Es stimmt: Uruguay ist eine Ausnahme. Im Gegensatz zu den meisten Staaten der Region werden in dem Land am Río de la Plata Polizei, Justiz und Verwaltung im Allgemeinen als „sauber“ wahrgenommen. Zwar kommen auch dort regelmäßig Vergehen ans Licht – von fragwürdigen Rechnungen von Dienstleistern an staatliche Stellen, über das politisch motivierte Umgehen von Datenschutzbestimmungen durch Mitarbeiter der Sicherheitsorgane, bis hin zu der, sich in einem rechtlichen Graubereich befindenden verbreiteten Praxis lokaler Amtsträger, Familien- und Parteiangehörige an einer öffentlichen Ausschreibung vorbei im Staatsapparat anzustellen. In der Öffentlichkeit wird dies aber zumeist als Austausch von Gefälligkeiten dargestellt.
Fälle von klassischer Korruption, bei denen Personen aus staatlichen oder parastaatlichen Institutionen mit Geld bestochen werden, sind selten anzutreffen und die dabei angebotenen Summen stehen in der Regel auch in keinem Verhältnis zu ähnlichen Vorgängen in den Nachbarländern Brasilien oder Argentinien. Dabei mag es sicherlich eine Rolle spielen, dass alle durch hohe Positionen exponierten Personen, sei es in der politischen Sphäre, in der Justiz, in der Verwaltung oder Militär zur regelmäßigen Offenlegung ihrer Einkünfte und ihres Vermögens verpflichtet sind. Zudem müssen größere staatlichen Anschaffungen durch den Rechnungshof geprüft werden, in dem auch die politische Opposition vertreten ist.
Letztendlich dürfte jedoch ein anderer Aspekt maßgeblich dazu beigetragen haben, dass Uruguay, im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern der Region, in der Vergangenheit nicht von großen Korruptionsskandalen heimgesucht wurde: Viele dieser Skandale liefen vor dem Hintergrund des Zugriffs auf Rohstoffvorkommen beziehungsweise der Privatisierung öffentlicher Unternehmen ab. Uruguay besitzt aber weder nennenswerte Bodenschätze, noch hat es öffentliches Eigentum im großen Stil privatisiert. Pläne dafür gab es zwar, sie wurden aber durch Volksabstimmungen unterbunden.
Zufriedenstellende Bedingungen für Geldwäscher
Gleichzeitig ist aber unstrittig, dass die uruguayische Wirtschaft von der Korruption in anderen Ländern profitiert. Mitte des Jahres sorgte in den uruguayischen Medien die Aussage des bekannten argentinischen Wirtschaftsjournalisten Hugo Alconada für Aufsehen, man werde in Uruguay immer darauf hingewiesen, dass die Argentinier korrupt seien, worauf er antworten müsse: „Dafür seid Ihr Uruguayer Geldwäscher“.
Das wurde zwar von Regierungsseite umgehend zurückgewiesen. Es entspricht aber nicht nur einem in der Bevölkerung verbreiteten Alltagsklischee, sondern wird auch von Menschen geteilt, die sich intensiv mit der Materie auseinandergesetzt haben. So wurde vor Kurzem der ehemalige Leiter des nationalen Sekretariats für die Bekämpfung der Geldwäsche, Ricardo Gil, von einem Journalisten gefragt, ob seiner Meinung nach diejenigen, die in Südamerika Geld waschen wollten, mit den Bedingungen in Uruguay zufrieden wären. Er antwortete: „Wenn ich ein Geldwäscher wäre, ja, ich glaube, ich wäre zufrieden.“
Autor
Wolfgang Ecker
lebt in Montevideo und ist ständiger Mitarbeiter der Zeitschrift „ila. Das Lateinamerika-Magazin“.In den vergangenen Jahrzehnten wurden in Uruguay Rahmenbedingungen geschaffenen, die auch illegale Geldgeschäfte erleichtern. So können Konten auf Dollarbasis geführt werden, der Kapitalmarkt unterliegt praktisch keinen Beschränkungen. Ebenso wenig ist die Möglichkeit eingeschränkt, dass Menschen aus dem Ausland in Uruguay Immobilien erwerben oder Firmen gründen. Gleichzeitig gibt es eine unüberschaubare Zahl von Dienstleistern – Anlageberatungs- und Immobilienfirmen, spezialisierte Kanzleien und Notariate –, die bei der Abwicklung größerer Geldgeschäfte helfen. Allein dass es heute rund 7000 Notare und Notarinnen (etwa genauso viele wie in Deutschland) in einem Land gibt, in dem nicht einmal 3,5 Millionen Menschen leben, vermittelt einen Eindruck davon, wie umfangreich und wirtschaftlich bedeutend dieser Sektor ist.
