Die Schweiz hatte schon immer ein besonders freundschaftliches Verhältnis zu China. Sie hat die Volksrepublik unter Mao Zedong als eines der ersten westlichen Länder bereits 1950 anerkannt. Vor zehn Jahren hat sie als erstes europäisches Land ein Freihandelsabkommen mit China geschlossen.
Doch seither ist viel passiert: Die chinesische Wirtschaft schwächelt, gleichzeitig wenden sich mit der EU und den USA die wichtigsten Handelspartner der Schweiz von China ab und versuchen, ihre Lieferketten zu verbreitern. Außerdem verschärft Peking den Konflikt mit Taiwan. Handelt die Schweiz blauäugig?
„Die Schweiz weiß ganz genau, was sie tut, der Fokus liegt klar auf den wirtschaftlichen Beziehungen“, sagt Simona Grano, Sinologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Zürich. China ist der drittwichtigste Handelspartner der Schweiz, nach Europa und den USA. Im Jahr 2023 exportierten Schweizer Unternehmen nach Angaben des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) Waren für 40,6 Milliarden Franken in die Volksrepublik, die Importe beliefen sich auf gut 18,4 Milliarden Franken.
Die Schweizer Wirtschaft ist besorgt
Doch Schweizer Wirtschaftsverbände sind besorgt und fordern die Regierung dazu auf, die heimischen Unternehmen vor nachteiligen Auswirkungen des heraufziehenden Handelskriegs zwischen dem Westen und China zu schützen. Alain Graf, Senior Consultat beim Exportverband Switzerland Global Enterprise, sagte in einem Artikel des US-Nachrichtenmagazin Bloomberg: „Die größte Sorge für Unternehmen in bestimmten Branchen ist, ob ihre Geschäfte mit chinesischen Kunden ihr US-Geschäft beeinträchtigen könnten.“
Auch Simona Grano sieht das Risiko, dass die USA und die EU ihre Handelsbeziehungen mit der Schweiz einschränken, wenn diese China weiterhin den Rücken stärkt. „Schlimmstenfalls müsste sich die Schweiz zwischen den Großmächten entscheiden“, sagt sie. Derweil profitiert China von der zugewandten Schweiz. So hat sich Bern den Sanktionen der EU gegen China nicht angeschlossen, nachdem bekannt wurde, wie Peking gegen die Uiguren vorgeht. Das kam in Peking gut an.
Menschenrechtsorganisationen kritisieren diesen „Kuschelkurs“. Selina Morelli von der NGO Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) schreibt in einem Gastbeitrag der „Neuen Zürcher Zeitung“: „Die Schweizer Regierung scheint im Hinblick auf die Verhandlungen sehr darum bemüht, eine möglichst China-unkritische Stimmung zu kreieren.“ Dazu passe, dass Außenminister Ignazio Cassis im Sommer entschieden habe, die Länderstrategie für China nicht zu erneuern. Die Strategien geben der Regierung eine Orientierungshilfe im Umgang mit Staaten, zu denen die Schweiz Beziehungen unterhält. Die Strategie für China hätte unter anderem die Taiwan-Frage thematisieren müssen.
Menschenrechtler fordern eine innenpolitische Debatte
Außerdem wurde die Schweizer Regierung bereits vor vier Jahren von der Außenpolitischen Kommission der großen Parlamentskammer beauftragt, einen detaillierten Bericht über die Situation von in der Schweiz lebenden Tibetern und Uiguren auszuarbeiten. Angehörige beider Gruppen haben in der Vergangenheit wiederholt von Beschattungen, Schikanen und Repressionen berichtet. Der Bundesrat hat die Veröffentlichung des Berichts seit mehreren Monaten immer wieder verschoben. „Die Schweiz muss nun endlich eine breite innenpolitische Debatte über die Vor- und Nachteile der Beziehungen zu China führen“, schreibt Morelli.
Das neue Freihandelsabkommen ist allerdings noch nicht in trockenen Tüchern. Bisher hat die Schweizer Regierung auf die Forderung gegenüber China verzichtet, verbindliche Aussagen zu Menschenrechten und Umweltschutz in das Abkommen zu nehmen. Sollte es dabei bleiben, haben verschiedene Organisationen und Parteien, die solche Forderungen in dem Abkommen sehen wollen, ein Referendum angekündigt. In diesem Fall hätte das Schweizer Stimmvolk das letzte Wort über das Freihandelsabkommen.
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