Frank Evans steht seit 16 Jahren in seinem Blaumann hinter der Theke seines kleinen Elektronikladens an der Landstraße von Arusha nach Moshi. Hier im Norden von Tansania, nicht weit vom Kilimandscharo, verkaufte und reparierte der heute 52-Jährige zunächst nur Autobatterien, die sich auch heute noch bis unter die Decke stapeln. Irgendwann hatte er die Idee, eine Batterie mit einem kleinen Solarpaneel zu verbinden und zwei, drei Glühbirnen anzuschließen. Fertig war die erste Solar-Heimanlage, ein mit Sonnenenergie gespeistes Minikraftwerk, das sogar nachts Strom liefert.
Heute gibt es die Erfindung von Frank Evans fast überall im Land zu kaufen. Das eigene Solarpaneel auf dem Hausdach ist der letzte Schrei in Tansania. Auf dem schnell wachsenden Markt konkurrieren Unternehmen aus aller Welt, sie heißen Mobisol, Off-Grid Electric oder M-Kopa. Andere Firmen installieren sogenannte „mini-grids“: lokale, in sich geschlossene Stromnetze, die mehrere Häuser bis hin zu ganzen Dörfern versorgen. Der Solarstrom aus solchen Netzen oder aus der Heimanlage ist billiger als das Kerosin, mit dem im ländlichen Afrika häufig Lampen und andere Haushaltsgeräte betrieben werden.
Netzunabhängige Sonnenenergie könnte deshalb laut Fachleuten die Versorgungslücke überall dort schließen helfen, wo es noch lange keinen Zugang zum zentralen Stromnetz geben wird, weil das Geld für den Ausbau fehlt.
Der Boom der Solar-Heimanlagen
Vor zehn Jahren war das noch nicht abzusehen. 2005 bekam Frank Evans Besuch von zwei Entwicklungshelfern aus Deutschland. „Die wollten wissen, wie meine Solaranlagen funktionieren und ob die Leute hier etwas damit anfangen können.“ Das konnten sie, aber die wenigsten hatten genug Geld, um die teure Technik zu kaufen. Also wurden lokale Mikrofinanzorganisationen dazu geholt und ein Entwicklungsprojekt daraus gemacht. Die Kunden kauften die Anlagen auf Pump und zahlten sie in Raten ab. Am Projektende 2008 besaßen 600 Haushalte eine Solar-Heimanlage.
Aus den 600 sind bis heute fast 60.000 geworden – wenn man nur die Kunden des Marktführers Mobisol berücksichtigt. Das deutsche Unternehmen ist der Star unter den Solaranlagen-Anbietern in Tansania. Die Zentrale in Arusha mutet wie die afrikanische Variante einer schicken Internetfirma in Berlin an, wo Mobisol seinen Hauptsitz hat. Im Eingangsbereich fällt der erste Blick auf einen Bildschirm, auf dem sich ständig die Zahl der verkauften Anlagen aktualisiert. An der Wand prangt in großen Lettern in Deutsch ein Zitat von Albert Einstein: „Wenn eine Idee nicht zuerst absurd erscheint, taugt sie nichts.“ Die meist sehr jungen Mitarbeiter sitzen in Großraumbüros an ihren Laptops, das gesamte Gebäude erstrahlt innen und außen in Mobisol-Gelb.
Das Unternehmen hat aus der Idee, die Frank Evans und ein paar deutsche Entwicklungshelfer vor zehn Jahren ausgetüftelt haben, ein Millionengeschäft gemacht. Weil für viele Tansanier der Traum vom eigenen Solarkraftwerk immer noch zu teuer ist, verkauft auch Mobisol seine Anlagen auf Kredit. Die Kunden zahlen sie über drei Jahre lang ab, danach gehören sie ihnen und der Strom kostet sie nichts mehr. In dieser Zeit haben sie volle Garantie und erhalten kostenlosen Service. Seit Mobisol vor drei Jahren in Tansania angefangen hat, haben sich seine Verkäufe nach eigenen Angaben verzwanzigfacht.
Allein im „Mobishop“ im Zentrum von Arusha gehen laut einem Mitarbeiter jeden Tag acht bis zehn Solaranlagen über die Theke. Gerade versucht ein Kunde ein neues 200-Watt-Paneel auf der Rückbank seines Autos zu verstauen. Dazu erhält er neben der Technik ein paar LED-Lampen, ein kleines Radio, eine Steckdosenleiste zum Aufladen von Mobiltelefonen und vor allem einen 32-Zoll-Fernseher. Den will er bei sich zu Hause aufstellen und seine Nachbarn gegen Eintritt zum Fußballgucken einladen. Mobisol wirbt damit, dass seine Kunden die Solaranlagen auf solche Art gewinnbringend nutzen können. Im „Mobilab“ in Arusha brütet ein kleines Team ständig über neue Anwendungsmöglichkeiten und probiert neue Geräte wie Haarschneidemaschinen oder Bügeleisen aus. Als nächstes will Mobisol eine 600-Watt-Anlage auf den Markt bringen. Damit lässt sich eine kleine Schule oder eine Gesundheitsstation mit Strom versorgen. Und die Firma denkt schon über den Energiemarkt hinaus.
