Zwanzig Jahre hatten die EU und die Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay verhandelt, als vor knapp drei Jahren eine politische Einigung verkündet wurde. Die EU-Kommission steht auch unter der neuen Vorsitzenden Ursula von der Leyen und Handelskommissar Valdis Dombrovskis zu dem Abkommen. Es sei von großer wirtschaftlicher und geostrategischer Bedeutung, teilte eine Sprecherin auf Anfrage mit. Misslinge die Ratifizierung, wäre das ein „Rückschlag für den Ruf der EU in der Region“ und würde „anderen Handelspartnern wie China oder den USA einen wichtigen Vorteil verschaffen“.
Doch seit Jahren kritisieren zivilgesellschaftliche Gruppen, Wissenschaftler und einige europäische Staats- und Regierungschefs das Abkommen. Tenor: Die Waldpolitik in Südamerika, insbesondere die Abholzung des Regenwaldes in Brasilien unter Präsident Jair Bolsonaro, spreche dem Klimaschutz Hohn. Das Abkommen sei zu schwach formuliert, um dem etwas entgegenzusetzen. Im Gegenteil könne der Pakt schädliche Entwicklungen sogar verstärken, etwa weil steigende Agrarimporte in die EU die Regenwaldrodung anheizten.
Zivilgesellschaft wird einbezogen
Dabei besitzt der Text – dies ist inzwischen Standard bei EU-Handelsverträgen – eigens ein Kapitel zur Nachhaltigkeit (englisch TSD für Trade and Sustainable Development). In ihm verpflichten sich beide Seiten auf die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens und kündigen weitere Schritte in Richtung Nachhaltigkeit an, etwa die Bewahrung biologischer Vielfalt und Förderung der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO.
Der Haken: Das TSD-Kapitel unterliegt bei einem Streit anderen Schlichtungsmechanismen als das übrige Abkommen. Das ist nicht generell schlecht, findet der Chef des Handelsausschusses im Europaparlament, Bernd Lange. Der SPD-Politiker würdigt, dass die Schlichtung zu diesem Kapitel die Zivilgesellschaft einbezieht. Dessen ungeachtet müsse nachgebessert werden. Lange will etwa, dass Verstöße gegen das Nachhaltigkeitskapitel mit der Rücknahme von Zolltarifen, Zwangsgeldern oder anderen Sanktionen zu ahnden sind. Wie diese Nachbesserungen angebracht werden, ob im Vertragstext selbst oder in Form eines zusätzlichen Textes, ist für den Europaabgeordneten nachrangig. Wichtig sei, dass sie gleichermaßen rechtlich verbindlich seien.
Die EU-Kommission möchte eine Zusatzvereinbarung
Die EU-Kommission hat die vielstimmige Kritik am Mercosur-Abkommen nicht überhört. Sie macht sich deshalb ebenfalls für Nachbesserungen stark, will aber den Text selbst dafür nicht wieder öffnen: „Wir arbeiten derzeit an einem das Abkommen begleitenden zusätzlichen Instrument, das solche Bedenken angeht. Das Ziel ist, mehr Klarheit und Detail in die Verpflichtungen beider Seiten zu bringen”, so die Behördensprecherin.
Jürgen Knirsch von Greenpeace ist das zu wenig; er fordert „eine komplette Neuverhandlung“. Knirsch verweist darauf, dass es bereits eine ganze Reihe von staatlichen und nichtstaatlichen Instrumenten gebe, die Entwaldung in Brasilien zu überwachen. Wenn ein Protokoll dem ein weiteres hinzufüge, würde dies nicht viel bringen. Es brauche den „politischen Willen“, den Wald zu schützen und gleichzeitig die Menschenrechte durchzusetzen.
Die neue Bundesregierung hat sich abwartend positioniert
Unterdessen glauben weder Lange noch Knirsch, dass mit Präsident Bolsonaro relevante Nachbesserungen zugunsten des Klimaschutzes möglich seien. Mit den Mercosur-Staaten werde daher auch gar nicht richtig verhandelt, sondern nur gesprochen, so Lange. Das Abkommen liege mindestens bis zu den für Oktober angesetzten Wahlen in Brasilien „im Eisschrank“.
Auch die neue Bundesregierung hat sich abwartend positioniert. Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP wird ihr Ja zum Mercosur-Vertrag unter den Vorbehalt gestellt, dass sich beide Seiten verbindlich auf den Schutz von Umwelt, Sozialstandards und Menschenrechten verpflichten und „praktisch durchsetzbare Zusatzvereinbarungen zum Schutz und Erhalt bestehender Waldflächen“ abschließen.
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