In der Mitte der Gesellschaft angekommen

Im Mai kam heraus, dass ein Bundespolizist in Hannover Flüchtlinge misshandelt haben soll. Einen Tag später veröffentlichte der Anti-Rassismus-Ausschuss der Vereinten Nationen seinen Bericht zu Deutschland. Fazit: Vorfälle wie der in Hannover sind wohl kein Zufall, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit nehmen zu hierzulande.

Die UN untersuchen in regelmäßigen Abständen, wie ihre Mitgliedsstaaten es mit der Anti-Rassismus-Konvention von 1969 halten. Alle 177 Mitgliedstaaten der Konvention müssen sich dann immer wieder Prüfverfahren vor dem Ausschuss stellen. Die Bundesregierung hatte bei den Anhörungen bereits ein stärkeres Engagement im Kampf gegen Rassendiskriminierung zugesagt. Die Abteilungsleiterin für Menschenrechte im Bundesjustizministerium, Almut Wittling-Vogel, hatte eingeräumt, dass Rassismus in Deutschland nicht allein in der rechtsextremen Szene anzutreffen sei.

Auch die Prüfer sehen Rassismus in der Mitte der deutschen Gesellschaft. Nach ihrer Ansicht mangelt es zudem an wirksamen Maßnahmen, „entsprechende Reden und Verhaltensweisen“ zu unterbinden und zu bestrafen. Die Gerichte bräuchten eine klarere gesetzliche Definition von rassistischer Diskriminierung, um dagegen vorgehen zu können. Deutsche Richter nähmen bislang nur zurückhaltend auf die Anti-Rassismus-Konvention Bezug.

Ermittler müssen Rassismus als Motiv für Straftaten erkennen

Unter Hinweis auf die Fehler bei den Ermittlungen gegen die rechtsextreme NSU-Terrorgruppe fordert das UN-Gremium, Polizisten und Ermittler besser in die Lage zu versetzen, rassistische Motive von Straftaten zu erkennen und zu verfolgen. Außerdem brauche es unabhängige Instanzen in Bund und Ländern für Beschwerden gegen rassistische Diskriminierung durch Polizisten und andere Sicherheitskräfte. Nachholbedarf habe Deutschland zudem bei der Achtung der allgemeinen Rechte von Asylbewerbern und Migranten. So müsse diesen Menschen ungehinderter Zugang zu medizinischer Versorgung und Bildung gewährt werden.

Der UN-Ausschuss greift damit fast eins zu eins die Kritik von nichtstaatlichen Organisationen auf, die erstmals im Rahmen des Prüfverfahrens mündlich in Genf ihre Sorgen vortragen konnten. So hatte Selmin Çalişkan, Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland, Politikern und Parteien vorgeworfen, sie grenzten sich „nicht konsequent von rassistischen Ressentiments, Stereotypen und Vorurteilen ab“. Das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) hatte angesichts der Zunahme von rassistischen Äußerungen im öffentlichen Raum beklagt, Rassismus werde viel zu zurückhaltend benannt und verfolgt. Häufig werde Rassismus zu eng ausgelegt und nur mit gewalttätigem Rechtsex­tremismus gleichgesetzt. Gerade die breit gefächerte Pegida-Bewegung entlarve dies jedoch als Fehleinschätzung.

Der Justiz ist Rassismus als Tatmotiv fremd

Als erschwerenden Zustand bemängeln die Menschenrechtler, dass Rassismus strafrechtlich kaum berücksichtigt werde. Zu einer Strafverfolgung komme es nur, wenn die Polizei in ihre Ermittlung von Anfang an auch rassistische Motive mit einbeziehe. Das gelte auch für Justizbeamte. „Rassismus als Begriff taucht in der Rechtspraxis nicht auf. Es fehlt an Verständnis und an der Konkretisierung“, sagte DIMR-Rassismus-Experte Hendrik Cremer. Auch im Umgang mit Flüchtlingen hatten die Kritiker Reformbedarf angemeldet – etwa bei der Massenunterbringung, die gegen das menschenrechtlich verbriefte Recht auf Wohnen verstoße.

Das DIMR begrüßte die Genfer Ergebnisse und forderte Bund und Länder auf, aus den Empfehlungen eine umfassende Strategie gegen Rassismus abzuleiten. „Die Bekämpfung von Rassismus muss endlich zu einem wichtigen Politikfeld in Deutschland werden“, sagte die Leiterin der Inlandsabteilung des DIMR, Petra Follmar-Otto.  Der Ausschuss habe zudem deutlich gemacht, dass Rassismus auch in staatlichen Institutionen und Behörden ein Problem sei.

 

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erschienen in Ausgabe 6 / 2015: Indien: Großmacht im Wartestand
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