Mit Gottes Gnade werde ich zu gegebener Zeit zurück sein“ – dieses Versprechen hat der philippinische Präsident Rodrigo Duterte am 9. November 2016 an einem schwülen Mittwochnachmittag auf einer behelfsmäßigen Bühne vor einem Massengrab den Menschen von Tacloban gegeben. Am dritten Jahrestags des Taifuns Haiyan versicherte er den Überlebenden, dass Hilfe kommen werde. Er werde persönlich dafür sorgen, dass Familien wieder ein Dach über dem Kopf bekämen. Und sogar ein Schwimmbad solle es geben. Denn wer den bis dahin weltstärksten Sturm überlebt habe, verdiene nicht weniger, befand er. Duterte war damals erst vier Monate im Amt.
Zwei Jahre später kehrte der Präsident in eine Stadt zurück, die sich allem Anschein nach erholt hatte, um dort das Festival der Lichter zu feiern. Zwischen seinen beiden Besuchen hatten Familien, die jahrelang vernachlässigt worden waren, ein neues Zuhause bekommen. Straßenarbeiten waren abgeschlossen, Bauten zum Hochwasserschutz fertiggestellt. Sogar der Bau eines neuen Flughafens war genehmigt.
Das Bild eines mitfühlenden Präsidenten mit starkem Willen macht Rodrigo Duterte zum beliebtesten Präsidenten der jüngeren philippinischen Geschichte. Dabei spielt es scheinbar keine Rolle, dass derselbe Mann buchstäblich zum Mord an allen Drogenabhängigen aufgerufen hat. Es interessiert offenbar nur wenige, dass er als Oberbefehlshaber seine Soldaten anwies, weiblichen Aufständischen in die Vagina zu schießen. Es fällt nicht ins Gewicht, dass er die islamische Stadt Marawi im Süden der Philippinen in Schutt und Asche legte. Und es ist auch nicht von Belang, dass er sich selbst einen Mörder nennt. Nach drei Jahren im Amt erhält der brutal auftretende Staatschef Zustimmungswerte von 85 Prozent.
Viele Beobachter beklagen den gegenwärtigen Zustand des philippinischen Staates. Manche sind der Ansicht, eine Art autoritäre Nostalgie habe das Land ergriffen, nachdem in mehr als 30 Jahren Elitendemokratie wenig geschehen ist, um das Land von der Armut zu befreien. Dabei ist es kein Zufall, dass Duterte sich in Tacloban großer Beliebtheit erfreut. Schließlich ist es die Heimatstadt von Imelda Marcos, der Ehefrau des ehemaligen Diktators Ferdinand Marcos. Es gab Zeiten, in denen es in Taclobans Straßen dank der Großzügigkeit der Familie Marcos während der Feierlichkeiten zu Santo Niño Speisen und Getränke im Überfluss gab. Als der Marcos-Clan 1986 von der Macht vertrieben wurde, wurde Tacloban zu einer Stadt, die „leicht zu übersehen“ sei, sagte mir ein aufstrebender Politiker. Dieses Gefühl der Vernachlässigung verstärkte sich nach dem Sturm, durch den 6000 Menschen starben, viele ihr Zuhause verloren und hungern mussten.
Nicht alle unterwerfne sich dem "starken Mann"
Dutertes Aufstieg an die Macht verweist auf die Anziehungskraft eines Mannes, der die Dinge anpackt. Seine wirkungsvolle Kombination von Gangster-Charme und Zuversicht legt die Schwächen eines demokratischen Systems offen, das sich der herrschenden Klasse verpflichtet sieht und in dem Gewaltenteilung den Fortschritt aufhält. Laut der gängigen Darstellung haben sich die Philippiner von der Demokratie abgewandt und sich in der Hoffnung auf wachsenden Wohlstand Dutertes repressivem Projekt verschrieben.
