Schmatzend quillt die feuchte Erde unter Ayichulu Modjos Schuhen hervor, als der Bauer seine kräftigen Maispflanzen begutachtet. Vorgestern hat es zuletzt geregnet, heute scheint die Sonne bei 25 Grad vom leichtbewölkten Himmel. Meher, die lange, von Juni bis Ende September währende Regenzeit, geht allmählich zu Ende. Man kann dem Mais auf dem Feld im äthiopischen Mojo fast beim Wachsen zusehen, Modjo rechnet mit einer guten Ernte.
Doch nicht überall in Äthiopien sind die Bauern so zufrieden wie er. Derzeit sind in dem Land am Horn von Afrika, das immer wieder von Dürre heimgesucht wird, nach offiziellen Angaben 3,7 Millionen Menschen auf Lebensmittelhilfe angewiesen. Dabei kämpft die äthiopische Regierung mit Unterstützung ausländischer Regierungen und internationaler Hilfsorganisationen seit Jahrzehnten gegen den chronisch drohenden Hunger. Der im August verstorbene äthiopische Premierminister Meles Zenawi hatte vor zwei Jahren angekündigt, dass sein Land bis 2015 unabhängig von ausländischen Lebensmittelhilfslieferungen sein soll. Ist das zu schaffen?
Autor
Philipp Hedemann
ist freier Journalist in Addis Abeba. Von 2010 bis 2013 berichtete er als Afrika-Korrespondent für verschiedene Zeitschriften und Zeitungen aus der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba. Sein Äthiopien-Buch „Der Mann, der den Tod auslacht“ ist 2013 im DuMont-Verlag erschienen.„Auf jeden Fall“, sagt Mitiku Kassa, im Landwirtschaftsministerium zuständig für Risikomanagement und Ernährungssicherung. In Äthiopien leben etwa 85 Prozent der rund 85 Millionen Einwohner von der Landwirtschaft, doch deren Erträge gehören zu den geringsten weltweit. Meist werden die durch Erbteilung immer kleiner werdenden Felder mit einem Holzpflug bestellt, vor den ein Ochse gespannt ist. Kassas Ministerium hat einen Plan erarbeitet, der auf drei Säulen fußt und der Landwirtschaft den benötigten Modernisierungsschub bescheren soll.
Erstens sollen chronisch von Hunger bedrohte Bevölkerungsgruppen bei Bedarf schnell und zuverlässig mit Lebensmitteln versorgt werden. Diese Hilfslieferungen sollen allerdings nicht nur die Symptome des Hungers kurieren, sie sollen zugleich auch die Ursachen der immer wieder auftretenden Engpässe angehen. In sogenannten „Essen für Arbeit“-Programmen erhalten die Betroffenen nur Unterstützung, wenn sie beispielweise in besonders erosionsgefährdeten Gebieten Terrassen anlegen, auf denen in Zukunft Lebensmittel angebaut werden sollen.
Zweitens sollen im Rahmen des Wasser- und Bodenmanagements unter anderem durch Wiederaufforstung, die Rehabilitierung ausgelaugter Böden und die Einführung neuer Nutzpflanzensorten die Ernten langfristig gesteigert werden. Dazu soll auch die Stallhaltung von Ziegen, Schafen und Rindern beitragen. Die Tiere grasen bislang oft frei, fressen Jungpflanzen und verstärken damit die Bodenerosion. Und drittens sollen in klimatisch und besonders begünstigten Landesteilen, die teilweise bereits jetzt Überschüsse erzielen, die Ernten durch eine Steigerung der Produktivität innerhalb von fünf Jahren verdoppelt werden.
Fachleute trauen sich kaum, die Regierung öffentlich zu kritisieren
„Mit dem Drei-Säulen-Programm hat Äthiopien in den vergangenen Jahren große Fortschritte erzielt“, sagt Johannes Schoeneberger. Der promovierte Ernährungswissenschaftler leitet in Äthiopien im Auftrag des Bundesentwicklungsministeriums das nachhaltige Landmanagement-Programm der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Im Gegensatz zu Mitiku Kassa sind sich die meisten internationalen Experten aber sicher, dass Äthiopien sein ehrgeiziges Ziel nicht erreichen wird. Denn der Ansatz des Ministeriums, das gegenüber den internationalen Gebern mit großem Selbstbewusstsein auftritt, ist zwar sehr ambitioniert. Bei der Verwirklichung aller drei Komponenten treten jedoch Probleme auf.
