Wenn es nicht so wichtig wäre, könnte man darüber lachen und den x-ten Streit innerhalb der Ampelregierung als Kindergarten abtun. Aber leider ist es wichtig: Das deutsche Lieferkettengesetz wird in Frage gestellt. Diesmal stoßen der Kanzler, der Vizekanzler und der Finanzminister ins gleiche Horn und diskreditieren gemeinsam andere Kabinettskollegen. Der FDP, allen voran Finanzminister Christian Lindner, sind das deutsche und das europäische Lieferkettengesetz sowieso ein Dorn im Auge. Wirtschaftsminister Robert Habeck sagt, er will das deutsche Gesetz „mit der Kettensäge wegbolzen“ . Und Kanzler Olaf Scholz hat kürzlich dem deutschen Arbeitgeberpräsidenten Rainer Dulger gesagt, dass es „noch dieses Jahr wegkommt“.
Die drei Herren reden damit den Bossen der Wirtschaftsverbände nach dem Mund, deren bekanntes Klagelied ist, dass zu viel Bürokratie die deutsche Wirtschaft hemmt. Und weil das deutsche Lieferkettengesetz bereits seit 2023 gilt, das im Mai beschlossene EU-Lieferkettengesetz aber erst innerhalb der nächsten zwei Jahre in nationales Recht umgesetzt werden muss, warnen sie zudem vor Wettbewerbsnachteilen in der Übergangszeit – und fordern ein Aussetzen des Gesetzes.
Menschenrechte sind kein Luxus
Ja, die wirtschaftliche Lage in Deutschland ist schwierig, aber daran ist sicher nicht das deutsche Lieferkettengesetz schuld. Wir erinnern uns: Ein solches Gesetz wurde auch deswegen nötig, weil die freiwillige Selbstverpflichtung von Unternehmen zum Schutz von Menschenrechten und Umwelt gescheitert ist. Zudem wurde sowohl um das deutsche wie auch um das europäische Gesetz jahrelang gerungen. Es wurde verhandelt, Einwände aller Seiten berücksichtigt, Kompromisse gemacht, abgeschwächt und schließlich beschlossen. Und dazu sollte die Führungsriege eines Landes stehen. Weil Lindner, Scholz und Habeck das nicht tun, untergraben sie ihre Glaubwürdigkeit. Man fragt sich, für welche Werte diese Politiker eigentlich noch stehen? Der Schutz von Menschenrechten und der Umwelt sind nicht nur ein „Nice to have“, sondern verpflichtend. Viel zu lange schon nehmen Politik und Wirtschaft hin, dass für billige Produkte Kinder arbeiten, Arbeiterinnen ausgebeutet und rechtlos gehalten werden und Umweltschäden verursacht werden.
Zudem säen die drei Herren völlig unnötig Streit in der Koalition, denn die Basis der Grünen und der SPD unterstützt beide Gesetze. Sie fallen Arbeitsminister Hubertus Heil sowie Entwicklungsministerin Svenja Schulze (beide SPD) in den Rücken, die an der Umsetzung des EU-Gesetzes in deutsches Recht arbeiten. Und sie stoßen alle Betriebe vor den Kopf, die das deutsche Gesetz bereits seit fast zwei Jahren umsetzen und sich jetzt auf die EU-Regeln einstimmen. Mit dem politischen Hickhack nimmt man ihnen Planungssicherheit, die sie dringend bräuchten.
Und nur weil manche Wirtschaftsverbände laut protestieren, heißt das nicht, dass sie für die gesamte Industrie sprechen. Laut einer Befragung der Unternehmensberatung Boston Consult halten branchenübergreifend etwa 80 Prozent der befragten Unternehmen aus Deutschland und Frankreich das EU-Gesetz für zumutbar und haben bereits Maßnahmen ergriffen, es zu erfüllen. Vor der Abstimmung zum EU-Lieferkettengesetz hatten sich zahlreiche Unternehmen – etwa der Discounter Aldi, der Lebensmittelkonzern Unilever, die Reederei Maersk oder Bekleidungshersteller wie S.Oliver und Vaude – explizit für das EU-Lieferkettengesetz ausgesprochen. Ihre Begründung: Es schaffe Wettbewerbsgleichheit innerhalb der EU.
Das Gesetz hilft bereits Menschen im Süden
Und auch das deutsche Gesetz beginnt zu wirken: Ob bei einer ecuadorianischen Gewerkschaft, die zusammen mit dem ECCHR, Misereor und Oxfam über das deutsche Lieferkettengesetz beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhr (BAFA) Beschwerde gegen die Supermarktketten Rewe und Edeka wegen Arbeitsrechtsverletzungen und Unterdrückung von Gewerkschaftsrechten auf Bananenplantagen in Ecuador eingereicht hatte. Oder bei pakistanischen Textilarbeiterinnen, deren Anliegen nun durch Gewerkschaften vertreten werden.
Darum darf das deutsche Gesetz weder abgeschwächt noch ausgesetzt werden, denn das hieße ein noch längeres „Weiter so“ auf Kosten der Menschen und Umwelt im globalen Süden. Natürlich darf durch die Zusammenführung des EU-Lieferkettengesetzes mit dem deutschen nicht noch mehr Bürokratie entstehen. Doch davon war auch nie die Rede. Diese Zusammenführung bietet eine Chance zum Nachbessern, die genutzt werden sollte. Auch kann man mit mehr Aufklärung und Hilfestellung des Bundes die Unternehmen bei der Erfüllung der Sorgfaltspflichten entlasten. Aber grundsätzlich zur Debatte stehen sollte der Sinn und Zweck eines Lieferkettengesetzes nicht mehr.
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