Herr Peltzer, wo wird die Baumwolle für unsere Kleider und unsere Wäsche angebaut?
Der größte Exporteur von Baumwolle sind die USA, gefolgt von Zentralasien - also Usbekistan und Kirgistan. An dritter Stelle lag lange Zeit Afrika südlich der Sahara, besonders der frankophone Teil. In den vergangenen Jahren hat Afrika starke Konkurrenz aus Indien bekommen, das vom Nettoimporteur zum Exporteur geworden ist. China ist Nettoimporteur, es produziert allerdings große Mengen Baumwolle für die eigene Textilindustrie - ähnlich wie Pakistan und Brasilien.
Wieso sind die USA als Industrieland beim Export von Baumwolle führend?
Das liegt zum einen an der sehr gut entwickelten Infrastruktur für die Landwirtschaft und an ihrer Integration in industrielle Strukturen; das fördert technisch hoch entwickelte, kostensparende Anbauweisen. Zum anderen profitieren amerikanische Baumwollfarmer von hohen staatlichen Subventionen. Als Folge übersteigt die weltweite Produktion tendenziell die Nachfrage und die Weltmarktpreise für Baumwolle werden gedrückt. Allerdings tragen dazu auch China und Indien bei, die ihre Baumwollfarmer ebenfalls stark stützen. Auch die Europäische Union (EU) subventioniert den Baumwollanbau.
Mit welchen ökologischen und sozialen Problemen ist der Anbau von Baumwolle verbunden?
Drei Arten von Problemen können auftreten. Das erste ist der Wasserverbrauch, wo die Felder bewässert werden - wie in weiten Teilen der USA, Ägyptens, des Sudan und in Usbekistan und Kirgistan. Hier kann der Wasserverbrauch für die Baumwollproduktion dramatische Folgen haben. In Zentralasien zum Beispiel tragen die riesigen bewässerten Monokulturen dazu bei, dass Wasserreserven wie der Aralsee austrocknen. In Afrika südlich der Sahara wird aber kaum bewässert; auch in Indien wird Baumwolle zu einem großen Teil in kleinbäuerlichem Regenfeldbau erzeugt. Das zweite Problem ist der hohe Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmitteln, außer bei Bio-Baumwolle. Er ist umso nötiger, je mehr Baumwolle in Monokultur produziert wird. Wo sie in der Fruchtfolge angebaut wird wie in Afrika südlich der Sahara - dort wechseln Baumwollfelder etwa mit Mais- oder Sorghumfeldern und kleinen Wäldern -, treten weniger Schädlinge auf. Das dritte potenzielle Problem sind in einigen Regionen die Arbeitsbedingungen im Baumwollanbau. Unkraut jäten, spritzen und pflücken sind arbeitsintensiv, es sei denn, man mechanisiert es zum großen Teil wie in den USA.
Sind schlechte Arbeitsbedingungen oder Kinderarbeit eher in der arbeitsintensiven Kleinproduktion zu finden?
In kleinbäuerlichen Familienbetrieben bedeutet Kinderarbeit in der Regel die Mitarbeit von Familienangehörigen, was nach den Normen der Internationalen Arbeitsorganisation zulässig ist. Zum Problem wird es, wenn zum Beispiel in großem Umfang Kinder in Burkina Faso und Mali rekrutiert und für Monate unter menschenunwürdigen Bedingungen zur Ernte in die Côte d'Ivoire geschickt werden.
Wie wollen fair gehandelte Baumwolle oder Cotton Made in Africa (CMIA), für die Sie sich einsetzen, diese Probleme angehen?
CMIA will für Baumwolle aus Afrika südlich der Sahara den textilen Massenmarkt in Europa und in den USA erschließen. Diese Baumwolle wird nicht bewässert, nicht subventioniert und in Fruchtfolge mit anderen Produkten angebaut. Es müssen also weniger Pestizide eingesetzt werden und der Anbau konkurriert nicht mit dem von Nahrungsmitteln, sondern ergänzt ihn. Deshalb ist diese Baumwolle per se ökologisch und sozial verträglicher als in vielen anderen Teilen der Welt.
Wie unterscheidet sich der Ansatz von fair gehandelter Baumwolle und Bio-Baumwolle?
