Holmer Machoa hat mehr erwartet. „Als ich eben im Boot an den Förderanlagen von Petroecuador vorbeifuhr, wirkte es so, als ob dort weiter Erdöl gefördert und verarbeitet wird. Ein Lastkahn mit mehreren Tankwagen verließ gerade die Anlage“, erklärt der drahtige Mann genervt. Nun hat er sein Boot unterhalb des Anlegers am Ufer von Tiputini festgemacht. Diese Kleinstadt am Río Napo liegt nur ein paar Hundert Meter entfernt von den größten Förderanlagen von Block 43 des Staatskonzerns Petroecuador im Nordosten des Landes.
Mit seinen Geschäften, dem Militärposten und dem kleinen Flughafen ist Tiputini so etwas wie eine verschlafene regionale Drehscheibe. Hier verkaufen Bauern aus den umliegenden Dörfern Yucca, Kakao und Früchte aus dem Regenwald, hier kommen die Ingenieure und Arbeiter von Petroecuador an, die gegenüber arbeiten, und von hier fahren die Menschen aus der Region per Schnellboot nach Coca, der nächstgrößeren Verwaltungsstadt.
Machoa ist Guide im Nationalpark Yasuní; er hat in den vergangenen 16 Monaten eine kleine Firma mit Namen Yasuní Kurysacha Travel aufgebaut, die auf Tourismus auf Gemeindeebene rund um sein Heimatdorf Llanchama setzt. Das liegt tief im Yasuní-Nationalpark, 90 Minuten per Boot von Tiputini entfernt. Machoa hat das Dorf in den letzten drei, vier Monaten nicht mehr verlassen. „Ich habe per Handy Morddrohungen erhalten, selbst in meinem Dorf kursierten sie. Deshalb habe ich mich entschieden, abzutauchen, die Öffentlichkeit zu meiden“, sagt der 35-Jährige mit den pechschwarzen, zurückgekämmten Haaren. Bloß nicht auffallen, lautet seine Devise.
Die Umweltbewegung kämpft seit 2012 für ein Ende der Erdölförderung
Machoa gehört zu den prominenten Gesichtern der Umweltbewegung, die sich seit 2012 für ein Ende der Erdölförderung im Yasuní-Nationalpark einsetzt. Noch im Sommer 2023 hat er gemeinsam mit anderen indigenen Aktiven auf Diskussionsveranstaltungen für ein Ende der Förderung im Block 43-ITT (Ishipingo, Tiputini, Tambococha) geworben.
Der Block, ein 162.000 Hektar großes Planquadrat, befindet sich am östlichen Rand des Yasuní-Nationalparks. Der größte Nationalpark Ecuadors erstreckt sich über eine Fläche von 10.227,37 Quadratkilometern. Er ist berühmt für seine Artenvielfalt und dafür, dass dort die letzten jener indigenen Völker Ecuadors leben, die sich freiwillig isolieren und Kontakt mit der „modernen“ Welt verweigern. Für deren Schutz engagieren sich Umweltorganisationen wie Acción Ecológica und die Umweltbewegten in Yasunidos.
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Diese haben 2013 mit einer Unterschriftensammlung ein Referendum über die Erdölförderung im Yasuní-Nationalpark durchgesetzt. Zehn Jahre später setzte das Verfassungsgericht nach langen juristischen Streitigkeiten den 20. August 2023 als Termin für die Volksbefragung im ganzen Land an. Knapp 60 Prozent der Wahlberechtigten stimmten damals in dem Referendum, das parallel zu Präsidentschaftswahlen stattfand, mit Ja. „Sie haben den ecuadorianischen Staat verpflichtet, die Erdölförderung im Block 43 einzustellen“, so Esperanza Martínez.
Ende Januar waren nur zehn von 247 Bohrlöchern geschlossen
Die Biologin und Rechtsanwältin ist Mitbegründerin von Acción Ecológica. Sie engagiert sich für ein Ende der Rohstoffförderung in Schutzgebieten, auch in anderen Nationalparks Ecuadors wie dem Chocó Andino, und kritisiert, dass das Ergebnis des wegweisenden Referendums nicht in dem vom Verfassungsgericht vorgegebenen Zeitraum umgesetzt wurde. „Eine Frist bis zum 31. August 2024 hatte das höchste Gericht Ecuadors dem Staat und damit dem staatlichen Förderunternehmen Petroecuador für den Rückbau der Förderanlagen eingeräumt. Doch erst am 28. August 2024 wurde das erste Bohrloch geschlossen. Bis Ende Januar 2025 waren es nur zehn“, berichtet Martínez. Dabei gibt es offiziell 247 Bohrlöcher; 237 fördern weiter, obwohl sie schon geschlossen sein sollten.
