Das kleine Land Burundi im ostzentralafrikanischen Seengebiet erlebt seit Beginn 2015 eine schwere innenpolitische Krise. Sie hat verschiedene Akteure der internationalen Gemeinschaft und regionaler Institutionen auf den Plan gerufen – und sie an die Grenzen ihrer politischen Einflussmöglichkeiten geführt.
Gestritten wird, ob Pierre Nkurunziza Staatspräsident bleiben darf. Im April 2015 hat Nkurunziza, der bis dahin bereits zwei Amtszeiten als Präsident ausgeübt hatte, erklärt, eine dritte anzustreben. Laut dem Vertrag von Arusha, der 2005 den über zehnjährigen Bürgerkrieg in Burundi beendet hat und Leitlinie der neuen Verfassung ist, sind einem Präsidenten nur jeweils zwei aufeinanderfolgende Amtszeiten gestattet. Die Zivilgesellschaft, vor allem junge Menschen, und die Opposition haben seit der Verkündung, dass Nkurunziza im Amt bleiben wollte, auf den Straßen der Hauptstadt demonstriert. Viele Proteste wurden gewaltsam niedergeschlagen und bis heute sind knapp eine halbe Million Menschen ins Ausland geflohen. Andere sind verschwunden oder haben mit ihrem Leben bezahlt.
Burundi ist laut westlichen Entwicklungsstandards, etwa dem Human Development Index, seit Jahren ein Schlusslicht im Vergleich zu anderen Ländern des globalen Südens – bei der Gesundheitsversorgung, der Bildung oder dem Pro-Kopf-Einkommen. Gut 90 Prozent der Menschen in Burundi leben von Subsistenzlandwirtschaft und es gibt erhebliche Unterschiede zwischen Stadt- und Landbevölkerung. Die Wirtschaft ist geprägt von den Exportprodukten Tee und Kaffee sowie dem Abbau seltener Erden. Der Staatshaushalt wurde bis in die Krise hinein zur Hälfte von internationalen Gebern finanziert – unter anderem mit Budgethilfe aus Europa.
Burundi hat sich weltpolitisch isoliert
Europäische Partner haben sich zu Beginn der Krise intensiv mit der juristischen Interpretation des Arusha-Vertrages beschäftigt: Ist eine dritte Amtszeit für den Staatspräsidenten juristisch vertretbar oder nicht, da ja der Präsident für die erste Amtszeit eingesetzt und nicht gewählt wurde? Leider hat dies die Diskussion auf eine technische und theoretische Ebene gebracht. Eine Kontextanalyse, die aktuelle Entwicklungen in Burundi und die verschiedenen Perspektiven der Beteiligten in den Fokus rückt, wäre einer Interpretation der Konfliktdynamik eher gerecht geworden.
Trotz der – wenn auch punktuellen – internationalen Aufmerksamkeit für die Proteste in Burundi gelang es der internationalen Gemeinschaft kaum bis gar nicht, die politische Lage so zu beeinflussen, dass die Gewalt minimiert und für die verschiedenen politischen Positionen Raum geschaffen wurde. Im Gegenteil, Burundi hat sich weltpolitisch und vor allem vom „Westen“ isoliert: Es ist aus dem Internationalen Strafgerichtshof ausgetreten, nachdem dessen Anklägerin Vorermittlungen zu Folter, Morden und Vergewaltigung in dem Land aufgenommen hatte. Es hat Dialogangebote nicht angenommen und schließlich im Mai 2018 die Verfassung per Referendum ändern lassen, sodass weitere Kandidaturen des Präsidenten bis 2034 möglich sind.
Bis heute ist nicht ganz geklärt, warum es den Geberländern nicht gelungen ist, diese Entwicklungen aufzuhalten. Hier hat der enge Kontakt zu burundischen Partnerinnen und Partnern im Rahmen der Landespartnerschaft zwischen Baden-Württemberg und Burundi einige Einblicke gewährt. Eine Konferenz mit der Leitfrage „Was können wir jetzt tun?!“ Anfang 2016 hatte ein ernüchterndes Ergebnis. Abgesehen von den üblichen Ansätzen der Konfliktlösung ist mir ein Konzept in Erinnerung geblieben, das eine Wissenschaftlerin mit Blick auf das eventuelle Scheitern des Arusha-Vertrages erwähnt hatte: das Peacebuilding-Paradox. Der Arusha-Vertrag war eigentlich so konzipiert, dass Minderheiten geschützt, politische Teilhabe ermöglicht und Rebellengruppen wieder integriert werden sollten. So sollte der Frieden gesichert werden. Trotzdem befindet sich Burundi in einer schweren politischen Krise, die viele Elemente vergangener Krisen wieder aufleben lässt.
Klischees und Missverstöndnisse trüben den Blick
Die Proteste der Jugend im April 2015 waren eine Premiere in Burundi. Diese Generation junger Menschen, die die Entgegenstellung von Hutu und Tutsi als zwei Ethnien ablehnt, ging unbewaffnet auf die Straße, um mit Aktionen zivilen Ungehorsams und gewaltfreien Demonstrationen die Einhaltung der Verfassung einzufordern. Die internationale Presse neigte dazu, dies unter dem Stichwort eines möglichen erneuten Genozids wie 1994 in Ruanda an den Tutsi aufzugreifen. Die Annahme mag aufgrund der Geschichte Burundis und Ruandas und der damit verknüpften Versäumnisse der internationalen Gemeinschaft berechtigt sein. Das ist aber auch ein Paradebeispiel, dass auf beiden Seiten Klischees und Missverständnisse den Blick trübten. Sie sind dann leider zum Leitbild der Auseinandersetzungen zwischen Burundi und der westlichen Welt sowie seinen Nachbarländern geworden.
