Wir gehörten zu den ersten NGOs, denen die Regierung von Narendra Modi die Lizenz entzogen hat, ausländisches Geld anzunehmen“, berichtet Martin Macwan in der indischen Millionenstadt Ahmedabad. „Unsere Tätigkeit schade dem nationalen Interesse Indiens“ sei damals die Begründung der Behörden gewesen.
Der von dem Christen Macwan gegründete Navsarjan Trust gewährt Dalits, kastenlosen Hindus, Rechtshilfe gegen Diskriminierung und Hassverbrechen von Seiten Angehöriger höherer Kasten. Wegen des Verbots, ausländische Spenden anzunehmen, ist der Trust heute nahezu gelähmt. So wie viele der rund 20.000 Organisationen in Indien, die Menschenrechte verteidigen und aus Europa und den USA mitfinanziert werden.
Jahrzehntelang haben indische Regierungen mit nichtstaatlichen Organisationen kooperiert. Gemeinsam bekämpfte man Armut und erarbeitete Gesetze – etwa zur Ernährungssicherung und gegen häusliche Gewalt und Hassverbrechen an Frauen, Dalits oder Adivasi: Gesetze auch, die die Schwächsten der Gesellschaft zu Landnutzung und politischer Teilhabe berechtigen. Bis heute jedoch stehen viele dieser Gesetze nur auf dem Papier, und Menschenrechtsorganisationen versuchen in mühsamer Kleinarbeit, sie Stück für Stück durchzusetzen.
Demonstrationen nur noch auf abgelegenen Plätzen
Nichtstaatliche Organisationen demonstrieren, wenn wieder mal Aktivisten verhaftet worden sind – obwohl die Behörden Demonstrationen nur noch auf abgelegenen Plätzen dulden, umzingelt von Straßensperren und Polizei, weitab von der Öffentlichkeit. NGOs prozessieren gegen Bergbau- und Staudammprojekte, die Kleinbauern ihres Landes berauben oder Umwelt und Klima schädigen. Graswurzelorganisationen ermutigen kastenlose Bäuerinnen, sich weder vom eigenen Mann noch von Angehörigen höherer Kasten misshandeln zu lassen. Mithilfe der NGOs kämpfen die Frauen auch für ihr Recht auf Landbesitz.
Biraj Patnaik, ein weltweit renommierter Menschenrechtler, leitet die National Foundation for India. Die vor 30 Jahren von prominenten Indern gegründete Stiftung fördert kleine NGOs. Ihr Budget von mehreren Millionen Euro jährlich wird zum größeren Teil aus dem Ausland finanziert. „Wir sind vorsichtig“, sagt Patnaik. Soziale Realität mithilfe offizieller Daten zu analysieren und agitatorische Sprache zu vermeiden, helfe dabei, nicht ins Visier der Behörden zu geraten.
Die Haltung der BJP-Regierung gegenüber kritischen NGOs erklärt sich für Biraj Patnaik aus der Ideologie der Partei, eines Ablegers der hindu-nationalistischen Organisation RSS. Hindutva wird diese Ideologie genannt, Kritiker bezeichnen sie als faschistisch. Ihr Ziel ist eine von Hindus beherrschte Großmacht Indien, frei von ausländischen kulturellen und religiösen Einflüssen.
Ausländisch finanzierte NGOs im Fadenkreuz
Autor
Toni Neumann
ist Journalist und schreibt hier unter Pseudonym. Der richtige Name ist der Redaktion bekannt.Regierungsnahe soziale Medien, Zeitungen und Fernsehsendungen diffamieren denn auch kritische NGOs als unpatriotisch. Hilfreich dabei ist, dass die meisten Medien Indiens regierungsnahen Unternehmen gehören. Im Index für Pressefreiheit der Reporter ohne Grenzen ist Indien 2022 von Platz 142 auf Platz 150 von 179 abgesackt.
Neben der Diffamierung nutzt die Regierung gegen Kritiker auch Anti-Terror- und Geldwäschegesetze. Vertreter von Minderheiten, Journalisten und andere Menschenrechtsverteidiger sehen sich plötzlich als Verbrecher etikettiert.
ins Gefängnis gebracht.
