Weniger Bürokratie, mehr Mitsprache lokaler Helferinnen und Helfer: Im Jahr 2016 haben sich Geberländer, nichtstaatliche Hilfsorganisationen und UN-Agenturen auf eine umfassende Reform des humanitären Hilfssystems geeinigt. Fünf Jahre nach der Verabschiedung des sogenannten Grand Bargain sind viele der vereinbarten Ziele noch nicht erreicht. „Die Zwischenbilanz ist gemischt“, sagt Ralf Südhoff, Direktor der in Berlin ansässigen Denkfabrik Centre for Humanitarian Action. „Es gibt gute Ansätze, doch der Grand Bargain hat es bisher kaum geschafft, Prozesse oder gar Strukturen wirklich zu verändern.“
Der Grand Bargain wurde im Mai 2016 beim humanitären Weltgipfel (WHS) in Istanbul verabschiedet. Inzwischen haben 63 Parteien die Absichtserklärung unterzeichnet, darunter wichtige Geberländer wie Deutschland und die USA, zahlreiche UN-Agenturen sowie internationale Hilfsorganisationen. Der Grand Bargain soll die humanitäre Hilfe effizienter machen und dafür sorgen, dass mehr Geld direkt bei den Hilfsempfängern ankommt. Die Unterzeichner reagieren damit auf die Kluft zwischen dem wachsenden Bedarf an humanitärer Hilfe und der Unterfinanzierung vieler Programme und Organisationen.
Mehr Geld für lokale Hilfsorganisationen
Ein weiteres Kernanliegen des Grand Bargain ist die sogenannte Lokalisierung der humanitären Hilfe: Lokale und nationale Organisationen sollen in Notlagen mehr Geld erhalten und bei der Planung von Hilfseinsätzen besser eingebunden werden. Damit ist der Grand Bargain auch eine Reaktion auf die Kritik am Hilfseinsatz nach dem Erdbeben in Haiti im Jahr 2010, bei dem lokale Helferinnen und Helfer weitgehend ignoriert und ausgeschlossen wurden.
Ausgerechnet hier bleiben die Unterzeichner bisher hinter ihren selbstgesteckten Zielen zurück. Zwar betonen nahezu alle Organisationen und Geber, dass ihnen Lokalisierung wichtig ist, wie es in einem Bericht des Overseas Development Institute (ODI) von 2020 heißt. Doch das spiegelt sich kaum in der Finanzierung wider. So haben dem ODI-Bericht zufolge im Jahr 2019 lediglich zehn Unterzeichner das Ziel erreicht, in Notlagen mindestens ein Viertel der humanitären Hilfsgelder möglichst direkt über lokale und nationale Organisationen abzuwickeln.
Direkte Förderung lokaler Akteure bleibt Herausforderung
Im Jahr 2020 wurde dieses Ziel erstmals von Deutschland erreicht. Von der humanitären Hilfe in Höhe von rund 2,1 Milliarden Euro erhielten lokale Akteure nach Angaben des Auswärtigen Amts (AA) im vergangenen Jahr knapp 27 Prozent. Der Großteil wurde dabei über weitere internationale Organisationen oder UN-Länderfonds an lokale Helfer weitergeleitet. Gemäß der Grand Bargain-Vereinbarung gelten Hilfsgelder auch dann als lokalisiert, wenn sie über eine weitere Zwischeninstanz Helfern vor Ort zugutekommen. Eine großflächige, direkte Förderung lokaler Akteure bleibe aufgrund „organisatorischer und juristischer Gründe“ eine Herausforderung, erklärt das Auswärtige Amt.
Schlecht sieht es laut Overseas Development Institute bei der langfristigen Unterstützung lokaler Hilfsorganisationen aus. Insgesamt investierten Geber und Hilfsorganisationen zu wenig in den Kapazitäts- und Verwaltungsaufbau lokaler Organisationen und Partner, moniert die Denkfabrik. Eine Ausnahme ist das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR, das inzwischen pauschal vier Prozent seiner Gelder an lokale Partner weiterleitet. Auch Oxfam, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz und Christian Aid unterstützen lokale Partner mit Verwaltungspauschalen.
