Religiös unmusikalisch

Ein Schamane beim Gebet.
Planet One Images/Universal Images Group via Getty Images
Ein Schamane betet bei einer Segnungszeremonie in Pillkukayna am Titicacasee.
Ampel-Regierung
Ohne zu verstehen, woran Menschen glauben und welche Folgen das hat, lässt sich keine vernünftige Außen- und Entwicklungspolitik machen. Gerät das in der Bundesregierung in Vergessenheit? Eine Spurensuche.

Als Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) Ende November letzten Jahres eine Konferenz zur Spiritualität indigener Völker eröffnete, fragte sie das Publikum: „Woran glauben Sie eigentlich? Glauben Sie – hier und gerade in dieser Zeit – an den Weihnachtsmann? An das Christkind? Versuchen Sie Ihre Kinder in diesem Glauben zu bestärken?“ So manchem Teilnehmer ist das damals sauer aufgestoßen, dass Schulze bei diesem Thema als erstes der Weihnachtsmann und das Christkind eingefallen sind. Manch einer sah sich in seinem Urteil bestätigt: Diese Ministerin hat kein Interesse an und kein Gespür für den Zusammenhang zwischen Religion und Entwicklungspolitik. 

Fast zur selben Zeit musste sich Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) ähnliche Kritik anhören. Als sich Anfang November die G7-Außenminister auf Einladung von Baerbock im Rathaus von Münster trafen, war dort vorher ein altes Holzkreuz zur Seite geräumt worden – warum auch immer. Zudem war bekannt geworden, dass das Auswärtige Amt auch unter seiner neuen Chefin keine Religionsvertreter mehr als Berater für den Arbeitsbereich „Religion und Außenpolitik“ anheuern würde; vorherige Verträge waren schon unter Baerbocks Vorgänger Heiko Maas (SPD) ausgelaufen. Für die Opposition und reißerische Medien war beides ein gefundenes Fressen: Die Ampel-Regierung hat mit Religion nichts am Hut und will sie aus der Politik verdrängen! Und auch manche Fachleute sahen düster voraus: Initiativen vorheriger Bundesregierungen, Religion und Spiritualität in der Außen- und in der Entwicklungspolitik stärker zu berücksichtigen, würde wohl bald einen leisen Tod sterben.

Gespräche mit etlichen sehr gut informierten Beteiligten und Beobachtern, die nicht namentlich genannt werden wollen, ergeben ein differenzierteres Bild: Richtig ist, dass an der Spitze sowohl des Auswärtigen Amts (AA) als auch des Entwicklungsministeriums (BMZ) – bei den Ministerinnen und bei Staatssekretärinnen und Staatssekretären – das Interesse am Thema Religion deutlich nachgelassen hat. Das gilt zudem für die Berliner Blase generell: Der Anteil konfessionsloser Bundestagsabgeordneter wächst immer schneller; bei der SPD und bei den Grünen hat er sich allein in den vergangenen zehn Jahren auf jeweils gut zehn Prozent mehr als verdoppelt. Doch auf der Arbeitsebene in den beiden Ministerien halten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Engagement aufrecht und versuchen in ihren Häusern ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wenn auch unter erschwerten Bedingungen.

Beachtliche Expertise erarbeitet

Rückblick: Vor neun Jahren beauftragt das BMZ die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) mit einem sogenannten Sektorvorhaben, das das Ministerium beraten soll, wie das Potenzial von Religionen für Entwicklungs- und Friedensarbeit genutzt werden kann. Das Thema ist ein Herzensanliegen von Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU), der ein Jahr zuvor ins Amt gekommen ist. 2016 legt das BMZ ein Strategiepapier mit dem Titel „Religionen als Partner in der Entwicklungszusammenarbeit“  vor. 

Im selben Jahr richtet Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) in ähnlicher Absicht in seinem Haus ein neues Referat „Religion und Außenpolitik“ ein. Steinmeiers Nachfolger und Parteigenosse Sigmar Gabriel gründet kurz darauf eine Task Force zur Friedensverantwortung von Religionen. All das geschieht, weil sich in BMZ und AA die Einsicht verbreitet, dass Außen-, Friedens- und Entwicklungspolitik nicht sinnvoll gestaltet werden können, ohne zu wissen, woran die Menschen glauben, an die diese Politik adressiert ist. Zumal in den Ländern des globalen Südens, in denen sich viel mehr Menschen zu einer Religion bekennen und diese leben als im zunehmend säkularisierten Westen.

