Esther Ibanga will, dass das Blutvergießen aufhört

Porträtfoto der Nigerianerin Ester Ibanga in traditioneller Kleidung.
privat
Esther Ibanga geht mit ihren Mitstreiterinnen auch in von Gewalt belastete Gemeinden und spricht mit Jugendlichen, die in der ersten Reihe kämpfen.
Nigeria
Auf dem Jos-Plateau in Zentralnigeria bekämpfen sich seit Jahrzehnten Christen und Muslime; der ethnisch-religiöse Konflikt fordert jedes Jahr viele Menschenleben. Esther Ibanga bringt christliche und muslimische Frauen zusammen, um das Blutvergießen zu beenden.

Zur Friedensaktivistin wurde Esther Ibanga im Jahr 2010 aus der Not heraus: In der Nähe ihres Wohnortes Dogon Na Hauwa nahe Jos, der Hauptstadt des Bundesstaates Plateau, töteten muslimische Hirten über 500 Christen. Ibanga nutzte ihren Einfluss als Priesterin der von ihr gegründeten Kirche Ignite House of Worship und mobilisierte Frauen für Straßenproteste gegen die Ermordung der Christen. Eine Woche später gingen in Jos muslimische Frauen auf die Straße und protestierten gegen die Ermordung von Muslimen. Erst da wurde Ibanga klar, dass der Angriff auf die Christen ein Vergeltungsschlag für Morde an Muslimen gewesen war – der jüngste in einem endlosen Kreislauf von Morden. In Jos und anderen Orten im Bundesstaat Plateau leben sowohl Christen als auch Muslime, meist in getrennten Vierteln.

Der Vorfall brachte Ibanga zur Überzeugung, dass christliche und muslimische Frauen gemeinsam für Frieden eintreten müssen. Sie bat die Leiterin der muslimischen Frauengruppe in der Gegend um ein Treffen. Die zögerte zunächst. Als sie sich schließlich doch an einem neutralen Ort mit ihr traf, überzeugte Ibanga sie von der Friedensidee und die beiden vereinbarten, jeweils zwanzig Wortführerinnen jeder Seite zusammenzubringen. Bei diesem Treffen kamen beide Seiten überein, zusammenzuarbeiten. „Als Erstes hielten wir eine gemeinsame Pressekonferenz als christliche und muslimische Frauen ab und sandten die klare Botschaft: Wir, die Frauen, werden nicht länger zulassen, dass ihr die Religion benutzt, um unsere Gesellschaft zu zerstören“, erinnert sich Ibanga. 

Die Christinnen sahen Ibanga zunächst als Verräterin an

Das war die Geburtsstunde der Initiative Women Without Walls (WOWWI), Frauen ohne Mauern. Ibanga leitet diese Koalition christlicher und muslimischer Frauen, die sich für den Frieden einsetzen. Der Anfang sei nicht leicht gewesen, sagt sie. „Die Stimmung zwischen Christen und Muslimen war sehr feindselig, es herrschte Misstrauen auf beiden Seiten.“ Die christlichen Frauen hätten sie zunächst für eine Verräterin gehalten und die muslimischen Frauen sie mit Argwohn beäugt. Doch nach und nach überbrückte sie die religiöse Kluft. „Ich sagte den Frauen, dass ein Leben ein Leben ist, unabhängig von Religion oder Stammeszugehörigkeit. Ich will einfach, dass das Blutvergießen aufhört.“

Autor

Sam Olukoya

ist freier Journalist in Lagos (Nigeria).

Ibanga und ihre Gruppe wandten sich an religiöse Führer beider Seiten, warben für Frieden und baten sie eindringlich, Hasspredigten zu unterlassen. „Wir treffen uns mit den Geistlichen als Gruppe von Frauen und Müttern, ungeachtet unserer Religionszugehörigkeit.“ Ibanga bringt auch christliche und muslimische Geistliche zu Dialogen über religiöse Harmonie zusammen. „Religionsführer sind in ihren jeweiligen Gemeinschaften sehr einflussreich. Das nutzen wir, um mit Menschen, vor allem Jugendlichen, zu sprechen und für Frieden zu gewinnen“, sagt sie.

Ibanga und andere Frauen sind in Gemeinden gegangen, in denen Spannungen groß waren, hauptsächlich im Bundesstaat Plateau, um die zu erreichen, die als Erste bei Gewalttaten mitmachen. Die Besuche haben ihr das Ausmaß des Drogenmissbrauchs unter Jugendlichen vor Augen geführt. Entscheidend dafür, das Morden zu stoppen, ist aus Ibangas Sicht, die Jugendlichen von den Drogen wegzubringen. Denn die putschten sie auf, zu töten, manchmal auf brutalste Weise. „Wir nutzen die mütterliche Botschaft der Liebe, um an den mitfühlenden Teil ihres Herzens zu appellieren“, sagt sie.

