Haben die Geberländer der OECD den Kampf gegen Korruption zum Bestandteil ihrer EZ gemacht?
Ja, seit Anfang der 1990er Jahre. Seitdem ist das Teil des Versuchs, in Partnerländern gute Regierungsführung zu fördern. Das Ende des Ost-West-Konflikts hat ja neue Möglichkeiten eröffnet, mit Entwicklungshilfe auf solche inneren Angelegenheiten von Partnerländern einzuwirken.
Welche Geber haben sich besonders gegen Korruption eingesetzt?
Die skandinavischen Länder und Großbritannien gehörten zu den Vorreitern. Auch internationale Organisationen wie die Weltbank und einige UN-Sonderorganisationen wie das Entwicklungsprogramm UNDP und das Büro zu Drogen und Verbrechen UNODC haben sich angeschlossen. Auf internationaler Ebene, also bei Änderungen des internationalen Rechts, waren sie ziemlich erfolgreich. Eine Errungenschaft ist die OECD-Konvention gegen Korruption von 1997: Darin verpflichten sich die OECD-Länder und einige weitere Unterzeichnerstaaten, Bestechung von Amtsträgern im Ausland zur Straftat zu machen. Vorher galt solches Bestechungsgeld in vielen Ländern, darunter in Deutschland, als Betriebsausgabe und Unternehmen konnten es von den Steuern absetzen. Auch die UN-Konvention gegen Korruption (UNCAC) von 2003 ist ein Erfolg: Sie verpflichtet die Staaten, viele Arten der Korruption gegenüber Amtsträgern – auch innerhalb von Ländern – zu verbieten und bei ihrer Bekämpfung zusammenzuarbeiten.
Die meisten Geberprogramme zielen auf Korruption innerhalb einzelner Partnerländern. Haben sie sich dabei auf bestimmte konzentriert, etwa auf Afrika oder rohstoffreiche Länder?
Sie konzentrieren sich mit Vorliebe auf die traditionellen Empfängerländer ihrer eigenen Entwicklungshilfe: die Briten auf englischsprachige, Frankreich auf frankofone, Skandinavien auf die ärmsten Länder. Deutschland hat weit verstreut Partnerstaaten.
Welche Ansätze und Instrumente nutzen die Geber, um in Entwicklungsländern die Korruptionsbekämpfung zu fördern?
Viele verschiedene, und hier gibt es zahlreiche Überschneidungen mit Förderung von guter Regierungsführung. Die Geber unterstützen zum Beispiel die Justiz von Partnerländern, etwa bei Ermittlungen und Anklagen zu Korruptionsfällen. Sie beraten manchmal Parlamentarier dabei, das internationale Recht gegen Korruption in nationales umzusetzen. Auch Unterstützung für freie Medien und die Einführung von Transparenzregeln gehören dazu. Häufig wirken sie darauf hin, dass spezielle Kontroll- und Aufsichtsgremien eingerichtet werden wie Kommissionen zur Korruptionsbekämpfung, Ombudsleute, Zoll- und Steuerbehörden, und unterstützen die dann. Und sie leisten eine Menge technische Hilfe für staatliche Stellen, etwa um das Finanzmanagement in Ministerien zu verbessern.
Wie erfolgreich sind solche Programme meist?
Da muss man zwischen politischer Korruption und Verwaltungs-Korruption unterscheiden. Viele Geberprogramme waren und sind auf Korruption in der Verwaltung ausgerichtet, also auf die kleinen Fische wie untere Beamte in Ministerien oder Leute in der Polizei und im Gesundheitswesen, die sich schmieren lassen. Einige Projekte gegen diese Art Korruption waren in den Staaten relativ erfolgreich, wo die Regierung sie unterstützte. Und das war oft der Fall, weil Regierungen gut dastehen können, wenn sie gegen Korruption in der Polizei, in Krankenhäusern oder im Schulwesen vorgehen. Uganda ist ein Beispiel, da wurde die Korruption im Bildungswesen stark zurückgedrängt. Aber mit EZ gegen politische Korruption auf den oberen Ebenen vorzugehen, hat sich als sehr viel schwieriger erwiesen. Mir fällt da kein erfolgreiches Beispiel ein.