Autorin
Nicole Curato
lehrt am Centre for Deliberative Democracy and Global Governance an der Universität Canberra. Dieses Jahr ist ihr Buch „Democracy in a Time of Misery: From Spectacular Tragedy to Deliberative Action” bei Oxford University Press erschienen.Aus meinen Feldstudien in manchen der ärmsten Gemeinschaften Taclobans kann ich diese Bemühungen aus erster Hand bezeugen. Mehr als drei Jahre lang habe ich Protestbewegungen und junge Aktivisten begleitet, Mütter, die sich die Kunst der Gaunerei aneigneten, um über die Runden zu kommen, und Sozialarbeiter, die entschlossen waren, einen an den Bedürfnissen der Menschen orientierten Wirtschaftsaufschwung in die Tat umzusetzen.
Die Menschen, die ich getroffen habe, haben unterschiedliche politische Ansichten. Viele von ihnen verehren Duterte, weil er ihnen gegenüber zuvorkommend war. Andere aber sind skeptisch geworden gegenüber all jenen Politikern, die Versprechungen machen. Sie alle wissen, dass sie die Dinge selbst in die Hand nehmen müssen, um sie zu ändern.
Zunächst lernte ich, wie wichtig es ist, wütend zu bleiben. 100 Tage nachdem der Taifun Haiyan tobte, zogen mehr als 12.000 Demonstranten ins Stadtzentrum von Tacloban, um ihrer Wut Ausdruck zu verleihen. Die Protestbewegung People Surge forderte eine bessere Behandlung durch den Staat und mahnte die Regierung, Verantwortung für ihre „kriminelle Vernachlässigung“ zu übernehmen.
Überleben ist nicht verhandelbar
Bereits seit 2013 ist People Surge in Tacloban und Manila aktiv, um die Mächtigen daran zu erinnern, dass ihr „Überleben nicht verhandelbar“ ist. Mit bunten Protestaktionen versuchen sie, auf ihre Belange aufmerksam zu machen. Sie legten etwa eine Pressekonferenz auf den 1. April, um zu zeigen, wie die Regierung die Menschen veräppelt. An Karfreitag schlossen sie sich den Geistlichen bei einer Mahlzeit an, die dem letzten Abendmahl nachempfunden war. Dabei spielten Überlebende der Naturkatastrophe die Rolle von Jesus Christus und ihre Unterstützer traten als Apostel auf. Die Rolle von Judas war der Regierung vorbehalten. Am Jahrestag des Taifuns legten sie einen Kranz am Massengrab nieder, auf dessen Schleife das Wort „Gerechtigkeit“ stand.
Sechs Jahre nach dem Unglück ist People Surge noch immer entrüstet. Populistische Führer können Wut nutzbar machen, um Gesellschaften zu spalten. Wut kann aber auch ein Gefühl sein, das die Erfahrungen von Erniedrigung und Verzweiflung in eine gemeinsame Forderung nach besserer Behandlung überführt.
Zum anderen habe ich gelernt, wie wichtig es ist, sich zu organisieren. Als ich zum ersten Mal die Organisation Urban Poor Associates in Tacloban besuchte, sah ich, wie zwei junge Frauen zwei dicke Filzstifte wie Mikrofone umklammert hielten und ihr Zwiegespräch mit einem Stadtrat übten. Es ging dabei um das Verbot von Zwangsräumungen in der Küstenstadt. Unter Anleitung eines Sozialarbeiters gewannen sie so langsam Selbstvertrauen für das Gespräch mit den Mächtigen.
Dies ist nur ein Beispiel für eine ganze Reihe von Initiativen der Urban Poor Associates in Tacloban. Das Zentrum ihrer Tätigkeit ist ein zwölf Hektar großes Grundstück in einem nach Papst Franziskus benannten Dorf, zwanzig Minuten außerhalb des Stadtzentrums – eine Modellgemeinschaft für Wiederaufbau, an dem die Menschen beteiligt sind. Während die meisten Sozialwohnungen nach der Katastrophe von Hilfsorganisationen gestellt oder von der staatlichen Wohnungsbehörde gebaut wurden, bezog Pope Francis Village die Gemeinden bei jedem Schritt des Wohnprojekts mit ein, angefangen bei der Auswahl der künftigen Bewohner über die Planung der Wohnform und Bauart bis hin zur Aufgabenverteilung beim Hausbau.