Mobisol: „Wir wollen das Amazon Afrikas werden“
Saad Latif ist sichtlich stolz. Auf dem Bildschirm des Laptops im Konferenzraum in der Mobisol-Zentrale in Arusha leuchtet eine Landkarte von Tansania, gesprenkelt mit gelben Punkten ...
Wer wissen will, welchen Unterschied netzunabhängige Sonnenenergie macht, muss raus aus der Touristenmetropole Arusha, vorbei an der Mobisol-Filiale, immer nach Süden. Strommast reiht sich an Strommast entlang der schnurgeraden Straße, Kilometer um Kilometer. Die Leitung passiert kleine Dörfer und alleinstehende Häuser, einige sind über Kabel mit ihr verbunden. Nach einer guten Stunde Autofahrt kommt eine Militärkaserne, kurz darauf ist Schluss: An einer staubigen Straßenkreuzung steht der letzte Mast, Kabelenden hängen schlaff herunter. Eine einsame Bar wartet auf Kundschaft. Willkommen in Off-Grid-Land, im Land ohne Anschluss an die nationale Stromversorgung.
Nach einer weiteren halben Stunde auf der Ruckelpiste erreicht man Komolo, eine Streusiedlung mit 4000 Einwohnern. Obwohl der nächste Strommast Kilometer entfernt ist, serviert die Wirtin der Kneipe in der Ortsmitte eisgekühlte Coca-Cola aus ihrem nagelneuen weißen Kühlschrank. Aus einem Haus wummert afrikanische Discomusik, ein kleiner Kiosk verkauft Glühbirnen, Radios und aufladbare Taschenlampen. „Seit wir hier Strom haben, sind wir eine richtige Stadt“, sagt dessen Besitzer George Thompson. „Abends gibt es Licht, man kann auch mal einen Computer anstellen, Leute kommen aus der Umgebung, um bei uns was Kaltes zu trinken.“
Der Strom in Komolo kommt aus Solar-Heimanlagen, aber vor allem aus dem Mininetz, das die Firma Rafiki Power hier seit einem Jahr betreibt. George Thompson hat einen Anschluss und zusätzlich eine Mobisol-Anlage auf dem Dach seines stattlichen Hauses. Der 45-Jährige lebt nicht schlecht von der Landwirtschaft und von seinem Kiosk, den er nebenher betreibt. Der Solarstrom vom Dach speist vor allem seinen Fernseher, den Anschluss von Rafiki Power nutzt er für seine Stereoanlage und für das Licht im Kiosk.
Ein großer grüner Container in der Ortsmitte birgt die Technik für das Netz: die Batterien, die den gewonnenen Strom speichern, den Umwandler, der aus Gleichstrom Wechselstrom macht, und die Verteilerbox, über die der Strom zu den Kunden fließt. Über den Container spannen sich auf vier mal vier Metern die Solarpaneele. Rafiki Power ist eine Tochter des deutschen Energiekonzerns E.ON, der hier in Tansania ausprobiert, wie er vom afrikanischen Solarboom profitieren könnte.
In Komolo versorgt Rafiki Power knapp 80 Haushalte. „Die Leute sind zufrieden“, sagt Mitarbeiter Robert Sanyagi nach einem Gespräch mit einigen Kunden. Nur die Tarife seien ein Dauerthema: Sowohl die Kosten für den Anschluss, umgerechnet etwa 16 Euro, als auch der Strompreis sind bei Rafiki Power deutlich höher als beim staatlichen Stromversorger Tanesco. „Und die Leute wünschen sich mehr Saft, um kleine landwirtschaftliche Maschinen anzutreiben, Ölpressen etwa oder Brutkästen für die Hühnerzucht“, sagt Sanyagi. Das gebe die Anlage derzeit nicht her, lasse sich aber im Prinzip ändern: Das kleine Kraftwerk könne jederzeit erweitert werden.