Liegt das an den Bedingungen in den Partnerländern oder an Mängeln im Ansatz der Geber?
An beidem. Auf der Seite der Geber ist ein großes Problem, dass sich ihre Entwicklungsagenturen möglichst nicht in politische Prozesse im Partnerland einmischen sollen und sich da sehr zurückhalten. Manchmal verfolgen sie auch sich widersprechende Ziele oder stehen vor einem Dilemma. Zum Beispiel sollte in Uganda ein Geberprojekt Schulkinder mit Milch versorgen. Aber nur zwei Viehbetriebe waren groß genug, um die gesamte Milch zu liefern, und die gehörten dem Staatspräsidenten und seinem Bruder, dem Verteidigungsminister. Hier unterstützte also ein Projekt indirekt den Präsidenten und seinen Bruder in einem ziemlich autoritär regierten Land. Die Geber wussten das natürlich, aber sie sahen darüber hinweg. Es kommt auch vor, dass die Außen- oder Handelspolitik Vorrang erhält vor dem Ziel, Korruption zu bekämpfen. Zum Beispiel ist Norwegens größter Handelspartner in Afrika Angola. Das Land ist extrem korrupt. Man kann dort nicht Korruption bekämpfen und gleichzeitig in die Ölindustrie investieren sowie Technik für Tiefseebohrungen liefern, wie es norwegische Ölfirmen tun. Die zahlen der angolanischen Regierung viel mehr an Steuern, als die Entwicklungszusammenarbeit Norwegens in Korruptionsbekämpfung dort steckt. Wo die Politik bis in den Kern korrupt ist, haben zuweilen sogar Projekte gegen kleine, bürokratische Korruption mehr geschadet als genutzt.
Wieso das? Können Sie dafür Beispiele nennen?
Zum Beispiel sind von den Gebern geförderte Kommissionen gegen Korruption, deren Leiter von der Regierung ernannt waren, gegen Rivalen der Regierung und gegen die Opposition benutzt worden. Oppositionelle wurden wegen Korruption angeklagt und ins Gefängnis gesteckt. Dieselbe Kommission hat niemals irgendjemanden in der korrupten Regierung oder unter deren Unterstützern angerührt.
In welchen Ländern ist das passiert?
In Uganda und in Bangladesch zum Beispiel. Es ist jetzt in vielen Ländern ein Trend, dass autoritäre, korrupte und populistische Regierungen Programme gegen Korruption als Waffe gegen die Opposition wenden.
Sehen die Geber auch darüber hinweg, wenn westliche Firmen zur Korruption im Süden beitragen?
Ja. Im Laufe ungefähr des vergangenen Jahrzehnts sind die Entwicklungsagenturen der Geber insgesamt wirtschaftsfreundlicher geworden. Das hängt auch mit dem politischen Rechtstrend im Norden zusammen. Und weil Entwicklungshilfe jetzt als Türöffner für Handel und Investitionen gilt, schaut man nicht mehr so genau darauf, wie solche Geschäfte im Süden Korruption erhöhen könnten. UK Aid, das frühere DFID, hatte in den 2000er Jahren einen Leiter der Korruptionsbekämpfung, der dafür eintrat, auch zu fragen: Wie trägt der britische Handel, besonders mit früheren britischen Kolonien, zu Korruption bei? Er wollte auch britische Firmen in den Blick nehmen, Entwicklungspolitik und Handelspolitik sollten zusammenarbeiten. Aber das ist eine Ausnahme. In Deutschland zum Beispiel sind Entwicklungs- und Handelspolitik strikt voneinander getrennt, sie kooperieren überhaupt nicht.
Sie halten es für falsch, dass Geber sich auf kleine statt auf politische Korruption konzentrieren?
