Friedensschluss im Jemen?

picture alliance / EPA/YAHYA ARHAB
Anfang Mai feierten auch die Muslime im Jemen den islamischen Feiertag Eid-al-Fitr, hier in der Hauptstadt Sanaa. Dank der Waffenruhe ist ihnen derzeit eine Atempause und ein Stückchen Normalität vergönnt, wenngleich ein Großteil der Bevölkerung weiterhin unter den Kriegsfolgen, dem Hunger und fehlender medizinischer Versorgung leidet.
Jemen
Ein Gespräch mit Marie-Christine Heinze über die Waffenruhe im Jemen, die Situation der Bevölkerung und was nötig wäre, um die Huthis zu Kompromissen zu bewegen.

Dieser Beitrag ist Teil unserer Serie "Vergessene Krisen im globalen Süden", in der wir in loser Folge die Konflikte in Ländern darstellen, die im Schatten des Krieges in der Ukraine in der medialen Berichterstattung untergehen.

Dr. Marie-Christine Heinze ist Islam- und Politikwissenschaftlerin und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit dem Jemen. Sie ist Vorsitzende der Denkfabrik CARPO (Center for Applied Research in Partnership with the Orient) in Berlin. Seit 2008 arbeitet sie außerdem regelmäßig als Beraterin zu Entwicklung, Friedensförderung und politischem Wandel im Jemen.
Seit Anfang April schweigen im Jemen offiziell die Waffen. Allerdings gab es in den letzten drei Jahren bereits zwei Waffenruhen, die nach kurzer Zeit wieder gebrochen wurden. Was stimmt Sie optimistisch, dass es diesmal anders sein wird?
Ehrlich gesagt nicht viel, trotzdem hoffe ich noch darauf. Denn die Menschen im Jemen brauchen dringend ein Ende dieses Krieges. Wenn die Waffenruhe und die vertrauensbildenden Maßnahmen nicht erfolgreich sind, weiß ich nicht, wann es wieder diese Chance gibt – wohl nicht in den nächsten ein, zwei Jahren. Leider sehe ich Anzeichen dafür, dass der Wille beider Seiten, sich gegenseitig Vertrauen zu schenken, bröckelt.

Wird der Waffenstillstand eingehalten und mehr Hilfe zugelassen?
Ja, wir haben durchaus Fortschritte in den letzten vier Wochen erlebt. Im Rahmen des Abkommens zur Waffenruhe haben sich die Kriegsparteien auch darauf geeinigt, dass 18 Schiffe mit Treibstoff in die Hafenstadt Al-Hudaida am Roten Meer, die von den Huthis kontrolliert wird, einlaufen dürfen. Zuvor gab es kaum noch Kraftstoff  im Norden des Landes, wo ein Großteil der Jemeniten lebt. Die ersten Treibstofftanker sind inzwischen eingelaufen. Das heißt also, dass diese Einigung tatsächlich umgesetzt wird.  Hoffnungsvoll stimmen mich auch die Ergebnisse des Yemen Data Project, einer nichtstaatlichen Organisation, die Daten zum Kriegsverlauf sammelt. Ihr zufolge hat die saudische Koalition tatsächlich einen Monat lang keine Luftangriffe auf den Jemen geflogen. Und auch die Huthis haben keine Angriffe auf die Saudis verübt. In dieser Hinsicht hält der Waffenstillstand.

Was beunruhigt Sie dennoch?
Mich besorgt, dass die Lage auf politischer Ebene brüchiger wird. In dem Abkommen zur Waffenruhe haben sich beide Seiten auf vier Punkte geeinigt. Erstens einen Gefangenenaustausch, zweitens Verhandlungen über den Zugang zur Stadt Taiz, die seit Beginn des Krieges von den Huthis belagert ist, drittens Zugang für Tanker im Hafen von Al-Hudaida und viertens eine Öffnung des Flughafens Sanaa für die zivile Luftfahrt. Erfolgreich war bislang nur die Zufahrt für Schiffe mit Treibstoff. In puncto Gefangenenaustausch gab es zwar auf niedriger politischer Ebene Angebote der Huthis, Leute freizulassen. Inzwischen ist auch ein Austausch zwischen den Huthis und Saudi-Arabien erfolgt. Aber ein großer Gefangenenaustausch zwischen den Huthis und der international anerkannten Regierung steht noch aus. Auch bezüglich der Verhandlungen über Taiz ist noch nicht wirklich viel passiert. Und besonders kriselt es hinsichtlich der angekündigten Öffnung des Flughafens.

Warum?
Seit Beginn des Krieges ist der Flughafen für die zivile Luftfahrt geschlossen. Es war also ein großer Schritt, als angekündigt wurde, nun endlich wieder Flüge aufzunehmen. Der erste sollte nach Jordanien gehen, wurde dann aber kurzfristig wieder abgesagt. Die ganze Einigung zum Flugverkehr droht gerade zu scheitern und jede Seite weist dabei der anderen die Schuld zu. Grund ist vor allem, dass man sich über von den Huthis ausgestellte Pässe nicht einig wird. Für die Bevölkerung ist die Wiederaufnahme des Flugverkehrs aber ganz wichtig, vor allem, weil dann wieder Krankentransporte stattfinden können. Werden sich die beiden Konfliktparteien in diesem Punkt nicht einig, schwächt das auch das Vertrauen der Bevölkerung in die vorsichtige Annäherung.

