Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg ist im Januar nach Äthiopien geflogen, um zwei Millionen Euro an Nothilfe zu übergeben. Eine Hälfte geht an das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, die andere an das World Food Programme, das sich um die Ernährung von Kriegsopfern und Vertriebenen kümmert. Eine weitere Million soll über österreichische Hilfsorganisationen in Projekte in Äthiopien fließen. Über die äthiopische Regierung werden keine Hilfsgelder kanalisiert.
Ende vergangenen Jahres hatte ein kurzer Krieg zwischen der Zentralregierung und der Befreiungsbewegung TPLF der nördlichen Region Tigray einige Hundert Todesopfer gefordert und mindestens 45.000 Menschen vertrieben. Das auf einem Hochplateau gelegene Tigray grenzt an Eritrea und ist mit rund 50.000 Quadratkilometern etwas größer als Niedersachsen.
Etwa 2,3 Millionen Menschen brauchen humanitäre Hilfe
Mit dem Waffengang entluden sich Spannungen, die sich zwischen der TPLF und Addis Abeba seit dem Amtsantritt von Ministerpräsident Abiy Ahmed aufgestaut hatten. Die Region war monatelang von der Außenwelt abgeriegelt, Telefon- und Internetverbindungen gekappt. Seit dem Ausbruch der Kämpfe sind nach Schätzungen der Vereinten Nationen (UN) rund 2,3 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Erst Anfang Februar gab die äthiopische Regierung den UN grünes Licht für Hilfslieferungen.
Schallenberg hatte die Regierung gedrängt, Nothilfe in die Region zu lassen. Er bot zudem Österreichs gute Dienste zur politischen Beilegung des Konflikts an. Äthiopien ist seit fast 30 Jahren Schwerpunktland der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit. 20 Millionen der rund 112 Millionen Einwohner sind in Äthiopien laut den UN derzeit auf humanitäre Hilfe angewiesen, 14 Millionen haben dringenden Bedarf an Nahrungsmitteln oder gelten als chronisch unterernährt.
Österreich hilft über kirchliche Hilfswerke
Schallenberg besuchte auch ein Projekt des Salesianer-Hilfswerks Jugend Eine Welt (J1W) am Rande der Hauptstadt Addis Abeba. Kofinanziert wird es von der Austrian Development Agency (ADA), die Österreichs Entwicklungszusammenarbeit abwickelt. Laut J1W-Geschäftsführer Reinhard Heiserer werden in dem Projekt Jugendliche im Gastgewerbe, in Metallmechanik, Landwirtschaft oder Solartechnik ausgebildet. Lokales Wissen in Solartechnik zu schaffen, sei derzeit ein Schwerpunkt der Arbeit in Äthiopien. Mit Solarenergie können auch Wasserpumpen betrieben werden. In der Region Tigray gebe es aber bisher keine solchen Pumpen. Wasser werde dort mit Dieselgeneratoren aus den Brunnen gepumpt. Heiserer: „Die Treibstoffpreise sind wie die Preise von Nahrungsmitteln durch den Konflikt explodiert.“ Jugend Eine Welt habe über die Salesianer Don Bosco in Tigray Soforthilfe durch Geldspenden geleistet.
Außenminister Schallenberg besuchte außerdem das Aysaita-Flüchtlingslager im Teilstaat Afar, das vom World Food Programme betrieben wird. Dort leben rund 25.000 Menschen, in erster Linie Flüchtlinge aus Eritrea. Etwa 60 Prozent sind minderjährig. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte in einem Telefonat mit Abiy Ahmed im Februar den freien Zugang von humanitären Hilfsorganisationen und von Medien in das Krisengebiet gefordert. Wie eine Sprecherin des Entwicklungsministeriums (BMZ) erklärte, zieht Deutschland mit der EU hierbei an einem Strang. Das BMZ wirke öffentlich, auf Ebene der EU und gegenüber der äthiopischen Regierung, auf eine rasche Verbesserung der Lage hin. Die EU hat Budgethilfe für Äthiopien in Höhe von 88 Millionen Euro eingefroren, wie der Außenbeauftragte Josep Borrell Mitte Januar bekanntgab. Die Auszahlung hänge davon ab, dass humanitäre Helfer ungehinderten Zugang zu Tigray bekämen. Zahlungen für humanitäre Hilfe und für sonstige Entwicklungshilfe sind von dem Stopp nicht betroffen.
Berlin will Stabilität und hält an Premierminister Abiy fest
Das Entwicklungsministerium knüpft laut der Sprecherin die Auszahlung seiner Reformfinanzierung an die weitere politische Entwicklung in Äthiopien. „Dies schließt einen politischen Prozess zur Lösung des Tigray-Konflikts und die Durchführung von glaubwürdigen Parlamentswahlen ein.“ Das BMZ gehe dabei im Einklang mit anderen Gebern vor, auch der Europäischen Union, die weitere Schritte mit Blick auf die Budgethilfe von Fortschritten bei der Konfliktlösung abhängig machten.
Im Rahmen der bilateralen staatlichen Zusammenarbeit hat das BMZ Äthiopien im Jahr 2020 rund 260 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Schwerpunktmäßig seien diese zur Bewältigung der Covid-19-Pandemie, zur wirtschaftlichen Entwicklung wie in der industriellen und landwirtschaftlichen Produktion sowie zur beruflichen Bildung eingesetzt worden. Hinzu kämen Mittel von BMZ-Sonderinitiativen zur Bekämpfung von Hunger oder für Aufnahmeregionen von Flüchtlingen.
Wahlen sind Gradmesser für die künftige Zusammenarbeit
Berlin hat indes deutlich gemacht, dass es im Interesse der regionalen Stabilität an Premier Abiy und seinem begonnenen Reformprozess festhält. So sprach die Bundesregierung sich zwar nachdrücklich für eine schnelle Deeskalation aus, betonte aber vor allem „die konsequente Fortführung der demokratischen Transition und den Schutz der Menschenrechte“. Das Entwicklungsministerium sei bereit, Äthiopien dabei weiter kritisch zu begleiten, denn zur Umsetzung tiefgreifender Reformen werde eine verlässliche Unterstützung durch die Gebergemeinschaft gebraucht. „Wir wollen die Regierung an diesen Reformkurs binden“, heißt es aus dem Ministerium. Ein wichtiger Gradmesser für die Zukunft der Reformpartnerschaft soll die Durchführung der für Juni angekündigten Wahlen sein.
Auch Brüssel hat die Regierung in Addis Abeba ermutigt, „sich für Versöhnung und Dialog einzusetzen, vor allem im Hinblick auf die bevorstehenden Wahlen“, wie eine Sprecherin mitteilte. „Alle an der Verschlechterung der Lage beteiligten Parteien“ sollten sich für eine Befriedung engagieren. Borrell hat zudem gefordert, dass sich eritreische Truppen aus Äthiopien zurückziehen und Flüchtlinge geschützt werden – viele Menschen sind ins Nachbarland Sudan geflohen. Vor diesem Hintergrund reiste Anfang Februar Finnlands Außenminister Pekka Haavisto nach Äthiopien und in den Sudan. Er sollte dort im Namen der EU Gespräche führen.
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