Wo Fischen lebensgefährlich ist

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Fischer im Jemen können kaum noch rausfahren, weil die von Saudi-Arabien angeführte Militärallianz die Fischerei verbietet und Seeminen ihnen zusätzlich das Leben schwer machen. Immer mehr Fischer weichen deshalb in somalische Gewässer aus, wo sie nicht selten inhaftiert werden.
Jemen
Durch den Krieg im Jemen haben viele Fischer den Zugang zu ihren traditionellen Fanggründen verloren. Um ihre Familien zu ernähren, segeln einige bis an die Küste von Somalia oder Djibouti.

Wer im Jemen vom Fischfang lebt, hat es seit Beginn des Kriegs im März 2015 immer schwerer. Die Preise für Bootsbenzin klettern in die Höhe; gleichzeitig steigt die Gefahr, auf See in Schießereien zwischen den Kriegsparteien zu sterben. Vor dem Krieg konnten die Fischer ihre Ausrüstung einpacken und überall in jemenitischen Gewässern in See stechen. Nun aber verbietet die von Saudi-Arabien angeführte Militärallianz vielerorts die Fischerei. Die Stellen, die den Fischern für ihre Boote bleiben, bieten ihnen keine attraktive Beute. Deshalb segeln einige Fischer in somalische Gewässer, legal oder illegal.

Waseem, der nur seinen Vornamen nennen möchte, ist Mitte 40. Er entstammt einer Fischerfamilie im Verwaltungsbezirk Aden und hat das Handwerk von seinem Vater gelernt. Vor dem Krieg war die Fischerei ein gutes Geschäft, sagt er. Zwar konnte man seinen Fang nicht teuer verkaufen. Aber die Dinge, die man sonst brauchte, waren auch nicht teuer, und die Familie hatte, was sie brauchte. „Wir konnten mit unseren Booten überall im Jemen auslaufen und dachten gar nicht darüber nach, was für ein Glück das war“, erzählt er gegenüber welt-sichten. Kürzlich hätten einige seiner Kollegen versucht, in gesperrten Gewässern zu fischen. Die Sicherheitskräfte der Militärallianz jagten sie und beschlagnahmten ihre Boote. Jetzt wage sich niemand mehr dorthin.

Waseem kennt auch einige Kollegen, die von Kämpfern der Saudi-Arabischen Militärallianz getötet wurden, als sie in gesperrten Gewässern fischten. „Ich weiß nicht, ob das aus Versehen oder bewusst geschah, aber sie sind tot. Andere wurden festgenommen und später wieder freigelassen.“

Zehntausende Fischer haben ihre Einkommensquelle verloren

Einheimischen Berichten zufolge wurden zwischen 2015 und 2019 an der Westküste bislang 271 Fischer von der Militärallianz getötet und 216 verletzt, andere wurden festgenommen – einige von ihnen befinden sich jetzt in saudisch geführten Gefängnissen.

Waseem schlägt sich mit seinem Boot nur mühsam durch, denn er fischt nur in erlaubten Gewässern. Dort aber werfen viele Fischer ihre Netze aus, und die Fangquote ist niedrig. „Gleichzeitig ist der Treibstoff sehr teuer. Oft kommen wir ohne einen Fisch zurück. Dann können wir noch nicht einmal für den nächsten Tag tanken.“ Seine sechsköpfige Familie durchzubringen, wird für ihn immer schwieriger. „Zwei meiner Söhne helfen mir beim Fischen. Sie sind beide unter 15 und sollten eigentlich zur Schule gehen. Aber Überleben ist wichtiger als Bildung.“

Waseem weiß von einigen seiner Kollegen, dass sie in somalischen Gewässern fischen. Andere haben sich neue Jobs gesucht, die sichererer und einfacher sind. Wieder andere sind arbeitslos. Doch für ihn gibt es keinen anderen Beruf – Fischen ist das einzige, was er gelernt hat. Örtliche Medien berichten, dass seit 2015 von 100.000 Fischern im Jemen 37.000 diese Einkommensquelle verloren haben.