Ja. Politische Korruption ist nicht nur das größte Problem, sie ist der Kern des Problems. In vielen Ländern weltweit herrscht jetzt ein trautes Miteinander von Politik und Geschäftswelt, ein Kumpanen-Kapitalismus (crony capitalism): Politiker geben Firmen Vorrechte und werden von Firmen unterstützt; Politiker besitzen Unternehmen und Unternehmer gehen in die Politik. Dieses Grundproblem hat viele Entwicklungsländer ärmer gemacht und wird von den Geberprogrammen gegen Korruption gar nicht angegangen.
Laut Mushtaq Khan, dem Leiter des Anti-Corruption Evidence Research Consortium an der Universität London, ist in vielen Entwicklungsländern das informelle Geben und Nehmen so tief im politischen System verankert, dass Geberprogramme an politischer Korruption kaum etwas ändern können. Deshalb sollten sie besser zuerst an der kleinen Korruption ansetzen.
Darüber habe ich mit Mushtaq Khan diskutiert, und ich bin völlig anderer Ansicht. Politische Korruption muss angegangen werden – nicht zuletzt, weil sie die demokratischen Institutionen und die Transparenz zerstört, die nötig sind, um Korruption in der Verwaltung zu bekämpfen.
Wie können Geberländer denn die Widerstände im Kampf gegen politische Korruption überwinden?
Eine Möglichkeit sind internationale Sanktionen. In den USA ermöglicht es der Magnitzky Act, die Urheber bestimmter Verbrechen im Ausland persönlich zu sanktionieren, etwa ihr Vermögen einzufrieren. Zunächst zielte das auf Menschenrechtsverletzungen, nun wird es darüber hinaus angewandt. Ähnliche Möglichkeiten gibt es in Großbritannien und anderswo. Internationale Sanktionen gegen einzelne Personen sind auch schon gegen Kumpel-Kapitalisten aus manchen Ländern angewandt worden.
Vor allem gegen russische, oder?
Ja, aber auch gegen Personen aus Ländern des globalen Südens. Der Präsident des Ölstaates Äquatorialguinea ist im Moment der mit der längsten Amtszeit in Afrika. Sein Sohn war als reicher Playboy international unterwegs, aber dann wurden in der Schweiz seine Villa und einige seiner Autos konfisziert, und er darf in die USA und nach Großbritannien nicht mehr einreisen. In Großbritannien darf man zudem Vermögen von Ausländern beschlagnahmen und um es zurückzuerhalten, müssen die nachweisen, dass sie es legal erworben haben. Diese Beweislastumkehr kann sehr helfen. In manchen Fällen hat die britische Polizei Eigentum beschlagnahmt, auf das nun niemand Anspruch erhebt. Zudem können zwar Geldbußen gegen Firmen internationale Bestechung nicht verhindern – die Firmen zahlen die Strafe einfach. Aber in den USA, Großbritannien, Australien und EU-Ländern werden jetzt einzelne Direktoren und Aufsichtsräte von korrupten Firmen angeklagt und zu Gefängnis verurteilt. Das wirkt.
Kann man so wirklich politische Strukturen und Machtverhältnisse in Ländern wie Uganda, Vietnam oder der DR Kongo von außen ändern?
Bis zu einem gewissen Grad schon. Zumindest haben solche Schritte großen symbolischen Wert für die Bevölkerung der Länder, die unter politischer Korruption leiden. Dank des Internets erfährt man dort davon. Sehr wichtig sind auch Netzwerke von investigativen Journalisten, so dass wir jetzt eine Menge über korrupte Geschäfte wissen. Solche Informationen können Proteste der Bevölkerung auslösen. Die großen Proteste, die zuletzt die autoritäre Regierung in Bangladesch gestürzt haben, waren auch davon motiviert, was über die Familie der Premierministerin und ihre Unternehmen bekannt war und über Freunde und Unterstützer der Regierung, die große Vermögen angehäuft hatten. Das hat die Leute wirklich wütend gemacht. Auch dass in Sri Lanka und im Senegal Kämpfer gegen die Korruption zu Staatspräsidenten gewählt worden sind, ist ein gutes Zeichen. Menschen im Süden stehen auf gegen Korruption und Ungerechtigkeit, und das ist nicht den Gebern zu verdanken.
Das Gespräch führt Bernd Ludermann.
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