Auch die faire und die Bio-Baumwolle geben wichtige Impulse, um den Markt für nachhaltige Baumwolle auszuweiten. Sie erreichen aber bis jetzt oft nur Nischenmärkte. Bei fair gehandelter Baumwolle wird den Bauern ein höherer Preis bezahlt als auf dem Weltmarkt. Der faire Handel hat traditionell weniger auf die ökologische Nachhaltigkeit der Produktion geachtet, hierfür gelten bei der Bio-Baumwolle strenge Kriterien. CMIA verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz. Verlangt wird ein nachhaltiger Anbau, der aber einen kontrollierten Pestizideinsatz zulässt, das heißt es ist kein Bio-Anbau. Und es gelten Mindeststandards bei den Arbeitsbedingungen der Bauern sowie in der Entkernungsanlage. CMIA achtet darauf, ausbeuterische Kinderarbeit auszuschließen und darauf, dass die Bauern pünktlich bezahlt werden.
Die drei Siegel für verantwortliche Baumwolle konkurrieren miteinander?
Ja, aber sie ergänzen sich auch. So kommen fair gehandelte Baumwolle und Bio-Baumwolle zu 70 bis 80 Prozent aus Indien; Afrika ist auf diesem Markt kaum vertreten. Die Inder sind hier wettbewerbsfähiger, nicht zuletzt weil die Wertschöpfungskette hinter dem Anbau besser funktioniert. Insgesamt können die drei sozialen und ökologischen Marken voneinander lernen. Ein gewisser Wettbewerb ist da gesund. So werden bisher beim Bio-Anbau soziale Kriterien weniger beachtet. Der faire Handel hat ein anderes strukturelles Problem: Er bietet den Bauern einen Aufpreis für nach sozialen Standards erzeugte Güter an, kann aber nicht garantieren, dass die gesamte Ernte zu diesen Bedingungen abgenommen wird. Um das zu vermeiden, zahlt CMIA in der Einführungsphase denselben Preis wie für konventionelle Baumwolle.
Was haben die Bauern dann davon, sich den Anforderungen von CMIA zu unterwerfen?
CMIA hilft ihnen mit speziellen Programmen, nachhaltiger und produktiver anzubauen. Zweitens gibt CMIA der afrikanischen Baumwolle ein Gesicht, sie kann gezielt nachgefragt und so ihre Chancen auf dem Weltmarkt verbessert werden. Mittel- und langfristig soll auf diese Weise die Nachfrage nach Baumwolle aus Afrika ausgeweitet werden, so dass deren Preise steigen, wenn sich die Textilhändler hoffentlich um CMIA-Baumwolle reißen. Der höhere Preis wird dann auch den Bauern zu Gute kommen.
Am Ende soll Kleidung mit dem Label CMIA teurer sein als konventionelle - ähnlich wie im fairen Handel?
Ja, aber bei CMIA soll der Aufpreis aus der Dynamik des Marktes entstehen, aus der steigenden Nachfrage. Der faire Handel organisiert wie gesagt das Angebot, ohne immer zu wissen, wo es abgesetzt wird. Allerdings: CMIA erhebt schon jetzt eine Lizenzgebühr, die in der Startphase im Wesentlichen dazu dient, die Kosten des Markenaufbaus abzudecken. Mit der Nachfrage, die erfreulich stark wächst, steigen die Lizenzeinnahmen, und die Partner von CMIA überlegen, in Zukunft den größten Teil dieser Überschüsse in Form von Dividenden an die Bauern direkt weiterzugeben.
Wer zahlt die Lizenzgebühren?
Der beteiligte Textil-Einzelhandel.
Ohne dass die Produkte teurer werden als konventionelle Kleidung?
Die Gebühr beträgt einschließlich der Kosten für die Etiketten, die die Kleidung als CMIA- Textil kennzeichnen, etwa 12 Cent pro Stück. Das bringt der Handel in der Regel in der Kalkulation unter.
Kontrolliert CMIA die Einhaltung der Anbau-Standards?
Ja - zum Beispiel ob die Bauern beim Spritzen Schutzkleidung tragen und die Behälter der Pestizide vergraben, statt sie als Trinkbehälter für ihre Kinder zu nutzen.
Sie können doch nicht Zehntausende Bauern besuchen und schauen, was sie mit den Kanistern machen.
Natürlich nicht. CMIA lässt unabhängige Prüfer die Managementsysteme der Baumwollgesellschaften kontrollieren, die das Programm steuern, und ausgewählte Gruppen von Bauern befragen, um Unstimmigkeiten zu finden. Dies wird bisher aus Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit bezahlt. CMIA hofft aber, diese Kosten in drei, vier Jahren aus den Lizenzgebühren aufbringen zu können.