In Tansania herrscht regelrecht Goldgräberstimmung unter den Solarstrom-Anbietern. Die Firmen grasen das Land nach Orten für ihre Mininetze oder nach Kunden für ihre Heimanlagen ab. Betreiber von Kleinkraftwerken wie dem in Komolo mit einer Leistung unter einem Megawatt brauchen keine Lizenz, sondern müssen sich lediglich bei der staatlichen Regulierungsbehörde registrieren. Und die vielen Anbieter von Heimanlagen müssen nicht einmal das, weil sie nicht als Stromversorger gelten.
Trotzdem stößt man in der Branche immer wieder auf die Klage, dass die staatliche Bürokratie das Geschäft behindert. „Die Regierung will das Heft des Handelns in der Hand behalten“, sagt Robert Sanyagi von Rafiki Power – und es klingt weniger wie eine Feststellung, sondern mehr wie eine Beschwerde. Zugespitzt geht die Geschichte aus der Sicht von Mobisol, Rafiki Power und Co. etwa so: Einige junge und dynamische Kleinunternehmen wollen mit innovativen Ideen der tansanischen Landbevölkerung Strom bringen, müssen sich dafür aber fortwährend mit einem schwerfälligen Staat und einem altmodischen staatlichen Stromversorger herumplagen.
Auf den ersten Blick spricht einiges für diese Lesart. Besuch bei der tansanischen Behörde für ländliche Energieversorgung REA (Rural Energy Agency): Das triste Hochhaus am Rande der Hauptstadt Daressalam ist weniger mitreißend als der schicke Mobisol-Campus in Arusha. REA-Direktor Bengiel Msofe präsentiert ehrgeizige, aber laut den meisten Fachleuten völlig unrealistische Pläne zur ländlichen Elektrifizierung. In fünf Jahren soll jeder Tansanier „in Reichweite“ eines Stromanschlusses leben – was nicht heißt, dass sie dann auch Strom im Haus haben. Derzeit liegt diese Zugangsrate laut REA auf dem Land bei 30 Prozent, andere Quellen gehen von deutlich niedrigeren Werten aus. Die Regierung setzt vor allem auf den Ausbau des nationalen Netzes, ohne allerdings zu sagen, wie der heute schon hoch verschuldete Versorger Tanesco das bezahlen soll. Und sie will möglichst bald in die Kohleverstromung einsteigen.
Dennoch ist die Geschichte nicht so einfach. Die Regierung bemüht sich, und ein Beleg dafür ist die REA selbst. Die Behörde wurde 2005 geschaffen, um die ländliche Elektrifizierung voranzubringen. Um das zu finanzieren, muss jeder Tanesco-Kunde mit seiner Stromrechnung eine Abgabe bezahlen. Gleichzeitig wurden die Preise für einen Stromanschluss ans nationale Netz für die Landbevölkerung drastisch gesenkt – diese Gebühr ist der häufigste Grund dafür, dass Leute nicht angeschlossen sind, obwohl sie in der Nähe einer Stromleitung leben. Langsam öffnet sich die Regierung auch den privaten Stromanbietern und berücksichtigt sie in ihren Elektrifizierungsplänen: Im September forderte die REA die Betreiber von Mininetzen auf, sich um staatliche Fördermittel für neue Projekte zu bewerben. Ziel der Ausschreibung: Zugang zu sauberer Energie für gut 1,6 Millionen Menschen.
Keine Profite mit Mininetzen
Und dann sagt REA-Direktor Msofe noch einen Satz, der angesichts der gegenwärtigen Euphorie über Sonnenenergie in Vergessenheit zu geraten droht: „Schnelle Profite sind im Geschäft mit der Energieversorgung nicht möglich.“ Ob etwa mit Mininetzen in Tansania jemals Geld verdient werden kann, ist längst nicht ausgemacht. Gerade für sehr kleine Netze mit einer Leistung von weniger als einem Megawatt wie das von Rafiki Power in Komolo gebe es „weltweit noch kein Geschäftsmodell“, sagt Nico Peterschmidt vom Unternehmen Inensus, das zusammen mit öffentlichen und privatwirtschaftlichen Partnern ein 90-Kilowatt-Netz auf einer Insel im Victoriasee betreibt. In Komolo bräuchte Rafiki Power etwa 200 zahlende Kunden, um schwarze Zahlen zu schreiben, schätzt Robert Sanyagi: Das sind zweieinhalb Mal so viele wie derzeit angeschlossen sind.
Ohne Kapitalspritzen, sei es von Privatinvestoren, sei es von Entwicklungshilfe-Gebern, werden viele der Firmen, die in Tansania am Solarboom mitverdienen wollen, auch in Zukunft nicht arbeiten können. Hinzu kommt: Weil sie Geld verdienen müssen, stammt ihre Kundschaft vor allem aus den besser gestellten Bevölkerungsschichten. Mobisol etwa hat die meisten seiner Anlagen bislang im relativ wohlhabenden Norden und Osten Tansanias verkauft.