In den Gefängnissen Somalias sitzen jemenitische Fischer

Auch Ismail ist Fischer, und auch er möchte nur seinen Vornamen nennen. Als Fischer zu arbeiten bedeute, jeden Tag aufs Neue sein Leben zu riskieren, meint er. „Wenn wir in gesperrten Gewässern unterwegs sind, können wir von den Kräften der saudisch geführten Koalition erschossen werden, und wenn wir an der Grenze zu Somalia oder in somalischen Gewässern erwischt werden, schießt die dortige Küstenwache auf uns“, berichtet er gegenüber welt-sichten. Er selbst wurde vor zwei Jahren von der somalischen Küstenwache festgenommen. „Sie beschlagnahmten mein Boot und sperrten mich für zwei Monate ins Gefängnis.“

Normalerweise beschlagnahmten die somalischen Grenzwächter Fisch und Boote derjenigen, die unerlaubt in ihre Gewässer vorgedrungen sind, und verlangten zudem eine Strafgebühr. Im März 2021 verurteilte ein somalisches Gericht 31 jemenitische Fischer zu einer Strafe von 700 US-Dollar pro Person und beschlagnahmte ihre Boote. Gleichzeitig ließen die Richter acht Kinder frei, die ebenfalls in somalischen Gewässern gefischt hatten und festgenommen worden waren. „In den Gefängnissen Somalias sitzen immer wieder jemenitische Fischer, denn wir können nicht anders als nahe der somalischen Grenze auszufahren, und dann schießen sie auf uns und jagen uns. Wir können nur hoffen, dass unsere Regierung unsere Not erkennt und die Beschränkungen in jemenitischen Gewässern aufhebt“, sagt Ismail. Auch die Küstenwache von Djibouti nimmt ab und zu Fischer aus dem Jemen fest, so etwa im November 2021 sechs Fischer aus Aden. „Wenn es nicht so viele Beschränkungen in jemenitischen Gewässern gäbe, würden wir unser Leben nicht in den gefährlichen Grenzgebieten zu Somalia und Djibouti riskieren“, beteuert Ismail.

Land- und Seeminen werden zur Gefahr

Die saudi-arabisch geführte Militärallianz begründet die Absperrungen der Gewässer damit, dass man nur so den Waffenschmuggel an die Houthi-Rebellen einschränken könne. Die Fischer, denen es nur um ihren Lebensunterhalt geht, verstehen das nicht – sie möchten vor allem irgendwo fischen.

Ein weiteres Problem ist, dass viele Fischer es sich kaum noch leisten können, ihre Boote instand zu halten, erklärt Ismail. „Sie verdienen ja kaum noch genug, um Essen für ihre Familien zu kaufen. So kommt es, dass Boote auf See regelrecht auseinanderfallen. Das ist sehr gefährlich, vor allem bei windigem Wetter.“

In ehemaligen Konfliktzonen wie etwa Al-Hudeida droht ein weiteres großes Risiko: Land- und Seeminen im Küstengebiet.  „In Al-Hudeida sind nur Fischer unterwegs, die hungern und denen es an allem fehlt“, berichtet Suleiman, selbst Fischer aus Al-Hudeida. „Es ist extrem gefährlich. Einer von uns hat seine Beine verloren, weil er an der Küste auf eine Mine trat, andere wurden getötet.“

Fisch ist kaum noch bezahlbar

Abdulmalik Saleh, der in einem Fischereizentrum im Verwaltungsbezirk Aden arbeitet, berichtet, dass die Fischpreise seit Kriegsbeginn dramatisch gestiegen sind, weil die Fischer wegen der gesperrten Gebiete und wegen der gestiegenen Treibstoffpreise nicht mehr genug fangen. „20 Liter Treibstoff haben vor dem Krieg 3000 Jemen-Rial (ca. 11 Euro) gekostet, heute kosten sie bis zu 30.000 Jemen-Rial (110 Euro). Das kann sich kein Fischer leisten“, sagt er gegenüber welt-sichten.

Shakher Mohammed aus Aden erzählt, dass es in seiner Familie vor dem Krieg fast jeden Tag Fisch zu Mittag gab. Inzwischen aber sei Fisch für sie kaum noch bezahlbar. „Wir kommen aus Aden und leben am Meer, aber wir können uns kaum noch Fisch leisten“, klagt er. „Höchstens ein oder zweimal pro Woche, und manche Familien können überhaupt keinen Fisch mehr essen.“

Aus dem Englischen von Barbara Erbe

Der Name der Autorin ist der Redaktion bekannt. Da es im Jemen für Journalisten zunehmend gefährlicher wird, bat sie darum, anonym zu bleiben.

 

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erschienen in Ausgabe 7 / 2022: Das Zeug für den grünen Aufbruch
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