 km nördlich von Managua, war immer ein ausgelassenes, fröhliches Volksfest, geprägt vom Rauch abgeschossener Böller in der Luft und dem Duft gebratener Spieße und hausgemachter Süßigkeiten. Jahr für Jahr scharen sich Menschen um maskierte Tänzer, die zu schriller Musik in althergebrachter Weise die spanischen Konquistadoren veräppeln. Höhepunkt des Festes ist die Prozession, bei der ein hölzernes Standbild des asketischen Heiligen durch die Stadt getragen wird. Diese Mischung aus sakralen und profanen Traditionen ist aus Masaya genauso wenig wegzudenken wie das Kunsthandwerk und die Erinnerung an den vom indigenen Stadtteil Monimbó ausgehenden Volksaufstand gegen die Somoza-Diktatur im Jahr 1978.
Ob diese Feiern dieses Jahr stattfinden können, ist unklar. Am 10. Januar, als man in Monimbó das Fest des Heiligen Sebastian feierte, erschien der Polizeichef des Bezirks, General Juan Valle, mit mehreren Dutzend schwer bewaffneter Anti-Aufruhr-Polizisten und beendete die Feierlichkeiten. Verboten wurden in den ersten Wochen des Jahres auch Umzüge zu Ehren des Heiligen Silvester in der Ortschaft Catarina bei Masaya, die Feierlichkeiten für die Madonna de Candelaria in Diriomo und drei weitere Prozessionen. Als Grund führte die Polizei Sicherheitsbedenken an. Das Verbot der Prozessionen sei „tiefem Hass“ auf die katholische Kirche geschuldet, weil sie „das Unrecht anklagt“, und einer Paranoia des Regimes, das allem misstraue, was es nicht selbst kontrolliere, sagte ein Priester anonym gegenüber der kritischen Online-Zeitung Confidencial.
Diplomatische Beziehungen ausgesetzt
Die nicaraguanische Regierung hat die diplomatischen Beziehungen zum Vatikan im März ausgesetzt, nachdem Papst Franziskus in einem Interview mit der argentinischen Plattform „Infobae“ das Regime von Präsident ...
Ernesto Medina, der ehemalige Rektor der Nationaluniversität in León und guter Kenner der nicaraguanischen Kirche, sieht die Sache etwas differenzierter: „Es gibt Pfarreien mit kritischen Priestern, und dort hat das Regime Angst, dass die Leute außer Kontrolle geraten könnten.“ Medina lebt im Exil wie die meisten Intellektuellen, die einmal die Stimme gegen den autoritären Staatschef Daniel Ortega und seine nicht minder machthungrige Ehefrau und Vizepräsidentin Rosario Murillo erhoben haben. Was es in Nicaragua an politischer Opposition gegeben hat, ist in den vergangenen Jahren hinter Gitter gesperrt worden oder aus dem Land geflohen.
26 Jahre Haft für den bischöflichen „Vaterlandsverräter“
Die katholische Kirche ist so für das autoritäre Regime zur gefährlichsten Gegnerin geworden. Denn sie ist die einzige organisierte Kraft, die nicht von Daniel Ortega und seiner Frau kontrolliert wird. Über 4000 NGOs wurden in den letzten Jahren aufgelöst, Parteien verboten oder unterwandert, Oppositionelle ins Exil getrieben. Nach der Ausweisung und Ausbürgerung von 222 politischen Gefangenen am 9. Februar verbleiben nach Angaben von Menschenrechtsgruppen noch 39 Gewissensgefangene in den Kerkern Nicaraguas – darunter Rolando Álvarez, der Bischof von Matagalpa, der sich geweigert hat, das Flugzeug in die Verbannung nach Washington zu besteigen. Sein Prozess wurde daraufhin vorverlegt und im Eiltempo durchgezogen. Nach dem Aufmarsch von Zeugen der Anklage verkündete der hörbar alkoholisierte Richter Octavio Rothschuh das Urteil: Der „Vaterlandsverräter“ Rolando José Álvarez Lagos werde wegen „Schädigung der staatlichen Souveränität“ und „Verbreitung von Falschmeldungen“ zu 26 Jahren und vier Monaten Haft und dem Verlust der Staatsbürgerschaft verurteilt.
Rolando Álvarez war im vergangenen August gemeinsam mit weiteren Geistlichen in der Diözese Matagalpa festgenommen worden, die örtlichen Radiosender der Kirche von der Polizei geschlossen. Sieben der Kleriker sind inzwischen wegen „Vaterlandsverrats“ zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Sie haben sich allerdings anders als Bischof Álvarez nicht geweigert, ihre Staatsbürgerschaft gegen die Freiheit einzutauschen.