Keine strukturellen Veränderungen im Finanzsystem
Dass solche Strukturen auch geeignet seien, illegale Einkünfte in den legalen Wirtschaftskreislauf einzuspeisen, wurde weitgehend ignoriert oder zu einem Problem außerhalb der eigenen Zuständigkeit erklärt. Berühmt geworden ist die Aussage des damaligen konservativen Wirtschafts- und Finanzministers Ignacio de Posadas aus den 1990er Jahren, der jedwede Verantwortung von sich wies: „Das ist so, als würde man einen Schmied, der Klingen herstellt, für die Verbrechen beschuldigen, die mit ihnen begangen werden könnten.“ Pikanterweise war Posadas Teilhaber der Kanzlei „Posadas, Posadas & Vecino“, die 2019 selbst ins Visier von Ermittlungen zum „Lavo Jato“-Korruptionsskandal in Brasilien geriet: Die Kanzlei soll geholfen haben, rund zehn Millionen US-Dollar Bestechungsgelder für Renato Duque, einem ehemaligen Vorstand des halbstaatlichen Ölkonzerns Petrobras, zu waschen.
Dabei gab es immer internationalen Druck auf Uruguay. Beispielsweise erschien das Land auf Grauen Listen der „Grupo de Acción Financiera de Latinoamérica“ (GAFILAT), der 18 Staaten des amerikanischen Kontinents angehören, verbunden mit der Aufforderung, wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung von Geldwäsche zu ergreifen. Auch um drohende Sanktionen zu vermeiden, wurden ab Mitte der Nullerjahre unter den Regierungen des Linksbündnisses Frente Amplio einige Gesetze geändert: Das vormals allumfassende Bankgeheimnis wurde etwas gelockert, der Umfang von Bargeldgeschäften auf 4000 Dollar begrenzt, Institutionen zur Bekämpfung der Geldwäsche geschaffen und multinationale Vereinbarungen unterzeichnet. Seit 2010 ist das Land Mitglied der „Egmont Group of Financial Intelligence Units“, die nationalstaatliche Dienststellen gegen Geldwäsche vernetzt und den Austausch von internationalen Finanzinformationen ermöglicht.
Strukturelle Veränderungen im Finanzsystem, die den freien Zufluss von Geld aus dem Ausland grundsätzlich erschwert hätten, waren jedoch tabu. Dafür waren zentrale Bereiche der uruguayischen Wirtschaft – vom Tourismus über den Immobiliensektor bis hin zur Landwirtschaft – zu abhängig von Investitionen aus den Nachbarländern. Dieser Umstand führt bis heute dazu, dass die Behörden zwar auf dem Papier über mehr Kontrollmöglichkeiten verfügen. Sie haben aber nicht annähernd die notwendigen Mittel, sie auch in der Praxis in einem relevanten Umfang zu nutzen. Hinzukommt, dass Geldwäsche in der Öffentlichkeit kaum als Gefahr wahrgenommen wird. Ricardo Gil formuliert es so: „Bei Geldwäsche fühlt sich, im Gegensatz zu anderen Straftaten, niemand als Opfer.“
Erst ein Haftbefehl von Interpol führte zur Festnahme
In der Praxis werden deshalb uruguayische Stellen oft erst dann tätig, wenn von außen Druck ausgeübt wird. So geschehen im Fall Marcelo Balcedo. Der Vorsitzende einer kleinen argentinischen Gewerkschaft setzte sich 2007 nach Uruguay ab, als gegen ihn in Argentinien wegen mutmaßlicher Erpressung ermittelt wurde. Er lebte daraufhin jahrelang unbehelligt in einem 90 Hektar großen Landgut östlich von Montevideo. Erst als weitere Ermittlungen in Argentinien den Verdacht erhärteten, dass er über das Gewerkschaftskonto Geld aus dem Drogenhandel gewaschen hatte, und Interpol daraufhin einen internationalen Haftbefehl erließ, wurde er Anfang 2018 festgenommen. Dabei wurden nicht nur mehrere Luxusautos beschlagnahmt, sondern auch rund sechs Millionen Dollar in bar, die zum überwiegenden Teil in Bankschließfächern in Montevideo und Punta del Este deponiert waren. Zudem stellte sich heraus, dass Balcedo im Laufe der Zeit noch weitere Immobilien erworben hatte. Aber offensichtlich gab es in den beteiligten Banken, Immobilienfirmen und Autohäusern niemanden, der sich veranlasst sah, sich über den solventen Kunden zu informieren. Eine simple Suchanfrage im Internet hätte ausgereicht.
