„Wir können uns nicht diesem Tyrann unterwerfen“

picture alliance / ZUMAPRESS.com/Basilio Sepe
Ende September demonstrieren in Manila viele Menschen gegen den Kurs der Regierung und erinnern an das Kriegsrecht, das der frühere Diktator Ferdinand Marcos 1972 einführte - und damit die Demokratie aushebelte. Sein Sohn kandidiert für die Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr.
Philippinen
Die philippinische Investigativ-Journalistin Ellen Tordesillas kämpft – ebenso wie die frisch gekürte Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa – gegen Lügen und Propaganda der Regierung Duterte. Im Interview mit welt-sichten spricht Tordesillas über ihre gefährliche Arbeit, die anstehenden Präsidentschaftswahlen und die Rolle der katholischen Kirche.

Ellen Tordesillas ist Investigativ-Journalistin und Mitgründerin der Fact-Checking-Plattform „VERA Files“. Seit sie in den 1980er Jahren die politischen Verbrechen und die schamlose Bereicherung des Diktatorenpaars Ferdinand und Imelda Marcos enthüllte, hat sie jede Präsidentschaft kritisch begleitet und zur Aufklärung der wichtigsten Korruptions- und Amtsmissbrauchsskandale auf den Philippinen beigetragen.
Sie gelten als „grande dame“ des Investigativ-Journalismus auf den Philippinen. 2008 haben Sie gemeinsam mit Freunden die „VERA Files“ gegründet. Was verbirgt sich dahinter?
Wir sind 14 Journalistinnen und Journalisten, die tiefgründige Recherchen über philippinische und internationale Politik publizieren. Eilmeldungen sucht man bei uns vergebens, es geht uns um investigative Berichterstattung. Außerdem sind wir eine Online-Plattform zum Fakten-Checken. Wir überprüfen die Aussagen von Politikern ebenso wie Behauptungen, die in den sozialen Medien kursieren. Gerade jetzt in der Pandemie tut das not. Zudem bringen wir in  Trainingskursen Schülern und  Studierenden, Anwälten und Ärztinnen bei, wie man Fake News identifiziert und bekämpft. Das wird auf den Philippinen immer wichtiger.

Warum?
Rodrigo Duterte hat als Präsident unsere Demokratie zurückgedrängt. In den vergangenen fünf Jahren haben sich autoritäre Tendenzen im Land verstärkt. Duterte hat Menschenrechtlern und Journalistinnen den Kampf angesagt, nicht zuletzt mit Fake News. Aber auch die „sozialen Medien“, die für viele Menschen zu einer Informationsquelle geworden sind, spielen eine Rolle. Journalisten überprüfen die Fakten, bevor sie etwas publizieren. Doch bei Twitter oder Facebook kann jede und jeder Dinge veröffentlichen, die nicht vorab verifiziert worden sind. Deshalb ist der Bedarf nach einem Faktencheck nach Veröffentlichung enorm gestiegen. Wir arbeiten daher auch mit Facebook zusammen

In wenigen anderen Ländern werden so viele Journalisten ermordet wie auf den Philippinen. Schreckt das den journalistischen Nachwuchs ab? 
Nein. Es gibt genug junge Menschen, die etwas Sinnvolles tun wollen, denen es nicht reicht, bloß im Internet zu surfen oder das Leben zu genießen. Viele beunruhigt die Flut an Desinformation und so bekommen wir bei VERA Files zahlreiche Bewerbungen junger Leute.  Aber es ist wahr: Duterte verfolgt unabhängige Medien, die kritisch über ihn berichten. 

Das trifft das Online-Portal „Rappler“, das nun durch die Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa auch im Westen bekannt geworden ist, ebenso wie Sie und Ihre Kollegen bei VERA Files. Sie haben bereits mehrfach Morddrohungen erhalten. Was gibt Ihnen die Kraft, weiterzumachen?
Wir müssen die Freiheit verteidigen! Und die Demokratie! Denn wenn wir es nicht tun – was für ein Leben werden wir dann führen? Ich will nicht behaupten, dass ich keine Angst hätte. Aber aufgeben ist keine Lösung. Wir können uns doch nicht einfach diesem Tyrann unterwerfen. 