Das Verhältnis der Familie Ortega zur katholischen Kirche hat sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte verändert. Als der junge Comandante Daniel Ortega in den 1980er Jahren erst Chef einer Revolutionsjunta und dann ab 1985 gewählter Präsident im revolutionären Nicaragua war, erfreute sich die Befreiungstheologie, die keinen Widerspruch zwischen Marxismus und Glauben erkennen wollte, eines quasi offiziellen Status. Vertreter dieser sozial engagierten Glaubensrichtung, allen voran die Brüder Ernesto und Fernando Cardenal, aber auch der Maryknoll-Ordensmann Miguel d‘Escoto Brockmann bekleideten Ministerämter.
Autor
Ralf Leonhard
war bis zu seinem plötzlichen Tod im Mai 2023 freier Journalist in Wien und ständiger Korrespondent von "welt-sichten".Dagegen predigte Erzbischof Miguel Obando y Bravo, ein überzeugter Verfechter der traditionellen konservativen Kirche, jeden Sonntag gegen die „gottlosen“ Machthaber der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) unter Ortega, die 1979 den raffgierigen und brutalen Diktator Anastasio Somoza gestürzt hatte. Obando wurde für seine Haltung vom damaligen Papst Johannes Paul II. mit der Kardinalswürde geadelt und scheute sich nicht, für die „Contras“, die von den USA finanzierten und militärisch aufgerüsteten Konterrevolutionäre, in Miami eine Messe zu lesen.
Die Sandinistische Revolution verkümmerte dann im wirtschaftlich-militärischen Würgegriff der USA zu einem Überlebenskampf mit Hilfe der Sowjetunion. Nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Lagers in Europa wurde Daniel Ortega 1990 abgewählt und musste 17 Jahre warten, bis er an die Macht zurückkehren konnte. Um die Wahlen 2006 zu gewinnen, hatte er erfolgreich gegen die Liberal-Konstitutionalistische Partei intrigiert, bis die sich spaltete, und sich mit Kardinal Obando y Bravo versöhnt. Dazu brachte die Sandinistische Fraktion wenige Tage vor den Wahlen das schärfste Abtreibungsgesetz der Welt durch die Nationalversammlung. Seither wird jede Fehlgeburt als Kindsmord vor Gericht gebracht und weder Inzest noch Vergewaltigung rechtfertigen einen Schwangerschaftsabbruch. Die Bischöfe waren zufrieden und Obando spielte fortan dankbar die Rolle des katholischen Maskottchens für Ortega und seine Frau.
Ein Volksaufstand brachte Ortega 2018 an den Rand der Niederlage
Die FSLN hatte sich 1994 in der Opposition gespalten. Ortegas mit antiimperialistischer Rhetorik verbrämter autoritärer Charakter hatte immer mehr Weggefährten verprellt, darunter die meisten Künstler und Intellektuellen, die der Revolution ein fröhliches und weltoffenes Gesicht verliehen hatten. Inzwischen hat sich Ortega dreimal wiederwählen lassen. Die Oppositionsparteien ließ er verbieten oder unterwandern. Massiver Wahlbetrug ist dokumentiert. Unabhängige informelle Wahlbeobachter schätzten die Stimmenthaltung bei der letzten Wahl Ende 2021 auf 80 Prozent. Die FSLN hält jetzt 89 von 91 Sitzen in der Nationalversammlung und regiert in allen 153 Gemeinden. Willfährige Richterinnen und Richter urteilen auf Zuruf nach Gesetzen, die jede kritische Äußerung kriminalisieren, und sei es das Schwenken einer Nationalflagge.
Die Friedhofsruhe haben im April 2018 zunächst friedliche Demonstrationen unterbrochen. Als die Polizei und organisierte Schlägerbanden brutal einschritten, geriet die Protestbewegung zum Volksaufstand, der Ortega an den Rand der Niederlage brachte. Er ließ sich auf einen von der Kirche vermittelten und moderierten Nationalen Dialog mit Vertreterinnen und Vertretern der Zivilgesellschaft ein. Diese Rolle hatte Nicaraguas Kirche auch schon zu Zeiten der Somoza-Diktatur erfolgreich gespielt.
Da die Bischofskonferenz 2018 weder den Aufstand verurteilt, noch klar für die Rebellion Partei ergriffen hatte, konnte sie glaubwürdig für ein Ende des Blutvergießens eintreten. Als Forum stellte sie ein Priesterseminar in Managua zur Verfügung. Bischof Rolando Álvarez fungierte als Koordinator von Begegnungen, bei denen aber keinerlei Annäherung stattfand. Während die Delegierten der Aufständischen den sofortigen Rücktritt Ortegas forderten, verlangte das Regime die Aufhebung der Straßensperren, die nicht nur den Verkehr in Managua lähmten, sondern landesweit die Wirtschaft zum Erliegen brachten. Der Dialog endete rasch in einer Sackgasse, der Aufstand wurde nach drei Monaten unter Einsatz von schweren Waffen und paramilitärischen Killern im Blut von über 300 Regimegegnern erstickt. Aus der Sicht Ortegas gaben die Bischöfe ihre neutrale Position auf, als sie eine Gruppe von Studenten, die vor der blutigen Einnahme der besetzten Nationaluniversität in eine Kirche geflüchtet waren, aus dem Gotteshaus eskortierten.