Die geltenden Gesetze scheinen zudem ins Leere zu laufen, wenn das Geld in einem anderen Land in den legalen Kreislauf eingespeist war, selbst wenn es begründete Zweifel über den Ursprung gibt. Ein Beispiel hierfür sind die auffälligen Transaktionen in Millionenhöhe der Firmengruppe von Horacio Cartes.
Cartes ist einer der wichtigsten Unternehmer Paraguays, war zwischen 2013 und 2018 Präsident des Landes und gilt nach offizieller Darstellung des US-Außenministeriums als „erheblich korrupt“. Spätestens seit 2010 ermittelt die US-Drogenbekämpfungsbehörde DEA gegen ihn – unter anderem wegen mutmaßlicher Beteiligung am internationalen Drogenhandel und damit verbundenen Geldwäschedelikten. 2019 erließ die brasilianische Justiz überdies einen Haftbefehl gegen ihn in Zuge der „Lavo Jato“-Ermittlungen. Trotzdem flossen zwischen 2014 und 2021 über 40 Millionen US-Dollar über Konten der Cartes-Gruppe nach Uruguay. Besonders brisant ist das vor dem Hintergrund, dass Cartes auch Verbindungen zu dem international gesuchten uruguayischen „Narco“ Sebastían Marset nachgesagt werden. Medienberichten zufolge spielt Marset eine Schlüsselrolle im Kokainschmuggel über den Hafen von Montevideo nach Europa.
Einige Gesetze gegen Geldwäsche wieder aufgeweicht
Die beiden Fälle – Balcedo und Cartes – haben in Uruguay in den Medien für Aufmerksamkeit gesorgt, aber keine Konsequenzen in Form wirksamerer Gesetze oder strengerer Kontrollen gezeitigt. Auch von einem erhöhten Problembewusstsein zumindest auf der politischen Entscheidungsebene kann keine Rede sein. Im Gegenteil. Nach der Rückkehr des bürgerlichen Lagers an die Regierung 2020 wurden einige Gesetze gegen Geldwäsche wieder aufgeweicht. So ist es seither möglich, Zahlungen bis zu einer Grenze von 150.000 US-Dollar in bar abzuwickeln. Gleichzeitig gab es Änderungen im Steuer- und Aufenthaltsrecht, die dazu beitragen sollten, dass – so der explizite Wunsch des konservativen Präsidenten Lacalle Pou – „100.000 wohlhabende Menschen aus Argentinien nach Uruguay migrieren“.
Bis Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts war es nicht nur in Uruguay populär, von dem Land als Schweiz Lateinamerikas zu sprechen. Wie sein europäisches Pendant galt es als wohlhabend und, allen weltweiten Umbrüchen zum Trotz, politisch stabil. In jüngster Zeit wird dieser Begriff wieder angewandt – allerdings in einem Kontext, der beiden Staaten nicht zum Vorteil gereicht: als Beispiele staatlich geschaffener Refugien für illegal erworbenes Vermögen aus der ganzen Welt.
Dass die beiden Länder zugleich zu den weltweit am wenigsten von Korruption betroffenen Staaten gehören, überrascht nur auf den ersten Blick, dürfte dies doch dem Geschäftsmodell einer „vertrauenswürdigen Geldanlage“ durchaus zuträglich sein. Jedenfalls wäre es überfällig, dass Organisationen wie Transparency International nicht nur einen „Korruptionswahrnehmungs-Index“ erstellten, sondern auch einen „Korruptionsnutznießer-Index“. In diesem Fall wäre Uruguay (wie wahrscheinlich auch die Schweiz und manch anderer europäischer Staat) kein vermeintliches Musterland mehr.
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