Bisher hängt CMIA von Entwicklungshilfemitteln ab?
In der Aufbauphase spielen die eine große Rolle. Um CMIA am Markt durchzusetzen, braucht man einen langen Atem. CMIA hat mit öffentlicher Entwicklungshilfe auch Bauern in Afrika geholfen, produktiver zu werden und ökologischer anzubauen - vor allem mit Beratung, daneben mit Krediten zum Beispiel für Ochsengespanne. An der Finanzierung dieser Programme beteiligt sich seit Beginn 2009 die Bill&Melinda Gates Foundation. Die Vermarktung in Deutschland ist inzwischen schon selbsttragend. Auf der anderen Seite trägt sich der Vertrieb von fairer und biologischer Baumwolle auch nicht immer selbst. Zum Beispiel ist Coton Équitable, eine französische Initiative für faire Baumwolle, stark von der Regierung in Paris unterstützt worden.
Ist das Nebeneinander verschiedener Kontrollsysteme für konkurrierende Label nicht problematisch?
Auf jeden Fall dann, wenn ein und dieselbe Bauern-Kooperative mehrere verschiedene Zertifizierungsprozesse durchlaufen muss, wie das beim Kaffee vorkommen kann. Da kann es sein, dass vier Zertifizierer für jeweils ein Siegel kommen und zu 70 Prozent dieselben Fragen stellen. Bisher ist das aber bei Baumwolle nicht der Fall, weil es erst seit wenigen Jahren faire Baumwolle, Bio-Baumwolle und CMIA gibt, und die konzentrieren sich jeweils auf verschiedene Regionen. Der faire Kaffee hat fünfzehn Jahre Vorsprung.
Wird verfolgt, in welchen Textilien am Ende wie viel afrikanische Baumwolle steckt?
Ja, wenngleich das kompliziert ist. Die Rohbaumwolle wird im ersten Schritt entkernt und zu Ballen gepresst. Die gehen in die Spinnerei, das Garn dann in die Wirkerei oder Strickerei. Ein großer Teil der afrikanischen Ballen wird in China gesponnen und gewoben, aber auch in Mauritius und Bangladesch. Der Stoff wird dann gefärbt und schließlich zu Konfektion verarbeitet, oft wieder in anderen Ländern. Weil da die Nachverfolgung aufwändig ist, wollte CMIA ursprünglich nach dem Ökostrom-Modell vorgehen und lediglich sicherstellen, dass in die Wertschöpfungskette mindestens so viel nach CMIA-Standards erzeugte Baumwolle reingeht, wie am Ende als Textilien rauskommt. Aber um das zu kontrollieren, müsste man wohl Daten von hunderten von Verarbeitungsbetrieben bekommen und analysieren. Das ist praktisch unmöglich. Deshalb hat CMIA nun ein System von akkreditierten Spinnereien und Webereien in allen wichtigen Produktionsländern aufgebaut. Sie erhalten Lizenzen und führen online Buch. So weiß CMIA immer, wie viel Projektbaumwolle gerade bei den angeschlossenen Betrieben ist.
Wer vertreibt CMIA-Produkte?
Der größte Abnehmer ist Tchibo, gefolgt von der Otto-Gruppe, die unter der Führung von Dr. Michael Otto CMIA initiiert und auf den Weg gebracht hat. Hinzu kommen Labels wie Tom Tailor, S.Oliver, Puma und andere. CMIA findet inzwischen auch in dem Heimtextilmarkt große Resonanz, vor allem bei Bettwäsche.
Was macht die Initiative für Unternehmen attraktiv?
Neben dem Imageeffekt sind die Standards der Initiative für Textil-Einzelhändler eine Art Risikoabsicherung. Denn wenn dort, wo sie Baumwolle einkaufen, grobe ökologische und soziale Missstände aufgedeckt und zum öffentlichen Thema werden, kann der Absatz einbrechen. In Großbritannien hat das vor ein paar Jahren eine Kampagne gegen Menschenrechtsverletzungen im Baumwollsektor Usbekistans gezeigt. Das hat dazu beigetragen, dass England inzwischen beim Vertrieb von fairer Baumwolle führend ist.
Ist der Absatz von CMIA auf Deutschland konzentriert und wie hoch ist er?