Beispiele: Der 84-jährige Jesuitenpater Stan Swamy, der sich für Indiens Urbevölkerung einsetzte, wurde im Oktober 2020 unter Terrorverdacht verhaftet. Er starb am 5. Juli 2021 in Untersuchungshaft. Der Journalist Mohammed Zubair, Mitbegründer der indischen Fact Checking-Website Alt News, wurde im Juni 2022 unter dem Vorwurf festgenommen, Muslime zum Hass aufgestachelt zu haben. Zur selben Zeit wurde die Trägerin des Internationalen Nürnberger Menschenrechtspreises Teesta Setalvad verhaftet. Sie habe zu Unrecht Regierungschef Modi beschuldigt, 2002 (damals als Premier Gujarats) Hindu-Ausschreitungen gegen Muslime angeheizt zu haben. Rund 10.000 lokale Aktivisten und Demonstranten sitzen zudem, teils seit Jahren, in Untersuchungshaft, schätzen Gesprächspartner.
Bürokratie-Terror als Zermürbungstaktik
Eine weitere Waffe der Regierung gegen kritische NGOs sei Bürokratie-Terror, berichtet eine Anwältin in Chennai, die aus Angst vor Repressalien nicht namentlich genannt werden will. Zahllose Organisationen würden von Polizei und Geheimdiensten tyrannisiert. „Alle ihre Aktivitäten werden überwacht; ständig werden die Finanzen geprüft, öffentliche Veranstaltungen werden verboten und Vermietern werden Steuerprüfungen angedroht, sollten sie an die NGO vermieten.“
Solche Zermürbungstaktik lasse immer mehr NGOs aufgeben, sagt die Anwältin. Noch effizienter aus Sicht der Regierung jedoch sei es, kritischen NGOs einfach den Geldhahn zuzudrehen. Und genau dazu nutze die BJP-Regierung das seit 2010 existierende Gesetz über ausländische Finanzzuwendungen (FCRA). Das Gesetz begrenzt Lizenzen, solches Geld anzunehmen, auf fünf Jahre. Danach müssen sie neu beantragt werden.
Früher war das eine Routineangelegenheit. Ganz anders heute: People‘s Watch etwa, eine südindische Menschenrechtsorganisation, ist seit 2016 von ausländischem Geld abgeschnitten. Und jetzt werde man auch noch von der indischen Bundespolizei CBI drangsaliert, berichtet der Leiter der Organisation Henri Tiphagne. „Am 8. Januar 2022 stand ein Agent des CBI vor der Tür. Er wolle unsere FCRA-Buchhaltung von 2008 bis 2013 prüfen, sagte er – obwohl ich Finanzunterlagen nur sieben Jahre lang aufbewahren muss.“ Tatsächlich bewahrt Tiphagne alle Unterlagen unbegrenzt auf. Und so wälzt der CBI-Agent seit Monaten Aktenordner im People’s-Watch-Büro.
Mehrere hundert nichtstaatliche Organisationen hätten in den letzten Jahren ihre FCRA-Lizenz verloren, berichtetet in Delhi ein Anwalt, der NGOs vor dem Obersten Gerichtshof vertritt und auch nicht mit Namen genannt werden will. Als Begründung für den Lizenzentzug nenne die Regierung meist „unpatriotisches Verhalten, das nationalen Interessen schade“.
Zu den betroffenen Organisationen zählen auch die Commonwealth-Menschenrechtsinitiative, Oxfam India, Greenpeace India und Amnesty International India. Auf einer schwarzen Liste ausländischer Organisationen, die Geld nur noch mit Einzelgenehmigung für jede Zahlung nach Indien schicken dürfen, stehen zum Beispiel die niederländische Entwicklungsorganisation Cord Aid, die amerikanische Ford Foundation, das Kinderhilfswerk Compassion International und George Soros‘ Open Society Foundation.