Kaum Mitsprache
„Um die humanitäre Hilfe zu lokalisieren, müssen lokale Organisationen langfristig unterstützt und gefördert werden“, sagt CHA-Direktor Südhoff. Das sei wichtig, damit sie in Zukunft direkt bei internationalen Gebern Gelder beantragen können. Auch nichtstaatliche Organisationen müssten ihren Partnern dafür Geld bereitstellen und transparent darüber berichten.
Der Bereichsleiter für humanitäre Hilfe beim entwicklungspolitischen Dachverband VENRO, Bodo von Borries, fordert zudem, lokale Gruppen besser bei der Planung von Hilfseinsätzen einzubinden. Ein Problem sei etwa, dass bei von den UN organisierten Koordinierungstreffen nur Englisch gesprochen werde. „Das schließt viele Organisationen und Helfer aus“, sagt von Borries. Auch Südhoff kritisiert: „Das humanitäre Hilfssystem kann zwar effektiv Hilfe leisten, aber es gelingt nur schlecht, lokale Perspektiven und Bedürfnisse einzubeziehen.“
"Der Trend stimmt"
Bei der von nichtstaatlichen Hilfsorganisationen und UN-Agenturen oft geforderten flexibleren Vergabe von Hilfsgeldern gibt es hingegen kleine Fortschritte. Der Grand Bargain sieht vor, dass Geber mindestens 30 Prozent ihrer Förderung für Hilfsorganisationen nicht oder nur geringfügig zweckgebunden vergeben. Dieses Ziel haben im Jahr 2019 elf Geber erreicht. In Deutschland lag der Anteil flexibler Hilfsgelder im Jahr 2020 bei etwa 37 Prozent und damit erstmals deutlich über dem Grand Bargain-Ziel. „Der Trend stimmt“, sagt die FDP-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Gyde Jensen. Das Tempo sei aber noch viel zu langsam. Als weltweit zweitgrößter humanitärer Geber habe Deutschland eine „Vorbildfunktion“.
Ein anderes vom Auswärtigen Amt mit initiiertes Vorhaben nimmt derweil allmählich an Fahrt auf. Um die Berichtspflichten humanitärer Hilfsorganisationen zu vereinheitlichen, hat das Auswärtige Amt gemeinsam mit dem NGO-Netzwerk ICVA eine Berichtsvorlage (das sogenannte 8+3 Template) entwickelt, die von verschiedenen Gebern genutzt werden kann. Das soll den Verwaltungsaufwand minimieren, der für viele Hilfsorganisationen anfällt, weil Geber unterschiedliche Berichtsformate verwenden. Bisher sind insgesamt neun Geberländer sowie vier UN-Agenturen darauf umgestiegen. Es müssten nun schnell mehr Geber das neue Format nutzen, fordert von Borries. Bisher fehlten wichtige Geber wie das Europäische Amt für humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz (ECHO).
Mitte Juni beraten die Unterzeichner des Grand Bargain bei ihrem Jahrestreffen, wie es mit ihrem Reformvorhaben weitergehen soll. Das Auswärtige Amt will vor allem in den Blick nehmen, wie lokale Strukturen besser unterstützt und Hilfsgelder flexibler vergeben werden können. Von Borries fordert, Hilfsorganisationen aus dem globalen Süden stärker in den Prozess einzubeziehen. „Es wird immer noch zu viel über lokale Organisationen aus dem Süden geredet statt mit ihnen“, kritisiert der VENRO-Experte.
Humanitaere Koordinierungstreffen oder IASC Cluster
Eine kleine Ergaenzung bzw. Richtigstellung - bei den Koordinerungstreffen handelt es sich um die Cluster, die unter das Inter Agency Standing Committee (IASC) fallen und von diversen UN Organisationen mit Fachexpertise federfuehrend fuer den gesamten Sektor gefuehrt werden (s. https://www.humanitarianresponse.info/en/coordination/clusters/what-cluster-approach).
Lokale Organisationen sind klar vor viele Herausforderungen gestellt. Finanzierung, Sprache, Vernetzung, Expertise etc. sind nur einige wenige davon. Bei Interesse sind vielleicht die Videos 'Act Collectively' vom global Food Security Cluster interessant, wo lokale Organisationen in Bangladesh, Irak und Mali zu Wort kommen (https://fscluster.org/news/gallery).
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