CMIA ist seit diesem Jahr auch auf dem französischen und US-amerikanischen Markt, Tendenz stark steigend. Aber im Moment erzielt es noch 70 bis 80 Prozent des Umsatzes in Deutschland; 2007 kamen hier etwa 400.000 Einzelteile in den Handel, 2008 waren es bereits 2,4 Millionen und für 2009 rechnet CMIA weltweit mit 6 bis 7 Millionen. Zum Vergleich: Wenn CMIA in Deutschland 5 Millionen Textilien im Wert von durchschnittlich zehn Euro absetzen kann, macht das 50 Millionen Euro jährlich. Der gesamte Umsatz mit allen fair gehandelten Produkten lag 2008 in Deutschland bei etwa 200 Millionen Euro.
Sehen Sie ein ähnliches Wachstumspotenzial bei fairer und biologischer Baumwolle?
Faire Baumwolle hat gerade in England mit den Folgen der Wirtschaftskrise zu kämpfen. Aber bei der Bio-Baumwolle, die zum Beispiel auch C&A verkauft, gab es in den vergangenen Jahren konstant große Zuwächse. Da sehe ich Chancen für weiteres Wachstum.
Ist Gen-Baumwolle bei CMIA verboten - wie bei Bio-Baumwolle?
CMIA hat auf Gen-Baumwolle ein dreijähriges Moratorium. Einige der afrikanischen Partner sind aber daran interessiert, Gen-Baumwolle anzubauen - auch wenn die dann nicht als CMIA vermarktet werden kann. In den Hauptanbauländern USA, Indien und China sind mittlerweile 60 bis 70 Prozent der Baumwolle genetisch verändert. Viele Afrikaner sehen darin einen technischen Fortschritt, von dem sie nicht ausgeschlossen werden wollen. Und Gen-Baumwolle spart Arbeit: Um einen Hektar gegen Schädlinge zu spritzen, muss ein Bauer 15 Kilometer laufen. Gen-Baumwolle ermöglicht ihm, statt sechs Mal nur drei oder vier Mal zu spritzen.
Muss Baumwolle von Kleinbauern nicht ohnehin weniger gespritzt werden?
Das stimmt. Auf großen Plantagen wird vielleicht zwölf Mal während des Anbaus gespritzt. Der Vorteil der Gen-Baumwolle ist für Kleinbauern geringer als auf großen Plantagen, aber er ist da. Tests in Burkina Faso haben das in den vergangenen drei Jahren belegt. Hinzu kommt, dass dieses Land einen günstigen Vertrag mit Monsanto, dem Anbieter des genetisch veränderten Saatguts, ausgehandelt hat. Unter anderem hängt danach die Lizenzgebühr für das Saatgut von dessen Produktivität ab - wenn die Ernte schlecht ist, fallen kaum oder gar keine Lizenzgebühren an. Das Hauptrisiko des Gen-Saatguts für die Bauern ist ja, dass es teuer ist und sie, wenn die Ernte schlecht ist, die Kredite dafür nicht abzahlen können. Das entfällt in Burkina Faso weitgehend. Deshalb zeigen dort alle Beteiligten - von den Baumwoll-Gesellschaften bis zu Bauernvertretern - großes Interesse, Gen-Baumwolle einzuführen. In anderen afrikanischen Ländern wird das zum Teil anders und kontrovers diskutiert.
Warum lehnt CMIA dann Gen-Baumwolle ab?
Zum einen sind an dem Projekt CMIA neben dem Einzelhandel auch Entwicklungsorganisationen und zwei Naturschutzverbände beteiligt. Diese lehnen die Vermarktung von Gen-Baumwolle eindeutig ab. Der zweite wesentliche Grund ist, dass Gen-Baumwolle für CMIA unter Imagegesichtspunkten in Europa nicht zu vermarkten ist. Unsere afrikanischen Partner wurden überstimmt.
Roger Peltzer vertritt die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG) im Beirat der „Aid by Trade Foundation", die Cotton Made in Africa aufbaut und vertreibt. Er äußert in dem Interview ausschließlich seine persönliche Meinung.
Orthographie
Sehr geehrtes Welt-Sichten Team,
in dem obigen Artikel betrefflich des CmiA-Projektes lässt sich ein grober orthographischer Fehler finden.
Die Modemarke nennt sich Tom Tailor und nicht wie von Ihnen fälschlicherweise angenommen Tom Tailer.
Ich würde mich über eine zügige Korrektion dieses schwerwiegenden Fehlers sehr freuen.
MfG
Prof. Dr. P. Lindner
Fehler
Hallo Herr Lindner,
vielen Dank für den Hinweis, sogleich korrigiert.
Grüße aus der Redaktion
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