Autorin
Claudia Animana
stammt aus der afrikanischen Region der Großen Seen und schreibt hier unter Pseudonym. Ihr Name ist der Redaktion bekannt.Gleichgültig gegenüber Geldblockaden
Doch die Regierung Burundis zeigte sich „überraschend“ gleichgültig gegenüber Geldblockaden. Wer in den vergangenen 25 Jahren regelmäßig in Burundi war, kann dafür Erklärungen erkennen: Verschiedene asiatische und europäische Staaten wie Südkorea, die Türkei, der Libanon oder auch Indien, Russland und China pflegen inzwischen enge politische und wirtschaftliche Beziehungen zu dem ostafrikanischen Land. Sie beherbergen auch Diasporagemeinschaften von Burundiern, die meist für Studien- oder Arbeitsaufenthalte in diesen Ländern leben und helfen, die Beziehungen zu stärken. Daneben kann man europäische Privatunternehmen beobachten, die auch in Zeiten politischer Instabilität Konzessionsverträge mit der burundischen Regierung schließen. Das wirft Fragen nach der Glaubwürdigkeit und politischen Kohärenz verschiedener EU-Institutionen, Geberländer und internationaler Organisationen auf, die auch der burundischen Regierung nicht verborgen bleiben.
Im Zuge des Konflikts mussten vor allem die europäischen Staaten und die EU oft mit Rückschlägen und diplomatischen Seitenhieben umgehen. Verschiedenste Vermittlungsbemühungen von prominenten Einzelpersonen wie des Erzbischofs von Canterbury, Justin Welby, und von Regionalorganisationen wie der East African Community sind im Sande verlaufen.
Die westlichen Staaten haben das Vorgehen der burundischen Regierung zwar schon früh als willkürlich und zielgerichtet, jedoch erst spät und auch nur teilweise als strategisch wahrgenommen. Ihre geplanten oder angestrebten Interventionen haben wenig bewirkt – sei es der Versuch, einen Dialog nach Artikel 96 des Cotonou-Vertrages zwischen der EU und den Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifik (AKP-Staaten) in Gang zu bringen; das Entsenden von Menschenrechtsbeobachtern; das Angebot, Nkurunziza eine Anstellung bei der Fifa zu beschaffen; oder auch die Umleitung der Gelder aus der Mission der Afrikanischen Union in Somalia (AMISOM) von Regierungskonten auf die Privatkonten der eingesetzten burundischen Soldaten. Auch regionale Konfliktlösungsversuche und die Einleitung von Vorermittlungen beim Internationalen Strafgerichtshof konnten keine bemerkenswerte Veränderung der politischen Lage herbeiführen.
Burundis wachsende finanzielle und „mentale“ Unabhängigkeit von EU-Ländern, gepaart mit einem genauen Verständnis, dass politische Prozesse in der internationalen Gemeinschaft nicht bindend sind, haben burundischen Politikern neue Arten des politischen Affronts ermöglicht. Die Idee, mit monetären oder technischen Interventionen wie einer juristischen Überprüfung des Arusha-Vertrages, dem Einfrieren von Hilfe, Kontensperrungen und dem Entsenden von Beobachtern den Konflikt zu lösen, haben sich schnell als Illusion erwiesen.
Hinzu kam Uneinigkeit in Europa selbst. In der EU hat Burundi für einige Länder mehr Relevanz als für andere. Und selbst die Länder, die Beziehungen zu Burundi pflegen, haben mannigfaltige Gründe für und gegen ein Eingreifen in dessen politische Lage. Einige EU-Staaten und andere Partnerländer Burundis, die sich mit dem Konflikt befassen, betonen auch die Souveränität der Regierung und nehmen Abstand von vermeintlich neokolonialen Tendenzen der Intervention.
Die Machtasymmetrie in den europäisch-afrikanischen Beziehungen dient leider auch als Grundlage für das Schüren anti-europäischer Ressentiments in Burundi, für das Aufkommen von Verschwörungstheorien und vielleicht sogar für eine gewisse Genugtuung (auch in anderen afrikanischen Staaten), dass Burundi sich den auferlegten Maßnahmen entzieht oder widersetzt. Konflikte wie der in Burundi sind hochkomplex und eng verwoben mit Geschichte, Identitäten und Ideologien. Daher darf eine Interventionsentscheidung aus Europa nicht nur die europäische Perspektive berücksichtigen.
Die EU-Institutionen und nationale Regierungen benötigen dazu auch dringend mehr Vielfalt unter den Mitarbeitenden. Wissenschaftliche Analysen sind kein Ersatz dafür, denn sie blicken stark auf die Vergangenheit und bieten wenig Prognosesicherheit. Wenn international ausgerichtete Institutionen nur Mitarbeitende aus einem Land haben, erschwert das jede Intervention im Bereich Krieg und Frieden.
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