Ich habe eine ganze Menge bei der Beobachtung dieser Gemeinschaft gelernt. Damit der Wiederaufbau funktioniert, sind Zeit, Aufmerksamkeit und Ressourcen nötig. Aktivisten, die der Demokratie verpflichtet sind, organisieren all dies. Es handelt sich um Sozialarbeiter, Freiwillige und Privathaushalte, die sich mit aller Kraft für die Sozialwohnungen einsetzen. Sie zeigen, dass Demokratie nach einer Tragödie inmitten widriger Umstände bestehen und dass das gemeinsame Handeln bei jenen, die sich seit Jahrzehnten niedergeschlagen fühlen, die Resignation vertreiben kann.
Schlussendlich habe ich gelernt, welch großen Wert die Solidarität hat: In den Slumgemeinschaften, die ich an der Küste Taclobans besucht habe, hatten einige Privathaushalte grüne Spendenbüchsen aufgestellt. „Sammlung von Mildtätigkeit zur Linderung von Katastrophen“, war auf dem Etikett zu lesen. Die Spendenbüchse stammte von der buddhistischen Tzu-Chi-Stiftung, die nach dem Taifun als eine der ersten Stiftungen Haushalte finanziell unterstützte, die sich an den Aufräumarbeiten beteiligten.
Auf noch mehr Gegenliebe stieß die Stiftung, als sie das ausgab, was meine Gesprächspartner den „Reis der Wohlhabenden“ nannten. Dieser stand im starken Kontrast zu den Hilfsgütern der Regierung, die das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten hatten. Nachdem der Taifun ihnen all ihr Hab und Gut genommen hatte, waren die Familien gezwungen, die Umgebung nach Materialien abzusuchen, mit denen sie provisorische Behausungen zusammenzimmern konnten: Treibholz, Planen, Plastikflaschen. Tzu Chi besaß die Güte, den von der Katastrophe betroffenen Gemeinschaften mit Geldgeschenken und anständigen Mahlzeiten auszuhelfen. Damit gaben sie jenen, die ihre Würde nach ihrem Martyrium verloren glaubten, auch die Selbstachtung zurück.
Die Wohltätigkeit von Tzu Chi folgt der Logik „Erst geben, dann nehmen”. Von den Begünstigten wurde erwartet, ein paar Münzen in das Gefäß zu werfen, die ein Stiftungsvertreter hin und wieder eingesammelt hat. Die Erlöse aus der Spendenbox-Aktion werden an Überlebende anderer Katastrophen überall auf der Welt geschickt. Es ist ein faszinierendes Beispiel für Verantwortung, die Überlebende füreinander übernehmen. Diese Praxis wird jeden populistischen politischen Führer überdauern, weil sie auf den grundlegendsten menschlichen Prinzipien von Fürsorge, Dankbarkeit und Wechselseitigkeit aufbaut.
Wann immer ich verstörende Nachrichten aus den Philippinen höre, geben mir diese Anekdoten von Wut, Organisation und Solidarität das Gefühl, dass das Land eine Perspektive hat. Allerdings – das zeigen Urnengänge und Meinungsumfragen – richtet eine Mehrheit seiner Bewohner ihre Hoffnungen auf einen frauenfeindlichen Mann, der im Namen seines Antidrogenkampfes 20.000 Familien den Vater oder den Sohn genommen hat. Trotzdem können die Philippinen nicht auf das reduziert werden, was Wahlen und Befragungen preisgeben. Jeden Tag erschließen die ärmsten Gemeinschaften Wege, um Demokratie trotz aller Schwierigkeiten für sich gangbar zu machen. Wie diese tagtäglich gelebte Demokratie den Populismus ausgleichen kann, ist ein anderes Thema. Für den Moment sollen diese Erzählungen daran erinnern, dass Gesellschaften stärker sind als die starken Männer, die über sie herrschen.
Aus dem Englischen von Julia Lauer.
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