Da die im Land tätigen staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen auf die Zusammenarbeit mit der seit über 21 Jahren regierenden Revolutionären Demokratischen Front der Äthiopischen Völker (EPRDF) angewiesen sind, trauen sich die Fachleute vor Ort kaum, die Regierung öffentlich zu kritisieren. Hinter vorgehaltener Hand hingegen bemängeln einige, dass die erste Säule des Programms auch zu einer Nehmermentalität führen kann, die jegliche Eigeninitiative erstickt. Äthiopien ist seit Jahrzehnten ein Liebling der internationalen Gebergemeinschaft. Das arme Land gilt in der Unruheregion am Horn von Afrika als Bollwerk gegen den sich ausbreitenden Islamismus. „Solange ich lebe, haben wir von der UNO etwas zu essen bekommen. Wir wissen, dass sie uns nicht hängenlassen“, sagt eine junge Frau bei einer Lebensmittelverteilung des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP) im Südosten des Landes, der chronisch unter Dürren leidet.
Offenbar beziehen auch Menschen Hilfe, die gar nicht darauf angewiesen sind. Denn kurz nach den Verteilungen tauchen auf den Märkten der Region regelmäßig die Waren auf, die eigentlich nicht weiterverkauft werden dürfen. Bethlehem Tilahun Alemu, eine äthiopische Unternehmerin, die in der Hauptstadt Addis Abeba sehr erfolgreich Schuhe für den Export produziert, wettert: „Seit der verheerenden Hungersnot von 1984/85 hat sich eine ganze Generation auf Hilfe von außen verlassen.“
Doch nicht nur die Empfänger der Lebensmittelhilfe und die einheimischen Fuhrunternehmer, die sie ausfahren, haben ein Interesse daran, den jetzigen Zustand beizubehalten. Für viele Bauern in der Ersten Welt, vor allem in den USA, sind die Lebensmittellieferungen eine willkommene Möglichkeit, die mit Subventionen produzierten Überschüsse zu verkaufen. Manche Entwicklungsexperten fordern, dass Äthiopien stärker auf die zweite und dritte Säule des Plans zur Beendigung des Hungers setzen sollte.
Bernhard Meier zu Biesen empfiehlt, stärker auf neue Nutzpflanzen zu setzen. Für den studierten Landwirt, der sieben Jahre das Programm der Welthungerhilfe in Äthiopien geleitet hat, ist die im Land angebaute Hirseart Teff eine der Hauptursachen des immer wiederkehrenden Hungers. „Teff ist die ertragsärmste Nutzpflanze der Welt. In vielen der chronisch von Hunger bedrohten Gebiete wird sie jedoch auf bis zu zwei Drittel der Flächen angebaut”, schimpft er. Stattdessen solle mehr Triticale angebaut werden, eine sehr ertragreiche und robuste Kreuzung aus Weizen und Roggen, die die GIZ und die Welthungerhilfe in Äthiopien eingeführt haben.
Kritik am Landgrabbing wird in Äthiopien nicht gerne gehört
Um in den fruchtbaren, oft niederschlagsreichen und großteils landwirtschaftlich noch ungenutzten Regionen die Ernten in kurzer Zeit drastisch zu steigern, setzt die äthiopische Regierung auch auf das Know-how und die Finanzkraft ausländischer Investoren. 3,6 Millionen Hektar hat sie für äthiopische und ausländische Investoren ausgewiesen. Vor allem an der Grenze zum Südsudan wurden zu sehr günstigen Konditionen große Flächen an indische und saudi-arabische Unternehmen verpachtet. Zum Beispiel eine 100.000 Hektar große Farm im äußersten Westen des Landes. Hier lugt Red Pauls Kopf aus dem Grün hervor. Seit dem frühen Morgen kniet der Junge bei knapp 40 Grad inmitten eines Zuckerrohrfeldes und jätet Unkraut. Ein Inder mit großem Sonnenhut steht über ihm, passt auf, dass er auch nichts übersieht. Red ist acht Jahre alt. 20 Birr, umgerechnet 84 Cent, verdient der Junge, wenn er einen Tag auf dem Feld schuftet. Das ist nicht legal, aber billiger als Pflanzenschutzmittel.
„Im Prinzip ist es gut, dass Äthiopien mit Hilfe ausländischer Investoren seine Landwirtschaft modernisiert, aber natürlich müssen dabei Sozial- und Umweltstandards eingehalten werden“, sagt GIZ-Programmleiter Schoeneberger. Doch das ist, wie das Beispiel von Red zeigt, längst nicht immer der Fall. Kritik an den auch als „Landgrabbing“ kritisierten Verpachtungen wird in Äthiopien jedoch nicht gerne gehört. „Wir möchten nicht die jungfräuliche Schönheit unseres Landes bewundern, während wir verhungern“, sagte der im August verstorbene, für seine scharfzüngigen Bemerkungen bekannte Premierminister Meles Zenawi einst.
