Die Ministerien zur Einigung zwingen

Die Bundesregierung bleibt beim Einsatz für die Lösung globaler Probleme hinter ihren Möglichkeiten zurück. Das liegt auch an ihrer veralteten Arbeitsweise: Einzelne Ressorts wachen über ihre Zuständigkeiten und arbeiten nicht selten einander entgegen, und im Parlament stimmen die Fachausschüsse sich ebenso wenig ab.

Deutsche Geflügelexporte nach Afrika torpedieren die Bemühungen des Bundesentwicklungsministeriums (BMZ) zur Hungerbekämpfung. Rüstungsexporte, genehmigt vom Wirtschaftsministerium, unterminieren die Anstrengungen der deutschen Außenpolitik für Konfliktprävention und Abrüstung. Die Vorschrift, dem Benzin Agrartreibstoffe beizumischen, und die daraus resultierenden Importe von Pflanzenöl stehen den Anstrengungen des Umweltministeriums zum Erhalt des Regenwaldes entgegen. Die Förderung der Kreditanstalt für Wiederaufbau für Kohle in Ländern der Dritten Welt kann dem Klimaschutz zuwiderlaufen.

Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. Gemeinsam ist ihnen, dass die durch partikulare Interessen geleitete Politik der Ressorts zu Widersprüchen in der Außen-, Umwelt- und Entwicklungspolitik führt. Übergeordnete Ziele werden selten formuliert. Dabei stehen sich nicht jeweils feindliche Regierungen gegenüber, sondern unterschiedliche Bundesministerien und ihre jeweiligen Interessen.

Autoren

Barbara Unmüßig

ist Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung.

Michael Kellner

ist Sprecher der Bundes- arbeitsgemeinschaft Frieden und Internationale Politik von Bündnis 90/Die Grünen.

Die Widersprüche sind nicht nur der aktuellen Regierung geschuldet. Sie werden auch von den veralteten Strukturen verursacht, in denen internationale Politik in Deutschland betrieben wird: Sie wird verwaltet wie in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, in veralteten Ressortzuständigkeiten und mit Blick auf einzelne Sektoren.

Dabei haben sich die Anforderungen an Politik in den letzten Jahrzehnten enorm gewandelt. Klimaschutz, fragile Staaten, die Regulierung der globalen Finanz- und Warenmärkte, internationaler Terrorismus, globale Migration – das alles sind Herausforderungen, deren Bewältigung weder mit klassischer Außenpolitik noch mit Entwicklungspolitik allein gelingen kann. Hinzu kommt, dass transnationale Konzerne und eine Zivilgesellschaft, die sich über nationale Grenzen vernetzt, viel stärker als in der Vergangenheit internationale Politik beeinflussen.

Doch wo vernetztes Denken und Handeln in globaler Verantwortung erforderlich wäre, herrschen häufig Ressortegoismen vor. Die globalen Aufgaben und Umbrüche haben in Deutschland nie zu einer strategischen Anpassung in der Arbeitsweise oder gar beim Ressortzuschnitt der Ministerien geführt. Heute befasst sich fast jedes Bundesministerium mit Teilaspekten internationaler Politik. Zielkonflikte werden dabei nicht ausgetragen. Erhebliche Wirkungsverluste sind die Folge. Das ist unter Schwarz-Gelb nicht anders als unter Schwarz-Rot oder Rot-Grün. Auch im Bundestag ist die Zusammenarbeit zwischen den Fachausschüssen im besten Fall rudimentär, meistens fehlt sie ganz. Die globale Politik ist nicht nur auf internationaler Bühne blockiert – das zeigen die ergebnisschwachen großen UN-Konferenzen. Das befördert eine Resignation und ein Abwenden von globaler Politik, denn Erfolge sind dort anscheinend keine zu erzielen.

Fast jedes Bundesministerium befasst sich heute mit internationaler Politik

Konservative und Marktliberale ziehen sich daher gerne auf nationale Interessen zurück. Der Schutz globaler Gemeingüter wie Klima- und Ressourcenschutz, Armutsbekämpfung und Überwindung der Gewalt ist mit diesem Politikansatz nicht zu erreichen. Auch unter Linken gibt es eine Tendenz, sich von internationaler Verantwortung abzuwenden. Dabei wissen alle quer durch alle Lager: Für globale Probleme gibt es keine nationalen Lösungen. Wir brauchen eine andere Politik und andere Strukturen. Das geht nur, wenn die deutsche Politik nationale Ziele in einen globalen Kontext stellt und internationale Kooperation zu deren Umsetzung sucht. Das betrifft im Prinzip alle Ressorts. Dabei gibt es keinen einfachen Ausweg aus dem Dilemma von Zuständigkeiten der Fachressorts versus globalen Problemen.