Lizenzen bloß noch für jeweils drei Monate
Rund 16.000 Organisationen bekommen derweil ihre auslaufenden Lizenzen, ausländisches Geld zu nutzen, nur noch provisorisch verlängert – für jeweils drei Monate. Bei all diesen Organisationen herrsche große Sorge, ob ihre Lizenz tatsächlich erneuert wird, berichtet Biraj Patnaik. „Mit provisorischen Verlängerungen alle drei Monate kannst du ja überhaupt nicht planen. Du kannst keine Mitarbeiter einstellen und kein neues Programm beginnen.“
Dies auch deshalb, weil ausländische Geber zunehmend auf Distanz gehen zu indischen NGOs, die keine gesicherte FCRA-Lizenz besitzen. „Geber wollen Sicherheit, was mit ihrem Geld geschieht“, sagt die genannte Anwältin in Chennai. „Und diese Sicherheit haben sie nicht, wenn die Empfänger-NGO im Clinch liegt mit ihrer Regierung.“
In einen wahren Albtraum stürzte Indiens Regierung die Organisationen schließlich, als sie 2020 das FCRA drastisch verschärfte. NGOs, die mit ausländischem Geld arbeiten, dürfen seitdem nicht mehr 50, sondern nur noch 20 Prozent ihres Budgets für Verwaltungskosten ausgeben. Und als Verwaltungskosten zählen jetzt sämtliche Personal- und Betriebskosten, die nicht der Erbringung von Dienst- und Sachleistungen dienen.
Nur karitative Organisationen werden nicht lahmgelegt
Eine perfide und zielgenau konzipierte Regel: „NGOs, die vor allem Sachleistungen erbringen, können mit ihr leben“, erklärt Biraj Patnaik. Ganz anders als nichtstaatliche Organisationen, die zu sozialen Fragen forschen, Berichte veröffentlichen und Kampagnen organisieren. Die Kosten dafür stufen die Behörden als Verwaltungskosten ein. Und genau das ist der Zweck der 20-Prozent-Regel. „Sie stellt sicher, dass nur karitative Organisationen ausländisches Geld wirklich nutzen können. Menschenrechtsorganisationen aber werden lahmgelegt.“
Eine weitere neue Regel sagt: Vom Ausland finanzierte Organisationen dürfen kein Geld mehr weitergeben an Graswurzel-NGOs, die Programme in Dörfern und Slums praktisch umsetzen. Die meisten Menschenrechtsorganisationen aber arbeiten traditionell mit lokalen Partnern. Denn die kennen ihre Klientel und operieren deshalb besonders effizient. Tausende kleine Organisationen haben aufgrund der neuen Regel inzwischen geschlossen.
Unter dem steten Druck der Regierung haben auch die meisten direkt vom Ausland finanzierten Menschenrechts-NGOs ihr Personal reduziert – um meist 50 bis 70 Prozent. Und rund 6000 Organisationen haben nach dem Auslaufen ihrer FCRA-Lizenz keinen Neuantrag mehr gestellt. Sie sehen sich mit der Bürokratie überfordert.
Andere Organisationen strengen Gerichtsprozesse gegen das Innenministerium an. „Solche Verfahren aber ziehen sich jahre- oder gar jahrzehntelang hin“, meint die Menschenrechtsanwältin in Chennai. „Das Gerichtsverfahren ist somit schon die Strafe: Du bist, solange es läuft, gelähmt. Deine Organisation zerfällt, du musst deine ganze Energie und Zeit auf Papierkrieg konzentrieren.“
Deutsche „Wertepartnerschaft“ mit der Modi-Regierung
Ein Großteil der Menschenrechts- und Umweltschutzarbeit in Indien sei inzwischen ausgeschaltet, sagen fast alle Gesprächspartner vor Ort. Und viele verstehen nicht, warum die Außenwelt schweigend zuschaut, wie Indiens Regierung große Teile der Zivilgesellschaft brachial zerstöre. Europäische Regierungen dächten nur an ihre geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen, sagt Martin Macwan vom Navsarjan Trust. Dass Deutschlands Außenministerin bei ihrem jüngsten Indien-Besuch im Dezember 2022 eine „Wertepartnerschaft“ mit der Modi-Regierung festgestellt habe, verhöhne die Menschenrechtler im Lande, sagt ein anderer NGO-Vertreter.
In großen Geber-Hilfswerken und -Stiftungen grassiert derweil die Angst, indische Partner gar nicht mehr unterstützen zu dürfen. Dass sie deshalb schweigen angesichts monströsen Unrechts, verstehen manche Menschenrechtler vor Ort. Andere, wie Martin Macwan, sagen, die Geber verrieten ihre eigenen Prinzipien. Inspirierende Solidarität ohne Netz und taktische Manöver würden der Verteidigung der Menschenrechte in Indien mehr helfen als noch so viel Geld für noch so edle Zwecke.
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