Seigt 2006 mit den konservativsten Kirchenvertretern verbündet
Nicaraguas katholische Kirche als Institution hat das Abgleiten Ortegas auf einen autoritären Kurs lange Zeit kaum kritisiert. Einzelne Würdenträger wie Weihbischof Silvio Báez, der gegen die flagranten Menschenrechtsverletzungen die Stimme erhob, waren die Ausnahme. So ist Bischof Rolando Álvarez, der den Nationalen Dialog koordiniert hatte, zum prominentesten kirchlichen Hassobjekt der Sandinisten geworden. Der Bischof der Diözese Matagalpa war erstmals 2015 aufgefallen, als er die Einwohner der Gemeinde Rancho Grande im Widerstand gegen eine geplante Goldmine unterstützte.
Bildete früher die linke Befreiungstheologie einen Stützpfeiler der Revolution, so hat sich Ortega seit 2006 mit den konservativsten Vertretern der Kirchen im Land verbündet. Dazu zählen die zahlreichen evangelikalen Kirchen ebenso wie der Kern der katholischen Bischofskonferenz.
Pfingstkirchen, die den Gehorsam gegenüber der weltlichen Macht predigen, werden von der Regierung gehätschelt: Die größten Gebäude, die in den letzten Jahren in Managua gebaut wurden, sind evangelikale Tempel. Eine evangelikale Partei, Camino Cristiano Nicaragüense (CCN), gehört zu den wenigen politischen Kräften, die noch nicht verboten oder zerschlagen wurden. Bei den Wahlen 2021 eroberte sie mit drei Prozent der Stimmen zwei Parlamentssitze.
Die Mehrzahl der Bischöfe übt sich in Neutralität
Die katholische Kirche, der immer noch eine Mehrheit der Bevölkerung anhängt, ist komplexer. Während René Sándigo, der Bischof von León, offen als Apologet des Regimes auftritt, üben sich die meisten Bischöfe in Neutralität, allen voran der konfliktscheue Kardinal Erzbischof Leopoldo Brenes. Umso auffälliger sind Stimmen, die Klartext reden. So etwa einzelne Priester, die sich mit Protesten gegen einen geplanten Kanalbau quer durch das Land solidarisierten, oder Bischöfe, die – wenn auch oft verklausuliert – Willkür und Machtmissbrauch anprangerten. Es sind keine ideologisch sattelfesten Befreiungstheologen – die spielen kaum noch eine Rolle – sondern Leute, die das Ohr am Volk haben. Seit 2018 traut Ortega keinem der Bischöfe mehr über den Weg.
Er sei besessen von der Vorstellung, dass die USA und die katholische Kirche den „Putschversuch“ 2018, also den Volksaufstand, organisiert hätten, sagte Dora María Téllez kurz nach ihrer jüngsten Freilassung. Sie sei bei den ständigen Verhören immer wieder gedrängt worden, diesen Verdacht zu bestätigen. Seit Silvio Báez ins Exil und Rolando Álvarez ins Gefängnis geschickt wurden, herrscht Friedhofsruhe.
Leopoldo Brenes, Kardinal Erzbischof von Managua und Vorsitzender der Bischofskonferenz, muss sich vorwerfen lassen, auf die Verfolgung seiner Glaubensbrüder zu lauwarm zu reagieren. Während sein Kollege im benachbarten Honduras, Kardinal Óscar Andrés Rodríguez, nach der Verurteilung von Álvarez offen sagte „Im Nachbarland werden alle, die anders denken als die Diktatoren, die Freiheit, Wahrheit und Gerechtigkeit unterdrücken, der Freiheit beraubt“, rief Brenes in einer Sonntagspredigt zur Versöhnung mit den Unterdrückern auf: „Wenn Gesetze verdreht werden, wenn Situationen herrschen, die dem Denken Gottes entgegengesetzt sind, ruft der Herr – wie wunderbar, nicht wahr? – zur Vergebung auf.“
Ortega verbietet indessen weiterhin Prozessionen und Kirchenfeste und spricht Priestern die demokratische Legitimation ab. Bei einer Ansprache Ende Februar schleuderte er den Bischöfen und dem Papst entgegen: „Das Volk soll entscheiden und nicht die Mafia im Vatikan.“
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