ösungsvorschläge gibt es viele. Die einen fordern eine Fusion von Auswärtigem Amt (AA) und BMZ. Andere wollen das BMZ neu gründen, ihm die Zuständigkeit für alle fragilen Staaten geben und das AA auf außereuropäische OECD-Länder und aufstrebende Schwellenländer beschränken. Dritten schwebt eine weitgehende Verlagerung von Außen- und Entwicklungspolitik nach Europa vor. Vermutlich wären alle drei Optionen besser als die heutige Situation. Sie haben nur eines gemeinsam: Sie sind politisch nicht so schnell durchsetzbar. Der Widerstand in den Häusern wäre enorm. Auch gibt es in allen Fraktionen Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die sich als Lobby ihrer Häuser verstehen und sich so gegenseitig blockieren.

Wir schlagen daher zwei Maßnahmen vor. Erstens sollten wir kurzfristig über die Mittelvergabe mehr strategische Kooperation zwischen den Ministerien erzwingen. Mittel für zivile Krisenbearbeitung oder Klimaschutz sollten gepoolt werden: Sie könnten nicht mehr von einem einzelnen Ministerium ausgegeben werden, sondern nur wenn in einem gemeinsamen Lenkungskreis programmatische Einigkeit besteht. Dies würde den Druck erhöhen, ressortübergreifende Strategien zu beschließen. Unabhängige Begleitung und nichtstaatliche Expertise könnte zudem hilfreich sein, den Blick für Zielkonflikte und Kohärenz zu schärfen.

Das allein wird allerdings nicht ausreichen. Wir schlagen daher zweitens vor, mit der nächsten Legislaturperiode im Rahmen einer Enquete-Kommission des Bundestages intensiv über deutsche Politik in internationaler Verantwortung nachzudenken. Die Kommission soll das nach außen gerichtete Handeln der Bundesrepublik Deutschland unter den veränderten Rahmenbedingungen einer globalisierten Welt untersuchen. Sie soll eine kritische Bilanz der gegenwärtigen Arbeitsstrukturen von Bundesregierung und Bundestag ziehen und Anpassungen dieser Strukturen mit dem Ziel größerer Kohärenz und Konsequenz der deutschen internationalen Politik vorschlagen.

Es geht um einen überparteilichen Konsens

Besondere Bedeutung käme der Enquete-Kommission auch im Hinblick auf Europa zu. Die Euro-Krise macht mehr als deutlich, dass es einer Weiterentwicklung europäischer Institutionen bedarf. Das gilt auch für die europäische Außen-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik. Kohärenzprobleme werden hier durch die unterschiedlichen Interessenlagen von 27 Mitgliedsstaaten potenziert. Sie ergeben sich aber auch hier zusätzlich aus sektoralen Entscheidungsverfahren. Ein Beispiel: Nicht die Entwicklungsminister und -ministerinnen entscheiden über die Fischereiabkommen mit Drittstaaten, sondern die für Fischerei zuständigen Ministerien – mit verheerenden Folgen für Fischer in vielen Entwicklungsländern. Die Aufteilung der Politik auf unterschiedliche EU-Ministerräte verstärkt die Inkohärenz der EU nach außen. Zugleich ist es angesichts der schwindenden Bedeutung einzelner Nationalstaaten sinnvoll, die Außen- und Entwicklungspolitik weiter zu vergemeinschaften. Das ist aber für viele europäische Nationalstaaten nur schwer zu akzeptieren. Besonders trifft dies auch auf den Verteidigungsbereich zu. Während einige gemeinsam europäisch Militärgüter beschaffen wollen, gehen andere weiter. Sie wollen militärische Fähigkeiten zusammenlegen oder gar statt nationaler Armeen eine europäische schaffen.

Die Enquete soll nicht einen neuen Arbeitskreis schaffen, der endlos tagt und am Ende nur viel Papier hervorbringt. Es geht darum, einen überparteilichen Konsens herzustellen. Europa-, Außen-, Verteidigungs-, Menschenrechts- und Entwicklungspolitiker aller Fraktionen sollten ein Interesse daran haben, institutionelle Blockaden und unzeitgemäße sektorale Bearbeitungsformen zu überwinden. Dafür böte die vorgeschlagene Enquete-Kommission eine echte Chance.

Zusatzinformationen

Eine frühere, kürzere Fassung des Textes ist Anfang Oktober 2012 in der „Frankfurter Rundschau“ erschienen.

