„Bildungspolitische Notversorgung“

Sichtlich beeindruckt von der Bildungsarbeit ostdeutscher Entwicklungsorganisationen zeigte sich die Leiterin der Servicestelle für bürgerschaftliches Engagement des Entwicklungsministeriums unlängst auf einer Reise durch den Osten der Republik. Mehr Geld zur Förderung des zumeist ehrenamtlichen Engagements hatte sie aber nicht im Gepäck.

„Super!“ findet Gabriela Büssemaker, was ihr die jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von „Ökohaus“ Rostock und „Verquer“ Greifswald in der Alten Kachelofenfabrik von Neustrelitz in Mecklenburg-Vorpommern mit Fotos und Verknüpfungspfeilen nahe bringen: die entwicklungspolitische Bildungsarbeit effizienter zu machen, indem man sich so gut es geht vernetzt. Denn an höchstmöglicher Effizienz bei knappem Mitteleinsatz in der Inlandsarbeit ist der von Büssemaker geleiteten Servicestelle „Engagement Global“ sehr gelegen.

Autor

Johannes Schradi

war bis Frühjahr 2013 Berlin-Korrespondent von „welt-sichten“.

Stundenlang sind die Ökohaus- und Verquer-Akteure nach Neustrelitz angereist. Die Anlaufpunkte sind im dünn besiedelten Mecklenburg-Vorpommern weit verstreut. Es geht wie bei vielen entwicklungspolitisch engagierten Gruppen Ostdeutschlands um Projekttage für Schulklassen, um Fortbildung für Lehrer und Studierende und darum, entwicklungspolitische Inhalte in eine breitere Öffentlichkeit zu tragen: Die Themenpalette reicht vom bewussten Einkauf und dem fairen Handel über Kinderarbeit und Umweltfragen bis zur Rohstoffausbeutung. Die meisten Aktiven arbeiten ehrenamtlich, bezahlte Stellen gibt es kaum. Nichtstaatliche Organisationen (NGOs) mit besserer Ausstattung sind fast ausschließlich im Westen zu Hause.

Von „bildungspolitischer Notversorgung“ spricht denn auch die Stiftung Nord-Süd-Brücken. Als spezielle Ost-Fördereinrichtung greift sie jährlich 60 bis 80 Vereinen, Gruppen und Weltläden mit Geld und Know-how unter die Arme. Ein weiterer wichtiger Geldgeber ist der Evangelische Entwicklungsdienst, wichtigster Sponsor aber ist das Entwicklungsministerium mit einem Förderanteil von 60 bis 70 Prozent.

Aus diesem Grund sieht sich Frau Büssemaker samt Mitarbeitern aus BMZ und Servicestelle in einem Parforceritt, organisiert von Nord-Süd-Brücken, in allen Bundesländern im Osten um: in Neustrelitz, in Potsdam, in Halle, in Jena und in Leipzig. Alle Organisationen, die Fördermittel des Ministeriums erhalten möchten, müssen zunächst das Antragsverfahren der Servicestelle passieren; entschieden wird dann im Ministerium. Wenn Gabriela Büssemaker die NGO-Vertreter nach ihren Wünschen fragt, steht regelmäßig verlässliche, kontinuierliche Förderung, vor allem mehr Geld für bezahlte Stellen, ganz oben auf der Liste. Damit wirksamer und nachhaltiger gearbeitet werden kann.

Ob es um eine „Tropenwald-Reise“ in einer Kita in Halle oder um „antirassistisches und transkulturelles Migrantenengagement“ in Leipzig geht – Gabriela Büssemaker zeigt sich beeindruckt. Aber finanzielle Versprechen macht sie nirgends. Zwar steht die Förderung des zivilgesellschaftlichen Engagements ganz oben im BMZ. Doch für die Inlandsarbeit der NGOs hält das Ministerium bundesweit gerade einmal zehn Millionen Euro bereit. Das Antragsvolumen ist fast doppelt so hoch. Zwar wird derzeit ein „Promotorenprogramm“ auf den Weg gebracht mit dem Ziel, mehr nichtstaatliche Wissensvermittler auch zu bezahlen. Aber zusätzliches Geld aus dem BMZ gibt es bislang hierfür nicht. Die Länder sollen knapp die Hälfte beisteuern, aber auch die bleiben eher zugeknöpft. Mit anderen Worten: Wie das Programm finanziert werden soll, steht in den Sternen. Derzeit laufen vier Pilotprojekte.

Große Stücke hält Gabriela Büssemaker, die früher Oberbürgermeisterin in Ettlingen war, noch auf eine andere Idee. Sie will Städte und Gemeinden mit Zuschüssen zu mehr entwicklungspolitischem Engagement bewegen. Beim NGO-Dachverband Venro sieht man das mit gemischten Gefühlen. Man fürchtet, dass sich Zuständigkeiten verlagern: weg von den nichtstaatlichen Organisationen, hin zu den Kommunen. Dass aber zum Beispiel im kommunalen Beschaffungswesen entwicklungspolitisch einiges zu bewegen wäre, bestreitet indessen niemand; viele nichtstaatliche Organisationen fordern es ausdrücklich. Eine Organisation in Jena hat sogar das seltene Glück, mit der Stadtverwaltung bestens zu kooperieren. Im Rathaus gibt es Kaffee von einer Kleinbauern-Kooperative in Nicaragua, und der Bürgermeister fährt immer wieder gern in die dortige Partnerstadt San Marcos.

Aber das ist weit weg von der Wirklichkeit der NGO-Vertreter in Mecklenburg-Vorpommern. Sie müssen sehen, dass sie rechtzeitig den Regionalzug nach Hause erreichen. Entwicklungspolitische Bildungsarbeit ist schön, aber mühsam.


Johannes Schradi

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erschienen in Ausgabe 7 / 2012: Konzerne: Profit ohne Grenzen
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