Ein Schritt vor, zwei zur Seite

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Lebensmittel-Standards
Als nachhaltig gekennzeichnete Lebensmittel versprechen, die Welt ein wenig besser zu machen. Doch die Siegel-Industrie wird zunehmend zum Problem für Kleinbauern in Entwicklungsländern.

Die Kaffeebohnen sind biozertifiziert, die Kiwis fair gehandelt und die Bananen unter guten Arbeitsbedingungen geerntet: Die Zahl der Siegel, die das garantieren sollen, wächst. Das stiftet Verwirrung beim öko-bewussten Kunden in Europa und den USA. Doch der Wildwuchs hat auch Folgen für die Kleinbauern in Entwicklungsländern. Die haben Rudolf Buntzel und Francisco Marí von Brot für die Welt in ihrem Buch „Gutes Essen, arme Erzeuger“ untersucht.

Für die Siegel müssen unterschiedliche Standards erfüllt werden. Staatliche Standards wie der für das das Biosiegel der Europäischen Union (EU) sind für die Hersteller verpflichtend – bei privaten Siegeln wie UTZ, Global G.A.P. oder MST hingegen werden die Standards von den Unternehmen selbst festgelegt. Die Kosten für die Zertifizierung tragen die Produzenten in beiden Fällen, wie teuer das ist oder durch wen sie durchgeführt wird, ist unterschiedlich.

Der Trend gehe zu industriefreundlichen Standards, sagte Ullrich Hoffmann vom UN Forum zu Nachhaltigkeitsstandards (UNFSS) bei der Buchvorstellung in Berlin: „Es ist ein riesiges Zertifizierungs-Business entstanden.“ Davon profitieren die Unternehmen, denn viele Verbraucher sind bereit, mehr Geld für Produkte mit Nachhaltigkeits-Siegel zu zahlen.

Die wachsende Zahl privatwirtschaftlicher Standards erschwere kleinen und mittleren Familienbetrieben in Entwicklungsländern den Zugang zum Weltmarkt, heißt es in dem Buch von Buntzel und Marí. Die Produkte müssten hohe Auflagen erfüllen, die ihnen von Konzernen des globalen Nordens auferlegt werden – teils mit mehr als 200 Kriterien. „Es ist fraglich, ob Kleinbauern das leisten können“, sagte Marí Anfang Juni in Berlin.

Die EU hat allein für Agrar- und Lebensmittel mehr als 400 Standards registriert, nach denen Gütesiegel vergeben werden. Als „bio“ gekennzeichnete Produkte machen auf dem globalen Lebensmittelmarkt zwar nur rund ein bis zwei Prozent aus, doch allein für sie gibt es rund 200 Standards, bei denen unterschiedliche Kriterien erfüllt werden müssen. Knapp die Hälfte davon stammt von privaten Zertifizierern. Und die drängen zunehmend in Entwicklungsländer: Dort  gibt es kaum staatliche Auflagen für Lebensmittel.

Entwicklungsländer setzen selber Standards

Für Buchautor Buntzel ist der Trend aber nicht grundlegend schlecht. Mit guter Betreuung und Subventionen können auch Kleinbauern langfristig davon profitieren, glaubt er. Standards seien außerdem nicht übermächtig. Lebensmittel von informellen Binnenmärkten ernährten noch immer die Mehrheit der Weltbevölkerung. „Viele Regierungen schielen zu sehr auf Exporte, deshalb gibt es nur zwei Varianten: entweder hochformalen Handel oder gänzlich unregulierte Binnenmärkte“, sagte er in Berlin.

In ihrem Buch schildern Buntzel und Marí auch gute Beispiele von den globalen Nahrungsmittelmärkten. Die meisten Standard-Programme bieten Gruppenzertifizierungen für Kleinbauern an; auf diese Weise können die Erzeuger den Preis für die Kontrollen und den bürokratischen Aufwand teilen. Zudem setzen einige Entwicklungsländer teils schon selbst Standards.

Die Ostafrikanische Gemeinschaft (EAC) habe bereits 2007 in Ostafrika einen eigenständigen Standard für die Biolandwirtschaft ins Leben gerufen, berichten die Autoren in ihrem Buch. Wer sich an das Regelwerk hält, darf seine Produkte entsprechend kennzeichnen. Für die Biobauern scheint das gut zu klappen – vielleicht, weil sie die Standards nicht von der Industrie auferlegt bekommen, sondern selbst dafür verantwortlich sind, vermuten die Verfasser.

Dennoch machten sie in Berlin deutlich: Es muss sich etwas ändern. Dass mehr Transparenz im „Dickicht der Siegel“ nötig sei, habe  jüngst die Debatte über die Organisation Rainforest Alliance deutlich gemacht, der Oxfam Anfang Juni Etikettenschwindel bei der Siegelvergabe vorgeworfen hatte. „Die Staaten sind in der Pflicht. Ohne sie geht es nicht“, sagte Marí. Sie müssten Regelwerke schaffen und prüfen – und vielleicht sogar ein Gütesiegel für Standards einführen. 

Es bewegt sich etwas: „Mit den Standards geht es einen Schritt vor und zwei zur Seite, aber zumindest nicht zurück“, sagte Christoph Simpfendörfer vom Verband Demeter International bei der Buchpräsentation. Der Diskurs beginne gerade erst. Gut, dass es nun ein gründlich recherchiertes und lesenswertes Buch gibt, das die Fäden entwirrt und umfassende, belastbare Daten über Nachhaltigkeitsstandards liefert.

Infos zum Buch:

Rudof Buntzel/ Francisco Marí
Gutes Essen – arme Erzeuger
Wie die Agrarwissenschaft mit Standards die Nahrungsmärkte beherrscht
oekom Verlag, München 2016
380 Seiten, 29,95 Euro

Infos zu Standards:

An Standards für Lebensmittel kommt heute kaum ein Unternehmen mehr vorbei. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) schätzt, dass 80 Prozent der Welthandelsgüter unter ein Standardprogramm fallen. Rund ...

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Eine Aussage im Artikel ist soweit ich weiß leider nicht korrekt: Auch für ihre Bio-Zertifizierung müssen Produzenten eine Zertizifierungsstelle bezahlen - egal ob in Europa oder in Entwicklungsländern. Und im Vergleich zum Erlös (bzw. zum Mehr-Erlös durch die Zertifizierung) fallen die Kosten dafür in Entwicklungsländern viel mehr ins Gewicht. Vermutlich übernimmt zum Teil der Aufkäufer (einen Teil der) Zertifizierungskosten (womit die Bauern gezwungen sind an ihn zu verkaufen). Ich kenne aber auch ein Beispiel (Bio-Sesam in Burkina Faso) wo eine Bauern-Organisation entschieden hat, die Zertifizierung wieder einzustellen - obwohl die Produktion den Bio-Kriterien entspricht.

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... der natürlich korrekt ist. Die Nutzung der staatlichen Siegel ist kostenlos, die Zertifizierung kostet - aber unterschiedlich viel, das kommt auf den Auftraggeber und das Land an. In Deutschland prüfen das 16 zugelassene Ökokontrollstellen, in anderen Ländern ist es wieder anders. Ich habe es nun ein wenig anders formuliert.

Danke auch für das Beispiel aus Burkina Faso - das klingt interessant und ist vielleicht mal ein Thema für uns. Wissen sie, wie das Unternehmen heißt?
Beste Grüße, Hanna Puetz

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erschienen in Ausgabe 7 / 2016: Sicherheit: Manchmal hilft die Polizei
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