Martínez kritisiert das Vorgehen von Petroecuador, das einen Zeitraum von zehn Jahren für die Schließung für angemessen hält. „Mehrfach hat das Erdölunternehmen das Verfassungsgericht um einen Aufschub gebeten. Doch das hat noch nicht entschieden.“ So lange gilt der ursprüngliche Termin. Aber Petroecuador schafft mit seinem Vorgehen vollendete Tatsachen, obwohl es Experten gibt, die betonen, dass sich ein Bohrloch in wenigen Stunden versiegeln ließe (laut Petroecuador sind für jedes Bohrloch 14 Tage nötig).
Die Ansicht von Martínez bestätigt Alberto Acosta, der 2007–2008 Präsident der verfassunggebenden Versammlung Ecuadors war und von Januar bis Juni 2007 Energieminister des Landes. „Die Regierung handelt in Zeitlupe, es fehlt ihr am politischen Willen. Logistisch und technisch wäre eine schnelle Schließung aller verbleibenden Bohrlöcher kein großes Problem“, sagt der 76-jährige Befürworter des Referendums. Acosta setzt auf mehr Druck aus der Zivilgesellschaft – ebenso wie Holmer Machao. Der hat sich am 20. August 2023 mit seiner Familie und ein paar Freunden in dem von Regenwald umgebenen Dorf Llanchama riesig über das Ergebnis des Referendums gefreut. „Aber leise. Bei uns zieht sich ein Riss durch das Dorf. Die eine Hälfte ist für ein Ende der Förderung, die andere für die Fortsetzung. Sie hoffen auf Arbeit“, schildert er den Interessenkonflikt.
Nur drei von 16 Kommunen sollen Ausgleichszahlungen erhalten
Das staatliche Förderunternehmen Petroecuador schürt diese Uneinigkeit. „Im Kanton Aguarico, in dem ich lebe, haben 16 Kommunen – darunter Tiputini und Llanchama – einen Anspruch auf Ausgleichszahlungen und Wiedergutmachung für die von der Erdölförderung hervorgerufenen Schäden und Probleme auf ihrem Gebiet“, erklärt Machao. „Aber nur drei sollen Zahlungen erhalten. So wird ein Keil zwischen die Dörfer getrieben“, kritisiert Machao. Für ihn ist das ein typisches Vorgehen von Petroecuador, das versucht, zu entsacheiden, wer was bekommt. Machao hat das schon 2011 und 2013 erlebt. Damals hat er die Streit schürenden Praktiken der Erdölkonzerne, ihren Umgang mit Unfällen und Kontaminierung kritisiert und ist angefeindet worden.
Das ist nun wieder der Fall. „Meinen beiden Töchtern, zwölf und neun Jahre alt, wurde vor ein paar Monaten in der Schule gesagt, dass ich sterben würde“, berichtet der indigene Umweltaktivist. Die ältere der beiden musste er deshalb in Quito psychologisch behandeln lassen, weil sie sich selbst verletzte. Heute ist sie bei der Visite in Tiputini dabei und manchmal begleitet sie ihren Vater, wenn er mit Touristen im Regenwald unterwegs ist.
Für Machao ist Tourismus die Option für die Zukunft. „Mit dem Organisieren von Touren durch den Regenwald wollen wir unseren Beitrag zum Erhalt der Lunge der Welt leisten“, sagt der 35-Jährige vom Volk der Kichwa. Er hofft, dass der Tourismus im und um den Yasuní-Nationalpark wieder anlaufen wird, der unter der Corona-Pandemie gelitten hat und dann unter der prekären Sicherheitslage in Ecuador.
