Haare schön dank Sonnenstrom

Die Energiewende erreicht Äthiopiens Dörfer
Die Energiewende erreicht Äthiopiens Dörfer

Sauberen Strom produziert Äthiopien en masse. Aber die meisten Menschen auf dem Land hatten bislang nichts davon. Nun sollen günstige Solaranlagen und dezentrale Netze die wirtschaftliche Entwicklung der Dörfer anschieben. Ein Besuch bei Äthiopiens Energiepionieren.

Vierzig Kilometer außerhalb von Arba Minch ist vorerst Schluss. Die Stollenreifen der Pick-ups drehen sich nur noch im Schlamm. Selbst kräftige Männerarme und untergelegte Holzbohlen können nicht mehr weiterhelfen. Sturzflutartige Regenfälle haben die Straße in das Bergdorf Laka im Südwesten Äthiopiens über Nacht in einen reißenden Bach verwandelt und einen Erdrutsch ausgelöst. Am frühen Morgen geht es dann zu Fuß weiter, gut 20 Kilometer die sattgrünen Hänge hinauf. Zwei Pferde tragen schwer an den Handwagen, Solarmodulen, Batterien und Kühlboxen.

Rechtzeitig vor der Dämmerung ist Laka erreicht: Mit Schilfgras bedeckte Rundhütten, Lehmhäuser und etliche Buden. Nachts gehen hier nur wenige Lichter an. Denn wie die meisten Dörfer in Äthiopien ist auch das rund tausend Einwohner zählende Laka nicht an das Elektrizitätsnetz angeschlossen. Die wenigen, die es sich leisten können, setzen bisher meist auf teure Dieselgeneratoren, um Strom zu erzeugen. Doch das beginnt sich nun zu ändern: Strom aus netzunabhängigen Solaranlagen mit integrierter Batterie, sogenannte Off-Grid-Photovoltaik, ist in den vergangenen Jahren auch in Äthiopien erschwinglicher geworden.

Solarstrom sei mit rund 9,53 Birr (37 Eurocent) pro Kilowattstunde deutlich günstiger als Strom aus Dieselgeneratoren mit rund 30,7 Birr (1,20 Euro), sagt Engidaw Abel Hailu, der Manager des Solarkompetenzzentrums an der Arba-Minch-Universität. Die Preise für Solaranlagen mit einer Leistung von 60 Watt seien innerhalb eines Jahres von umgerechnet rund 780 Euro auf rund 468 Euro gefallen. Das ist allerdings immer noch mehr, als viele Äthiopier jährlich verdienen. Laut der Weltbank lag das jährliche durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen im vergangenen Jahr bei 324 Euro.

Solaranlagen für Kleinunternehmer finanzierbar machen

Die in Handwagen integrierten solaren Off-Grid-Systeme, die die acht Elektrotechnikingenieure aus Arba Minch im Zentrum von Laka aufbauen, sind deshalb gezielt für kleine Gewerbe konzipiert: einen Friseursalon, eine Ladestation für Mobiltelefone plus Verleih von LED-Solarlampen sowie eine Cafeteria mit Kühlbox und Fernsehen. „Sie sollen sich innerhalb einer überschaubaren Zeit refinanzieren und Einkommen schaffen“, erklärt Hailu. Das Interesse in Laka ist groß. Trauben von bunt gekleideten Einheimischen scharen sich um die etwas exotisch aussehenden „Solarwagen“.

Die lokalen Jungunternehmer kommen mit  dem Haare Schneiden und Glätten, dem Ausschenken von gekühlten Getränken und dem Aufladen von Handys kaum nach. Sie sind zuvor von den Studenten im Umgang mit der Solartechnik und betriebswirtschaftlichen Grundlagen geschult worden. Die Universität hat ihnen die mobilen Solarsysteme zur Verfügung gestellt. Innerhalb von zwei Jahren müssen sie abbezahlt werden, mit einer monatlichen Rate von 1000 Birr, insgesamt also 24.000 Birr (936 Euro). „Unsere ersten Erfahrungen in Laka zeigen, dass das aufgrund der starken Nachfrage realistisch kalkuliert und möglich ist“, erzählt Hailu bei der Rückkehr nach Arba Minch.

Die Initiative ist Teil des Projekts Applied Entrepreneurship Education Programme (AEEP), in dem die Universität von Arba Minch mit der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Neu-Ulm und dem Off-Grid-Systemanbieter Phaesun aus Memmingen zusammenarbeitet. „Wir wollen Kleinunternehmern dabei unterstützen, in ländlichen Regionen dauerhaft Einkommen und Kaufkraft zu schaffen“, sagt der Geschäftsführer des mittelständischen Unternehmens, Tobias Zwirner. An der Finanzierung beteiligt sich der Deutsche Akademische Austauschdienst aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Seit diesem Sommer entwickeln 50 Elektrotechnikstudenten in Arba Minch Geschäftsideen und -pläne zur Existenzgründung mit Off-Grid-Photovoltaiksystemen. Sie werden nun in Laka und anderen umliegenden Dörfern erprobt und sollen unter anderem über Franchise-Modelle neue Jobs in den ländlichen Regionen schaffen.