In den folgenden Jahren erarbeiten sich beide Ressorts eine beachtliche Expertise zu diesen Fragen; manche sagen: Deutschland war international ganz vorne dabei, wenn es um den Zusammenhang von Religion und Außen- beziehungsweise Entwicklungspolitik geht. Seit die Ampel regiert, geht es hingegen eher ums Überleben. Das Sektorvorhaben der GIZ wurde zwar gerade erst um zwei Jahre bis März 2025 verlängert, muss aber mit deutlich weniger Geld auskommen: Das Budget wurde von zehn Millionen Euro für die vorherige gut dreijährige Phase auf vier Millionen Euro für die kommenden zwei Jahre gekürzt. 

Fraglich ist zudem, wie es mit der im Jahr 2016 von Deutschland initiierten internationalen Partnerschaft für Religion und nachhaltige Entwicklung (PaRD) weitergeht. Das Netzwerk aus gut 150 religiösen Organisationen aus aller Welt, Entwicklungsagenturen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie einigen Regierungen dient dem grenzüberschreitenden Aufbau und Austausch von Wissen. Die Kosten für das bei der GIZ angesiedelten PaRD-Sekretariats trägt vor allem das Entwicklungsministerium – und das hat deutlich gemacht, dass es dazu nicht länger bereit ist und das Engagement auf mehr Schultern verteilt sehen will. Neue Geber müssen also gefunden werden – nicht leicht in Zeiten, in denen selbst bisherige entwicklungspolitische Musterknaben wie die nordischen Länder ihre Budgets für Entwicklungszusammenarbeit teilweise drastisch zusammenstreichen.

Ein dürrer Satz im Koalitionsvertrag

Vor der Bundestagswahl im September 2021 hatten Mitglieder des BMZ-Thementeams Religion, dem Vertreter der Regierung, der Wissenschaft sowie von religionsbasierten Hilfswerken angehören, in einem Positionspapier erklärt, warum die kommende Regierung die bisherigen Initiativen zur Religion in der Außen- und Entwicklungspolitik fortsetzen sollte. Und sie hatten einen Absatz formuliert, wie sich das ihrer Ansicht nach in einem Koalitionsvertrag niederschlagen könnte. Aus dem Absatz wurde im Koalitionsvertrag der Ampel ein dürrer Satz: „Wir stärken (…) den Bereich Religion und Außenpolitik“, heißt es darin auf Seite 100. Zum Zusammenhang zwischen Religion und Entwicklungspolitik findet sich in dem Vertrag gar nichts.

Autor

Tillmann Elliesen

ist Redakteur bei "welt-sichten".
Wen man auch fragt, mit Blick auf die beiden Ministerinnen Baerbock und Schulze heißt es übereinstimmend, sie hätten keinen Draht zur Religion, seien religiös „unmusikalisch“ oder gar „ignorant“ – und machten letztlich auch gar kein Geheimnis daraus, dass sie das nicht sonderlich interessiert. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den zuständigen Referaten sowie im Sektorvorhaben bei der GIZ müssen also dickere Bretter bohren als unter früheren Regierungen, um bis zu den Spitzen ihrer Häuser vorzudringen. Es werden ihnen keine Steine in den Weg gelegt, aber es herrscht ganz oben auch nicht gerade Begeisterung. Auf der Arbeitsebene hingegen läuft es offenbar: Das BMZ-Thementeam trifft sich zweimal jährlich und steht zudem im Kontakt zu den zuständigen Mitarbeitern im Auswärtigen Amt.

Schulze und Baerbock haben andere Prioritäten, unter anderem die feministische Außen- und Entwicklungspolitik. Diese bietet eigentlich viele Schnittstellen zu Fragen der Religion. Denn wie lässt sich etwa in Afrika feministisch arbeiten, ohne zu verstehen, in welche Glaubens- und Wertesysteme Männer und Frauen dort eingebunden sind? In den Strategiepapieren dazu, die die Ministerinnen Anfang März vorgestellt haben, kommt dieser Aspekt allerdings nur am Rande vor. Im Konzept des Auswärtigen Amts taucht der Begriff Religion lediglich fünf Mal auf: vier Mal zusammen mit anderen Anknüpfungspunkten für Diskriminierung und einmal im Zusammenhang mit einem Projekt in Äthiopien, wo Religionsführer über die Folgen weiblicher Genitalverstümmelung aufgeklärt worden seien. 