Ein Beschäftigungsprogramm und Schulungen für Frauen

Ibanga hat beobachtet, dass Jugendliche, die sich keine harten Drogen leisten können, manchmal ein billiges lokales Gebräu benutzen, das sie ebenfalls zu Gräueltaten aufputscht. Es besteht aus Ethylalkohol und verschiedenen Kräutern und wird meist von Frauen hergestellt. Ibanga hat ein Beschäftigungsprogramm initiiert, damit diese Frauen andere Erwerbstätigkeiten haben; so ist das Gebräu weniger verfügbar. 

WOWWI schult auch Mütter darin, gefährliche Tendenzen wie Drogenabhängigkeit und Radikalismus bei ihren Kindern zu erkennen. Zusammen mit anderen Frauen üben sie Druck auf die Jugendlichen aus, sich zu ändern – vor allem, wenn sie die Warnzeichen früh erkennen. Kinder verbrächten mehr Zeit mit ihrer Mutter als mit ihrem Vater, dadurch könnten die Mütter leichter solche Anzeichen wahrnehmen, sagt Ibanga, die selbst zwei Kinder hat. „Für die Frauen bedeutet das eine Stärkung, weil sie merken, dass sie zur Sicherheit ihrer Familien und Gemeinschaften und zur Friedensbildung beitragen können“, sagt sie.

Ibanga hat die Erfahrung gemacht, dass harte Eingriffe von Militär und Polizei Krisen häufig eskalieren, statt sie zu lösen. Mit ihrer Fähigkeit, religiöse Barrieren zu überwinden und sich auch unter Muslimen viele Freunde zu machen, ist sie ein Beleg für den Erfolg von weicher Macht. Manchen muslimischen Frauen und Familien steht sie jetzt so nahe, dass die sie als Mutter oder Großmutter für ihre Kinder sehen. Zu islamischen Festen wird sie sogar in Moscheen eingeladen. Das war in der Region unvorstellbar, bevor Ibanga Friedensaktivistin war.

Das Konzept haben sie Frauen in Nordnigeria weitergegeben

Ihr Ansatz hat sich bewährt. „Unsere Intervention in Gangare und Angwan Rukuba, zwei der unruhigsten Gemeinden, hat zusammen mit Entwicklungsprojekten dazu geführt, dass Gewalt sowie Unmut gegen die Regierung um fast die Hälfte zurückgegangen sind“, sagt sie. „Die Beteiligten und die Jugendlichen, die wir zu Friedensbotschaftern gemacht haben, können das bezeugen.“

Ibanga machen die religiösen Konflikte in ganz Nigeria Sorge, vor allem die im Norden, wo sie besonders ausgeprägt sind. Historische, ethnische, kulturelle, politische und wirtschaftliche Faktoren seien für religiöse Feindseligkeit verantwortlich, sagt sie. Im Nordosten benutze die Dschihadistengruppe Boko Haram Kinder für Hinrichtungen und Selbstmordattentate. „Kinder sollten Kinder sein, keine Mörder“, betont Ibanga. Sie hat ihr Friedensmodell auch über die Grenzen des Bundesstaates Plateau hinausgetragen, vor allem in die Region Nord-Zentral. Dort greift WOWWI zwar nicht selbst ein, aber die Frauen haben ihr Friedenskonzept an örtliche Gruppen weitervermittelt.

Ausreichend Geld für die Friedensarbeit zu bekommen, ist schwierig. WOWWI wird hauptsächlich von seinen Mitgliedern finanziert. Die Gruppe hat auch einmalige Zuschüsse von Frauen ohne Grenzen Wien und der US-Botschaft in Nigeria erhalten. Die wichtigste finanzielle Unterstützung war mit dem Niwano-Friedenspreis verbunden, den die Niwano Foundation Japan, die sich für interreligiöse Harmonie einsetzt, 2015 an WOWWI verliehen hat. 

Frauen weltweit in Friedensbemühungen einbeziehen

Eine weiteres Problem ist das Risiko, das mit den Besuchen in krisengeschüttelten  Gemeinschaften einhergeht. „Das sind gefährliche Orte, aber wir müssen sie aufsuchen, das ist für Friedensarbeit entscheidend.“ Sie sei auch schon von anonymen Anrufern bedroht worden „wegen der Arbeit, die ich mache“.   

Sie freut sich, dass die Initiative „Frauen ohne Mauern“ nach den bescheidenen Anfängen als Graswurzelbewegung lokal und national einiges bewegt hat und seit der Auszeichnung mit dem Niwano-Friedenspreis „auf internationaler Ebene wahrgenommen wird“. Aber sie beklagt, dass so wenige Frauen weltweit an Bemühungen zur Lösung von Konflikten beteiligt werden. Das führt sie auf kulturelle Muster und religiöse Anschauungen zurück, die Frauen in den Hintergrund drängten. Sie verweist auf Studien, nach denen Friedensbestrebungen, die Frauen einbeziehen, eine 35 Prozent höhere Erfolgschance haben als solche, die sie ausschließen: „Wenn Frauen nicht in Friedensgespräche einbezogen werden, werden Männer weiter mit Waffen und Bomben kämpfen.“

Aus dem Englischen von Anja Ruf.

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erschienen in Ausgabe 2 / 2025: Der Gewalt entgegenwirken
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