Entwicklungsexperte Meier zu Biesen hat noch eine ungewöhnliche Forderung, um die Landwirtschaft zu modernisieren. Die hohe Zahl der kirchlichen Feiertage, an denen nach Ansicht der einflussreichen äthiopisch-orthodoxen Kirche viele landwirtschaftliche Tätigkeiten nicht verrichtet werden dürfen, müsse reduziert werden, betont er. „In manchen besonders oft von Hunger bedrohten Gebieten gibt es – inklusive Sonntage – bis zu 171 Feiertage.“ Weitere Schritte sind die Ausdehnung der bewässerten Fläche (bislang wird nach Schätzungen maximal ein Viertel der Felder bewässert, nur fünf Prozent des verfügbaren Wassers wird genutzt), der verstärkte Einsatz verbesserter Saaten, der einfachere Zugang zu Düngemitteln und mehr Trainings für äthiopische Bauern in moderner Landwirtschaft. Die Regierung will außerdem die Bewohner hungergefährdeter Landesteile umsiedeln – am meisten betrifft das nomadische und halbnomadische Viehhirten. Offiziell geschehen diese Um- und Ansiedlungen freiwillig, doch internationale Menschenrechtsorganisationen bezweifeln das.
Regierungsmitglied Mitiku Kassa ist trotz der vereinzelt vorgetragenen internationalen Kritik stolz auf die bisherigen Erfolge. Bei der Dürre 1984/85 seien eine Million Menschen gestorben – im vergangenen Jahr, bei der schlimmsten Dürre seit 60 Jahren, laut offiziellen Angaben kein einziger. Seit 1991, als die EPRDF unter Meles Zenawi den kommunistischen Diktator Mengistu Haile Mariam stürzte, seien die Lagerhaltung verbessert und die Infrastruktur ausgebaut worden. „Dürrekatastrophen führen nicht mehr automatisch zu Hungerkatastrophen“, unterstreicht Mitiku Kassa.
Das rasante Bevölkerungswachstum macht es noch schwerer, den Hunger zu bekämpfen
Die äthiopische Regierung hat inzwischen außerdem ein Frühwarnsystem etabliert. Während Kassa stolz von den Fortschritten im Kampf gegen den Hunger berichtet, läuft in seinem Büro in Addis Abeba ein Fax mit amharischen Schriftzeichen ein. Es ist der Bericht aus einem fast 700 Kilometer entfernten Bezirk, in dem die Regenfälle der letzten Woche protokolliert werden. „Aus allen Winkeln des Landes erhalte ich wöchentlich solche Berichte. Deshalb wissen wir immer genau, wann wo Hunger drohen könnte“, sagt er.
Der 48-Jährige erinnert sich noch daran, dass es während seiner Kindheit im Durchschnitt alle zehn Jahre eine Dürre gab, jetzt bleibt der Regen alle zwei Jahre aus. „Äthiopien leidet stark unter den Folgen des Klimawandels, den es nicht selbst verursacht hat“, sagt er. Das rasante Bevölkerungswachstum macht es zusätzlich schwieriger, den Hunger zu bekämpfen. Schon jetzt ist Äthiopien nach Nigeria der Staat mit der zweitgrößten Bevölkerung in Afrika und die Zahl der Einwohner wächst jedes Jahr um knapp drei Prozent. „Es ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Storch und Pflug. Damit die Erfolge bei der Bekämpfung des Hungers nicht wieder zunichte gemacht werden, sollte Äthiopien das rasante Bevölkerungswachstum in den Griff bekommen“, sagt Johannes Schoeneberger.
Mitiku Kassa ist da etwas anderer Meinung: „Unsere Bevölkerung ist unser Kapital und unser Land hat das Potenzial, noch viel mehr Menschen zu ernähren. Es macht mich wütend, dass wir nach wie vor ein Hunger-Image haben. Aber ich werde es noch erleben, dass Äthiopien sich aus eigener Kraft ernährt und zusätzlich Lebensmittel exportiert.“
Landnutzung Äthiopien
Es lohnt sich, sich für eine umfassende Analyse auch die Zeit vor 1991 anzuschauen. Auch während der Derg Ära gab es Programme zur Aufforstung (GTZ) und des Wasser- und Bodenmanagements (SCRP) in Äthiopien. Deren Erkenntnisse werden heute z. T. mit gutem Erfolg genutzt, allerdings weitestgehend verschwiegen. Wie das so ist, Regierungen möchten die Credits immer nur für sich selbst in Anspruch nehmen und für manche Vertreter der Organisationen für Entwicklungszusammenarbeit gilt das leider auch.
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