Dazu könnte der Rückbau der Förderinfrastruktur beitragen. Doch der hat für Präsident Daniel Noboa keine Priorität. Zwar hat sich Noboa im Wahlkampf 2023 für ein Ende der Erdölförderung im Yasuní-Nationalpark ausgesprochen, da die Erschließungskosten dort zu hoch seien. Doch schon wenige Wochen nach seiner Vereidigung am 23. November 2023 machte er eine Kehrtwende. Noboa wurde 2023 nach dem Scheitern seines Vorgängers Guillermo Lasso für nur rund 14 Monate als Übergangspräsident gewählt und betonte im Januar 2024, Ecuador brauche die Einnahmen aus der Förderung im Yasuní-Nationalpark für die Bekämpfung der Drogenkriminalität und der Kartelle.
Aktivistin Alicia Cahuiya wird bedroht, weil sie nicht lockerlässt
Seitdem will der 37-jährige Noboa „die Umsetzung des Referendums aussetzen“, so Manai Prado. Die Aktivistin ist Mitglied der Kampagne „Yasuní Sí“, Ja zu Yasuní, arbeitet für die Umweltorganisation Acción Ecológica und hält den Kontakt zu indigenen Organisationen wie Nawe, der Dachorganisation des Volkes der Waorani. Alicia Cahuiya, eine Sprecherin dieser Dachorganisation, warb Ende Januar 2025 in Quito für eine landesweite Demonstration für die Einhaltung des Referendums, die dann nicht zustande kam. „Wir brauchen Klarheit beim Ausstieg aus der Förderung, aber auch bei Renaturierung und Wiedergutmachung“, fordert die 49-Jährige. Genau wie Holmer Machoa wird sie bedroht, weil sie nicht lockerlässt. Das gilt laut Informationen von Acción Ecólogica für etliche weitere Aktivistinnen und Aktivisten.
„Wir wollen das Thema in der politischen Diskussion halten“, sagt Manai Prado. Doch das sei nicht einfach. „Fast alle in Ecuador sind mit ihrem eigenen täglichen Überlebenskampf beschäftigt.“ Ecuador befindet sich nicht nur in einer Sicherheits-, sondern auch in einer Wirtschaftskrise, die sich zu einer handfesten sozialen Krise ausgeweitet hat. Auswanderung, aber auch die hemmungslose Ausbeutung von Naturschätzen wie Gold durch informelle Kleinschürfer seien die Folge. Und wegen der Wirtschaftskrise bremse die Regierung auch den Rückbau der Förderinfrastruktur.
Prado fordert, dass der Abbau der Förderinfrastruktur und die Wiedergutmachung für Gemeinden, die durch Pipelinebrüche, Lecks an Förderanlagen und Verschmutzung ihres Trinkwassers geschädigt wurden, simultan verlaufen sollen. Zudem fordern die Waorani mehr Transparenz und mehr Teilhabe der im Nationalpark Lebenden an beidem. All das ist mit dem bisherigen Vorgehen von Petroecuador und der Regierung von Präsident Noboa, der sich in der Stichwahl am 13. April um eine komplette vierjährige Amtszeit bewirbt, nicht vereinbar.
Ausbeutung des Öls bis zu allerletzten Tropfen?
Analysten wie der Dekan der juristischen Fakultät der katholischen Universität von Quito, Mario Melo, zweifeln deshalb am Ausstieg aus der Förderung im Yasuní-Nationalpark. „Es scheint eher, als wolle diese Regierung wirklich alles bis zum letzten Tropfen ausbeuten“, sagt Melo, der mehrfach als Anwalt indigene Gemeinden gegen den ecuadorianischen Staat vertreten hat.
Dabei geht die Bedeutung der ecuadorianischen Rohölexporte, einst das wichtigste Exportprodukt, kontinuierlich zurück. Schon jetzt würden mehr Erdölprodukte importiert als exportiert, so Melo. Die Regierung Noboa tue sich nicht nur schwer, die Wirtschaft anzukurbeln, sondern auch, die ökonomische Elite des Landes angemessen zu besteuern. Steuernachlässe seien mitverantwortlich für die chronische Finanzkrise des Landes. Für Melo sind das mögliche Motive Noboas, an der Förderung im Yasuní- Nationalpark festzuhalten.
Holmer Machao hofft, dass das Verfassungsgericht in den kommenden Monaten für klare Verhältnisse sorgt. „Wir müssen Druck aufbauen, damit die Richter und Richterinnen klare Ansagen zum Abbau der Anlagen von Petroecuador machen“, sagt er. Dafür will er sich wieder öffentlich einsetzen.
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