Von fünf auf 300 Megawatt Solarstrom bis 2020

Mit einem Rural Electrification Fund (REF) fördert auch die äthiopische Regierung die dezentrale Stromerzeugung, „vor allem von netzunabhängigen Photovoltaikanlagen“, wie Sahele Tamiru Fekede vom Energieministerium in Addis Abeba erklärt. Kredite mit einer Laufzeit von fünf bis sieben Jahren und einem Zinssatz von 7,5 Prozent würden an öffentliche Einrichtungen, Mikrofinanzinstitutionen, Haushalte und kleine Gewerbetreibende vergeben. Der geforderte Eigenkapitalanteil für Kleinunternehmer liege bei 30 Prozent, zudem müssten Sicherheiten hinterlegt werden. Als Treuhänder des Fonds fungiere die äthiopische Entwicklungsbank, die dafür 2012 von der Weltbank eine erste Tranche von 20 Millionen US-Dollar erhalten habe, so Fekede. Zehn Millionen US-Dollar seien bisher genehmigt beziehungsweise ausbezahlt worden.

Laut Engidaw Abel Hailu sind mit Hilfe des Fonds bisher dezentrale Solaranlagen in 100 ländlichen Schulen, 200 Gesundheitsstationen und Krankenhäusern sowie 600 Haushalten gefördert worden. Private Kleinunternehmer seien allerdings noch weitgehend leer ausgegangen. „Sie tun sich oft auch bei Mikrokrediten schwer, die mit Zinssätzen zwischen 10 und 15 Prozent vergeben werden“, sagt Hailu. Denn neben einem Eigenanteil müsse meist auch ein Eigentumsnachweis von einem Grundstück und Haus erbracht oder zumindest eine registrierte Adresse nachgewiesen werden. Das könnten jedoch viele nicht.

Insgesamt sind bisher laut offiziellen Angaben Solarstromanlagen mit einer Leistung von rund 5,3 Megawatt in Äthiopien installiert, davon 13.200 netzunabhängige Systeme. Die Ausbaupläne für die kommenden Jahre sind ambitioniert. Bis zum Jahr 2020 sollen laut Ministeriumsvertreter Fekede vor allem netzgebundene Solarstromanlagen mit einer Leistung von mindestens 300 Megawatt installiert sein sowie Windkraftanlagen mit einer Leistung von mindestens 900 Megawatt.

Im Oktober vergangenen Jahres wurde im Nordosten des Landes in Ashegoda der mit 120 Megawatt größte Windpark Afrikas in Betrieb genommen. Wenn der zweite Bauabschnitt des Adama-Windparks südlich von Addis Abeba wie geplant bis Ende kommenden Jahres fertiggestellt ist, vervierfacht sich die dort installierte Windstromleistung von derzeit 51 auf 204 Megawatt. Rekordmarken sollen auch bei der Stromgewinnung aus Erdwärme gesetzt werden. Eine isländische Firma hat im Juli am ostafrikanischen Grabenbruch in Corbetti mit den Testbohrungen für ein Geothermie-Kraftwerk begonnen. Es soll bis zum Jahr 2030 fertiggestellt sein und 500 Megawatt Strom produzieren.

Großkraftwerke für die Städte, autarke Netze auf dem Land

„Die tragende Säule bei der Deckung unseres stark wachsenden Strombedarfs wird jedoch weiter die Wasserkraft sein“, sagt Fekede. Derzeit werden bis zu 90 Prozent der Elektrizität mit Hilfe der Generatoren an Staudämmen gewonnen. Mehrere weitere Großprojekte, das spektakulärste davon der auf 6000 Megawatt Leistung ausgelegte Grand Renaissance Staudamm am Blauen Nil, werden derzeit geplant oder gebaut. Äthiopien möchte damit zum größten Stromexporteur am Horn von Afrika aufsteigen. Vor allem chinesische Unternehmen engagieren sich derzeit stark beim Ausbau der Energieinfrastruktur in dem 87 Millionen Einwohner zählenden Land.

Werden abgelegene Bergdörfer wie Laka also bald an das überregionale Stromnetz angeschlossen? Und haben sich damit autark arbeitende kleinere Solarstromanlagen überlebt? Nein, meint der Energieexperte Hailu. Bislang hätten nur sechs Prozent der Äthiopier einen Stromanschluss, eine der niedrigsten Raten in Afrika südlich der Sahara. Die Weite des Landes und seine zerklüftete Topographie machten zudem „eine netzgebundene Elektrifizierung zu teuer“, sagt er. Die äthiopische Regierung verfolge deshalb eine Doppelstrategie: Städte im ländlichen Raum sollen einen Netzanschluss erhalten, abgelegene Gebiete werden mit Off-Grid Systemen und dezentralen autarken Stromnetzen, sogenannten Mini-Grids, versorgt.

Für die Zukunft schweben Hailu zahlreiche Möglichkeiten vor, mit Hilfe von autarken Solarstromsystemen Jobs in äthiopischen Dörfern zu schaffen. Bauern könnten sich etwa solar betriebene Getreidemühlen zulegen, ihre eigenen Produkte weiterverarbeiten und diesen Service zudem anderen anbieten. Bislang müssten sie oft das Fünffache ihres Erzeugerpreises zahlen, um ihr Getreide in einer Mühle mahlen zu lassen, die mit einem Dieselgenerator betrieben wird, erklärt er. Allerdings seien die Investitionskosten für ein Solarsystem, das Strom für eine Getreidemühle liefert, mit bis zu rund 5000 Euro vergleichsweise hoch. Doch das kann Hailus Zuversicht nicht bremsen. „Wir wollen die Idee weiterentwickeln. Ich bin sicher, dass das ein erfolgreiches Geschäftsmodell wird“, sagt er.

Hans-Christoph Neidlein ist freier Journalist in Berlin.

 

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