Trotz seiner mörderischen Vorgehensweise gegen Drogensüchtige und Dealer ist Duterte in der Bevölkerung enorm beliebt: Umfragen zufolge sprechen sich bis zu 90 Prozent für den Kurs des Präsidenten aus. Wie erklären Sie sich das?
Schwer zu sagen. Ich erkläre mir das so, dass manche Menschen ihn als eine Art brutale Variante von Robin Hood sehen. Ja, er ist böse – aber er geht auch gegen die Bösen vor. So stellt er es zumindest dar, wenn er im Namen des „Kampfs gegen die Drogen“ tausende Menschen umbringen lässt. Hinzu kommt, dass er eine sehr gute Propaganda-Maschine hat – inklusive eines hervorragenden Online-Netzwerks. Eine ganze Armee von Trollen steht bereit, um diejenigen fertig zu machen, die gegen ihn sind, und um den Anschein zu verbreiten, dass er jede Menge Anhänger hat.  

Nächstes Jahr wird auf den Philippinen gewählt.  Dutertes Tochter Sara könnte die nächste Präsidentin der Philippinen zu werden. Würde sie den restriktiven Kurs ihres Vaters fortsetzen oder steht sie für eine weniger autoritäre Politik?
Ich vermute, dass sie mit ebenso harter Hand regieren würde wie er. Sie ist immerhin seine Tochter.  Das bedeutet auch, dass sie ihren Vater schützen wird, denn gegen den ermittelt der Internationale Strafgerichtshof. Ihm wird vorgeworfen, mit seinem Anti-Drogen-Kampf für den Tod von mindestens 8000 Menschen verantwortlich zu sein. Sara hat in ihrer Rolle als Bürgermeisterin von Davao selbst für Schlagzeilen gesorgt, etwa als sie einen Gerichtsvollzieher in aller Öffentlichkeit mit den Fäusten ins Gesicht schlug. Aber noch mehr Sorgen bereitet mir die Kandidatur von Ferdinand Marcos Junior, dem Sohn des einstigen Diktators Ferdinand Marcos.  Erschreckenderweise hat er viele Anhänger. 

Zu Beginn des Wahlkampfs Mitte September haben drei philippinische Erzbischöfe in deutlichen Worten zu gewaltfreiem Widerstand gegen die "mörderische und korrupte öffentliche Ordnung" aufgerufen. In Deutschland gilt die katholische Kirche vielen Menschen eher als Kraft, die den Status Quo bewahren will, denn als reformatorische und mutige Stimme auf der politischen Bühne. Ist das bei Ihnen anders?
Die Kirche und die Medien sind die einzigen verbliebenen Institutionen auf den Philippinen, die sich gegen Duterte stellen. Die Legislative und die Judikative, die die Exekutive kontrollieren sollen, wurden von Duterte vereinnahmt und sorgen nicht für das notwendige Gleichgewicht, damit die Demokratie funktioniert. Die Kirche hat ihre eigenen Schwächen, aber im derzeitigen Kampf gegen Dutertes Tyrannei ist sie eine positive Kraft.

Sie waren nun ein Jahr lang Gast der „Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte“. Was bedeutet das für Sie? 
Die Stiftung hat mir einen Rückzugsraum ermöglicht, die Chance, aufzuatmen. Bevor ich in Hamburg ankam, wusste ich nicht, wie sich ein sicherer Ort überhaupt anfühlt. Das ist so ein kostbares Geschenk. Meine Arbeit ist sehr anstrengend. In Hamburg konnte ich auf die Straße gehen ohne Angst, verfolgt zu werden. Ich konnte arbeiten ohne die ständige Sorge im Nacken, im nächsten Moment verhaftet zu werden. Das war regelrecht ein Kulturschock. 

Nun kehren Sie auf die Philippinen zurück. Was werden Sie als erstes tun, wenn Sie dort sind?
Weiterarbeiten! Mit den anstehenden Wahlen im nächsten Jahr ist bei uns viel zu tun. Freizeit? Die einzige Zerstreuung, die ich mir ab und zu gönne, ist Netflix.  

Was können die Deutschen von den Filippinos lernen?
Zunächst einmal sollten die Filipinos von den Deutschen lernen – nämlich, wie man eine humane, demokratische Gesellschaft aufbaut. Vielleicht können die Deutschen aus den unglücklichen Erfahrungen der Filipinos mit Duterte lernen. Nehmt die Demokratie nicht als selbstverständlich hin! Man sollte sich nie mit der Freiheit zufriedengeben, die nach schwierigen Kämpfen von früheren Generationen errungen wurde. Wir müssen begreifen, dass wir gegenüber Kräften, die die Demokratie bedrohen, immer wachsam sein sollten.    

Das Gespräch führte Elisa Rheinheimer

Hier geht’s zur Homepage von Ellen Tordesillas, hier hören Sie einen 30-minütigen Podcast mit ihr.
 

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erschienen in Ausgabe 11 / 2021: Leben im Dorf
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