Die vielen privaten Anbieter im Land hätten bislang nicht dazu beigetragen, die Armen mit Strom zu versorgen, sagt Elikana Kalumanga, der an der Universität Daressalam zu Klima- und Energiepolitik forscht. Mit Blick auf die Provinz Lindi im Süden des Landes sagt er: „Da wirst du keine Solarpaneele auf den Häusern finden. Dort sind viele Leute schon glücklich, wenn sie ein einigermaßen festes Dach über dem Kopf haben.“ Gerade in solchen Regionen gehe es nicht ohne subventionierte Preise; die Stromversorgung dürfe dort deshalb nicht der Privatwirtschaft überlassen werden.
Mit Silberfolie beklebte Pappkartons
Ein weiteres Problem: Der tansanische Markt ist überschwemmt mit billigen Solar-Heimanlagen aus China, die nicht funktionieren oder schon nach kurzer Zeit ihren Geist aufgeben. Das Geschäft mit der Schrottware hat mittlerweile solche Ausmaße, dass sogar Solarenergie-Fan Frank Evans ins Grübeln kommt: „Mittlerweile kennt hier jeder drei Leute, die schlechte Erfahrungen mit Billiganlagen gemacht haben. Das bringt die ganze Technologie in Misskredit und macht die Leute misstrauisch.“
In Evans Laden kostet eine 80-Watt-Anlage inklusive Fernseher knapp eine Million Tansanische Schilling, umgerechnet etwa 400 Euro, einschließlich Garantie und Service. Das Ganze ist aber auch schon für die Hälfte zu haben – ohne jede Gewähr, wie lange es funktioniert. Verkauft werden außerdem viele gefälschte Produkte, etwa Paneele aus China deklariert als „Made in Germany“. Besonders skrupellose Händler haben ahnungslosen Kunden schon mit Silberfolie beklebte Pappkartons als Solarpaneele angedreht.
Die Regierung versucht den Handel stärker zu kontrollieren und Qualitätsstandards durchzusetzen, der tansanische Verband für erneuerbare Energien TAREA klärt Händler und Kunden mit Hilfe von Kampagnen auf. Ein Mitarbeiter des Energieministeriums räumt aber ein: „Wir haben die Dynamik lange unterschätzt. Heute werden Solarpaneele auf dem Markt wie Softdrinks verkauft, das ist schwer wieder in den Griff zu kriegen. Es ist ein bisschen so wie mit dem Drogenhandel: Der lässt sich auch nicht ganz abstellen.“
Etwas anderes als Erdnüsse zu verkaufen
Wie Frank Evans blickt auch Cosmas Masawe auf große Erfahrung im Energiegeschäft zurück – und zwar sowohl beim staatlichen Versorger Tanesco als auch als Privatunternehmer. Seit mehr als 20 Jahren ist er Mitinhaber einer Firma für kleine Wasserkraftwerke. Am Geschäft mit der Solarenergie heute stört ihn, dass viele Unternehmer zu kurzfristig denken. „Energieversorgung ist ein riskantes Geschäft. Das braucht Planung und einen langen Atem“, sagt er.
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Die REA arbeitet derzeit an einem neuen Konzept für die ländliche Elektrifizierung. Sie will klären, welche Regionen bis wann von wem mit welcher Technologie mit Strom versorgt werden sollen. REA-Direktor Bengiel Msofe erklärt die Arbeitsteilung: Private Anbieter sollen parallel zum Netzausbau in entlegenen Regionen leistungsstarke Mininetze errichten, die ausreichend Energie für kleine landwirtschaftliche Industrien liefern und in Zukunft mit dem nationalen Netz verknüpft werden könnten. Solar-Heimanlagen wiederum sind die Lösung für einzelne freistehende Häuser, für die sich auch ein Mininetz-Anschluss nicht rechnet.
Die Regierung will Ordnung ins Off-Grid-Land bringen, um Fehlschlägen vorzubeugen. Gescheiterte Großprojekte werden in der Entwicklungszusammenarbeit „weiße Elefanten“ genannt. In Tansania könnte der Solarboom unzählige „weiße Mäuse“ hinterlassen, wenn nicht gegengesteuert wird: viele Kleinkraftwerke, Mininetze und unzählige Solar-Heimanlagen, die nicht mehr funktionieren, sich für die Anbieter nicht rentiert haben oder nicht mehr gebraucht werden. Und um die sich niemand mehr kümmert.
Solarstrom in Tansania
Exzellenter Artikel, der die Wirklichkeit haargenau beschreibt. Das kann ich als Entwicklungshelfer mit langer Erfahrung in Ostafrika nur bestätigen.
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