Der schwedische Diplomat Hans Grundberg ist seit rund einem halben Jahr Jemen-Vermittler der UN. Können die UN in dem Konflikt etwas bewegen?
Die Vereinten Nationen können alleine nichts bewegen. Wie überall in der Welt kann Konfliktmediation nur erfolgreich sein, wenn beide Parteien an einem Ende des Konfliktes interessiert sind. Aufseiten der international anerkannten Regierung des Jemen, des neu gegründeten Präsidialrates und vor allem der saudisch geführten Koalition gibt es ein großes Interesse, den Konflikt zu beenden. Vor allem Saudi-Arabien möchte sich so gesichtswahrend wie möglich da rausziehen. Aber auch hier wird man dies nicht um jeden Preis tun. Bei den Huthis wird der Wille zu einem Ende des Krieges zurecht immer wieder infrage gestellt, eben weil sie derzeit in der besseren Position sind und sie sich in der Vergangenheit in der Regel nicht an getroffene Abkommen gehalten haben. Die Huthis kontrollieren Sanaa und den Norden des Landes, sie sind militärisch gefestigt und im Norden dominant. Es gibt nicht viel, wovon sie bei der Zustimmung zum Frieden profitieren würden, nicht viel, was man ihnen anbieten könnte. Daher lautet die große Frage: Lassen sich die Huthis auf Frieden ein? Und wenn ja: Unter welchen Bedingungen?   

Welche könnten das sein?
Am ehesten kann man die Huthis wohl mit wirtschaftlichen Anreizen locken. Denn warum sollten sie ihre politische Dominanz ohne Not aufgeben? Wenn sie aber Zugang zu neuen Ressourcen erhielten, könnte das reizvoll für sie sein. Über eine mögliche Regierungsbeteiligung hätten sie Zugang zu sämtlichen Mitteln des Staates, also Steuern, Zölle, internationale Hilfsgelder und vieles mehr. Das hieße aber auch, dass sie sich in Zukunft die Macht  mit anderen Gruppen teilen müssten. Alle wollen ein Stück vom Kuchen haben. Manche argumentieren, dass die Huthis auch Interesse daran haben, ihre internationale Isolation aufzuheben, aber das kann ich schwer einschätzen. Ich denke, sie haben sich in der Rolle des internationalen Parias eingerichtet.  

Vor wenigen Wochen hat Präsident Hadi seine Macht überraschend an einen Präsidialrat übertragen. Kann das ein Schritt auf dem Weg zu Frieden sein?
Es ist auf alle Fälle ein wichtiger Schritt, denn dieser Rat vereint zum ersten Mal die wichtigsten Akteure der Anti-Huthi-Koalition in einem Gremium. Das ist ein militärisches Gegengewicht gegenüber den Huthis und kann auch ein gewisses Drohpotenzial aufbauen, was für Verhandlungen wichtig ist. Bisher gab es keine gemeinsamen Gespräche auf militärischer Ebene, weil die Anti-Huthi-Koalition zu zersplittert war. Das könnte sich nun ändern. Allerdings vertreten die Beteiligten im Präsidialrat auch höchst unterschiedliche Interessen. Hier Kompromisse zu finden und an einem Strang zu ziehen, wird eine große Herausforderung sein. Der Präsidialrat muss zeitnah Fortschritte erzielen, um das Vertrauen der Menschen im Süd- und Ostjemen in die neue Regierung, die dieser Rat de facto darstellt, zu gewinnen.

Die US-Regierung hatte ihrem Bündnispartner Saudi-Arabien im vergangenen Jahr die Unterstützung für den Waffengang im Jemen entzogen. Inwiefern hat das den Kriegsverlauf verändert?
Sagen wir mal so: Es hat die Beziehungen zwischen den Saudis und den USA nicht gerade verbessert. Dass die USA Saudi-Arabien die Unterstützung für den Jemen-Krieg entzogen haben, hat leider auch nicht dazu beigetragen, den Frieden im Jemen voranzutreiben. Wir haben diese eine Chance jetzt – wird sie verspielt, wird es lange keine weitere mehr geben. Eine Chance gibt es auch deshalb gerade jetzt, weil Saudi-Arabien den Konflikt beenden will. Auch die Annäherung zwischen Saudi-Arabien und Iran schafft neue Möglichkeiten. Ich hoffe für den Jemen, dass wir – die internationale Gemeinschaft, vor allem aber die Kriegsparteien –die Kurve kriegen.

Durch die momentane Atempause können endlich wieder lebenswichtige Hilfsgüter für die hungernde Bevölkerung geliefert werden. Woran mangelt es den Menschen besonders?
Es mangelt den Menschen im Jemen an allem: an Zugang zu Bildung und Gesundheit, sauberem Wasser und Elektrizität, Nahrungsmitteln und Medikamenten. Solange es keine Stabilität im Land gibt, kann hier nur punktuell Abhilfe geschaffen werden. Die Menschen können sich die Lebensmittel, die auf den Märkten angeboten werden, schlicht nicht leisten. Die Lage wird noch verschärft, weil jetzt die Weizenimporte aus der Ukraine, von denen der Jemen im hohen Maß abhängig ist, wegen des Krieges wegfallen. Das wird die Preise für das Grundnahrungsmittel Weizen weiter in die Höhe treiben.

Das Gespräch führte Elisa Rheinheimer

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