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Jedem Praktiker stößt übel auf, wenn aus "gut gemacht" nur "gut gemeint" wird. Im besagten Text wird einmal mehr Zusammensetzung und Herkunft von biogenen Treibstoffen falsch dargestellt. Das mindert den Lesespass und lässt auch Zweifel am Kontext aufkommen. Vermutlich wird eine Korrektur die Autoren nicht erreichen, bleibt zu hoffen, dass inhaltliche Fehler in der Redaktion bemerkt werden. Die Sequenz ---dem Benzin Agrartreibstoffe beizumischen und die daraus resultierenden Importe von Pflanzenöl--- führt in die Irre. Benzin kommt niemals mit Pflanzenöl in Berührung. Zur Substitution von Benzin braucht man Alkohol, gewonnen z.B. aus Mais, Weizen und Zuckerrohr. Bei der Verarbeitung ergeben sich, außer beim Zuckerrohr, kaum nutzbare Reststoffe. Anders beim Dieselersatz auf der Basis von Öl aus Ölfrüchten. Hier gewinnt man Öl und Presskuchen, der vielfach wertvoller ist als das Öl. Der Presskuchen ist auch Tiernahrung und deshalb zur gesunden Ernährung der Menschen unverzichtbar. Ist der Absatz von Öl und Pressrest nicht wirtschaftlich möglich, wird gar nicht gepresst und wie in Deutschland Sojaschrot in riesigen Mengen importiert. Erwähnenswert ist auch, dass es reichlich Ölfrüchte gibt, die nicht zum Verzehr geeignet sind und dennoch restlos verwertet werden können wie Baumwollsamenöl und die Früchte des Purgiernussstrauchs (Mapono), der in Afrika als Hecke wächst. Mit einseitigen, mangelhaften und interessengesteuerten Informationen kann man nicht helfen. Der Wunsch nach einem neuen Ministerium kann man nur als Witz betrachten, die Karrikatur deutet das an.

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Ich denke, dass dies ein sehr guter Vorschlag ist, um die Kohärenzfrage aus der Nische der Entwicklungspolitik herauszubringen. Es gibt unbestreitbar Zielkonflikte, die aber nicht offen, sondern nach Ressortinteressen ausgetragen werden. Notwendig ist eine offene,transparente Diskussion dieser Zielkonflikte, damit die jeweilige Entscheidung und ihre Begründung klar sind.
Wichtig ist auch, dass es hierfür einen überparteilichen Konsens zum Verfahren, nicht zu den Inhalten gibt.
Was fehlt ist, dass die notwendige Debatte, über die Rolle Deutschlands in der Welt nicht geführt wird. Wir sind aufgrund unserer Geschichte sehr verhalten, Positionen und Agenden Deutschlands zu definieren. Wenn man aber viel im Ausland arbeitet, so stellt man fest, dass von Deutschland als ökonomischem Giganten eine Positionierung zu den internationalen Fragen (multipolare Welt, globale Güter, Energie, Ressourcen, Sicherheit, Regulierung der Finanzmärkte, etc.) verlangt wird, jede Regierung bisher aber versucht, sich diesen Fragen zu entziehen.

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Im Brennpunktvon von Entwicklungspolitik steht aktuell deutsche Hilfe für Israel. Hier werden die Konflikte zwischen den Interessengruppen überdeutlich. Im Rückblick auf die deutsche Geschichte wäre es angebracht, sich aus Regionalkonflikten herauszuhalten. Das geht aber nicht mehr, wenn in weltweit verbreiteten Nachrichten gezeigt wird, wie Sattelschlepper mit dem bekannten Stern Panzer zum Gaza-Streifen transportieren. Da ist es auch nicht hilfreich, wenn das ZDF als einziger Sender die Zugmaschine mit dem Stern nicht filmt. Diese einseitige Parteinahme schadet deutschen Interessen. Mir scheint es schlichtweg undenkbar, dass sich z.B. chinesische LKW-Hersteller zu solchen Dummheiten verleiten liessen, wo doch an anderer Stelle schon Messer oder Medikamente als "kriegswichtige Lieferungen" abgeblockt wurden. Die Debatte über Deutschlands Rolle kann kaum noch ergebnisoffen geführt werden, weil sich unsere Politiker scheuen, sich aus Bindungen zu lösen die im letzten Jahrhundert Sinn machten, heute aber fragwürdig sind. So sind auch deutsche Soldaten und Waffen an der Grenze zu Syrien sind fehl am Platz. Aus naheliegenden Gründen kann diese Forderung nicht lang diskutiert werden, eine Entscheidung der betroffenen Ministerien und der Kanzlerin wäre notwendig. Dazu müssten die Angesprochenen aber aus der Deckung kommen. Ein deutliches Nein auch nur zu erwägen haben die Regierungsparteien nicht im Kreuz.

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So schnell kanns gehen. Kaum gehen die Werbespots für die deutschen Sattelschlepper mit den Panzern auf dem Weg zur Gaza-Front durch die Medien, meldet sich schon der Palästinenser-Sprecher Abdullah Frangi zu Wort. " Durch die einseitige pro-israelische Haltung hat Deutschland die Chance vertan im Konflikt zu vermitteln". Es ist nun weltweit offenbar geworden, dass deutsche Interessengruppen das Töten von Zivilisten unterstützen. Dümmer gehts nicht.

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erschienen in Ausgabe 11 / 2012: Die Wirtschaft entwickeln
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