Ähnlich im feministischen Strategiepapier des BMZ, in dem Religion ebenfalls vor allem im Zusammenhang Diskriminierung genannt wird. Immerhin heißt es dort aber auch, religiöse Autoritäten sollten gezielt als „wichtige Agents of Change“ angesprochen werden; die Zusammenarbeit mit religiösen und traditionellen Entscheidungsträgern und ihre Mobilisierung seien „für gesellschaftlichen Wandel zentral“.

Der Beauftragte für Religionsfreiheit als Hoffnungsträger

Als Hoffnungsträger für alle, die engagiert zur Religion in der Außen- und Entwicklungspolitik arbeiten, gilt der Beauftragte der Bundesregierung für Religions- und Weltanschauungsfreiheit, Frank Schwabe. Der SPD-Mann habe es verstanden, heißt es, das Engagement für das Menschenrecht Religionsfreiheit mit einem Plädoyer für – wie es im Jargon heißt – „religious literacy“ zu verbinden. Also mit dem Bemühen, wirklich zu verstehen, woran Menschen glauben, warum sie das tun und welche Folgen das hat. 

Darum ging es auch auf der von Schwabe initiierten Konferenz zur Spiritualität von Indigenen im vergangenen November. Dort wurde unter anderem deutlich, welche große spirituelle Bedeutung Land für viele indigene Völker und Gruppen hat – und dass es folglich etwa in der Rohstoffpolitik nicht nur um Land- und Menschenrechte sowie Umweltschutz geht, sondern auch um Fragen des Glaubens. Im September wird Schwabe seinen ersten Bericht als Beauftragter für Religionsfreiheit vorlegen. Darin soll es auch ein Kapitel geben, das erklärt, warum Religion für nachhaltige Entwicklung wichtig ist – es wäre das erste Mal, dass dieser Zusammenhang in einem Bericht des Beauftragten aufgegriffen wird, seit es das Amt gibt.

Ein Verständnis von „religious literacy“, dem Schwabe anhängt, geht darüber hinaus, Religionen und religiöse Autoritäten bloß als Mittler zu sehen, über die bestimmte Ziele beziehungsweise Zielgruppen erreicht werden können. Solch eine Instrumentalisierung von Religion stößt nicht zuletzt bei kirchlichen Hilfswerken auf Ablehnung. Religion, religiöse Autoritäten und vor allem auch religionsbasierte Partner wie Gemeinden und Kirchen im globalen Süden dürfen nicht auf ein Mittel zum Zweck reduziert werden, heißt es da. 

Die Sorge, genau das könne passieren, war einer der Gründe dafür, dass einige Hilfswerke skeptisch waren, als sich das BMZ unter Gerd Müller auf einmal so stark für die Religion zu interessieren begann. Heute sind die Bedenken schwächer, im Gegenteil: Die großen kirchlichen Hilfswerke sind im BMZ-Thementeam dabei, der Austausch und die Zusammenarbeit laufen offenbar gut. 

Ein kritischer Blick auf das Wirken von Auswärtigem Amt und Entwicklungsministerium ist aber weiter nötig. Denn angesichts des dürftigen Interesses der beiden Ministerinnen besteht die Gefahr, dass in beiden Häusern ein eher instrumentelles Interesse an der Religion die Oberhand gewinnt. In den feministischen Strategiepapieren von Baerbock und Schulze blitzt das bereits auf.

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..ohne Religion geht es eben nicht..Bei meinen Feldstudien auf dem Land in Kenia sagten die Einheimischen mir ( als Europäer) auf den Kopf zu; „Ihr glaubt ja nicht an Gott, sondern nur an die Autos und das Geld“..womit schon alles gesagt ist: wir versuchen Ihnen Rationalität als Entwicklungspolitik zu vermitteln, sie aber sind wie John Mbiti in „African Religion and philosophy“ so treffend zusammenfasst: „die Afrikaner sind notorisch religiös“...Es sind aber nicht nur die Afrikaner, sondern eigentlich der ganze Rest der Welt, Europa und USA nur mit Einschränkungen. Daher wird eine Entwickungspolitik ohne religöse Komponente immer nur Stückwerk bleiben.. es fehlt eben das Charisma! Oder wie Tilman Elliesen richtig sagt: Es fehlt der Geist............

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erschienen in Ausgabe 2 / 2023: Religion und Frieden
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