Schwieriger Kampf gegen gefährliche Fälschungen

Ein Afrikaner in Polizeiuniform neben einem übermannshohen rostigen Eisentor. Er steht auf und vor prall gefüllten weißen Säcken, die sich unter freiem Himmel vor einer stacheldrahtbewehrten Mauer türmen.
Sofi Lundin
Kommissar Hastings Chikondi von der Polizei der malawischen ­Hauptstadt Lilongwe in einem Lager für beschlagnahmte gefälschte Medikamente.
Malawi
Wegen minderwertiger und gefälschter Medikamente sterben allein in Subsahara-Afrika Jahr für Jahr eine halbe Million Menschen. In Malawi sind Arzneimittelfälschungen für Kriminelle lukrativ und eine enorme Belastung für die Gesellschaft.

Das Fieber steigt rasant, die Kopfschmerzen sind unerträglich. Peter (seinen kompletten Namen möchte er nicht nennen) muss das Bett hüten. Eine Blutuntersuchung ergibt, dass er – wie schon so oft – Malaria hat. In Mzuzu, der Heimatstadt des 42-Jährigen, die im Norden Malawis liegt und rund 220.000 Einwohner hat, ist Malaria weit verbreitet. Wie üblich geht Peter zum örtlichen Missionskrankenhaus, um sich dort ein Medikament zu holen. Dieses Mal bekommt er Pillen, deren Handelsnamen er nicht kennt, auf deren heilende Wirkung er aber vertraut. Allerdings verschlechtert sich diesmal innerhalb weniger Tage sein Zustand. Das Fieber steigt, auf seiner Haut zeigen sich dunkle Flecken, schließlich kann er das Bett nicht mehr verlassen. 

Seine Großmutter, eine pensionierte Krankenschwester, stellt fest, dass die Pillen, die man ihm gegeben hat, gefälscht sind und bei ihm eine Sepsis ausgelöst haben. „Mehr als diese Tabletten konnte ich mir nicht leisten, sie sollten mir das Leben retten“, sagt er einige Wochen später in einem Interview mit welt-sichten in der Hauptstadt Lilongwe. „Stattdessen haben sie mich fast umgebracht.“ Wegen seiner Blutvergiftung, die noch immer nicht ganz unter Kontrolle ist, ist er in einem Krankenhaus in der Hauptstadt. 

Das Medikament, das Peter bekommen hat, war eines von Millionen gefälschten Malaria-Präparaten, die die afrikanischen Märkte überschwemmen. Gefälschte und minderwertige Arzeimittel sind in Afrika ein ernsthaftes Problem für die öffentliche Gesundheit, jüngsten UN-Statistiken zufolge führen sie in Ländern südlich der Sahara Jahr für Jahr zum Tod von rund einer halben Million Menschen. Eine neue, von Forschern der Bahir Dar University in Äthiopien durchgeführte Studie zeigt, dass über ein Fünftel aller in Afrika verkauften Medikamente entweder gefälscht oder von minderer Qualität sind.

Ein großes, viel zu wenig beachtetes Gesundheitsproblem

Darüber hinaus kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass mehr als ein Drittel (34,6 Prozent) der Arzneimittel, die im Umlauf sind, auf dem Kontinent gar nicht zugelassen sind, davon sind fast die Hälfte (44 Prozent) Antibiotika. Gefälschte Medizinprodukte seien weltweit ein großes, viel zu wenig beachtetes Gesundheitsproblem, sagt Paul Newton, Professor für Tropenmedizin an der Universität von Oxford. Sie wirkten sich nicht nur unmittelbar auf einzelne Patienten und ihre Familien aus, sondern auch auf die Wirtschaft insgesamt. Zudem untergrüben sie insbesondere in Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen das Vertrauen in Gesundheitssysteme.

Der Handel mit Arzneimittelfälschungen ist dabei eine der größten Wachstumsbranchen für Kriminelle; Analysten schätzen den Wert des globalen Marktes für medizinische Fälscherware auf 200 bis 432 Milliarden US-Dollar. Da in diesen Handel viele mächtige Personen verwickelt sind, wollen die meisten Befragten aus Angst vor möglichen Konsequenzen anonym bleiben. Kriminelle erzielen mit den betrügerischen Geschäften hohe Erträge bei geringem Risiko, vor allem in Regionen, in denen der Zugang zu bezahlbaren Arzneimitteln beschränkt ist und die behördliche Aufsicht unzureichend.

Der Kampf gegen dieses Problem erfordere politischen Willen, stärkere rechtliche Rahmenbedingungen und eine bessere Zusammenarbeit zwischen Ländern und Strafvollzugsbehörden, betont Paul Newton, der schwerpunktmäßig die Auswirkungen minderwertiger und gefälschter Medizinprodukte in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen untersucht. 

Polizeioperation gegen illegalen Medikamentenhandel

Ein Geruch von Abgas und Essen liegt über dem geschäftigen Treiben auf dem Markt mitten in der Hauptstadt Lilongwe, wo Kommissar Hastings Chikondi mit seinem Team unterwegs ist. Erst vor wenigen Wochen hat die Polizei hier eine große Razzia durchgeführt und dabei auch Männer festgenommen, die mit gefälschten und abgelaufenen Medikamenten gehandelt haben. Das Verfallsdatum ist zwar in der Regel auf der Packung zu sehen, doch die wenigsten Kunden prüfen es beim Kauf. Die meisten vertrauen dem System und den Gesundheitseinrichtungen und denken nicht daran, sich die Produkte näher anzuschauen. „Wir haben in mehreren Läden gefälschte Malaria-Medikamente gefunden, außerdem abgelaufene Antibiotika und Schmerzmittel, die direkt aus staatlichen Krankenhäusern gestohlen worden waren. Das dortige Kontrollsystem ist mangelhaft“, sagt Kommissar Chikondi und zeigt auf drei geschlossene Läden in einer engen Gasse, es sind winzige Geschäfte inmitten eines überfüllten Marktes.

Die Aktion hatte ein beachtliches Ausmaß: Arzneimittel im Wert von mehreren Millionen Kwacha (eine Million Kwacha entsprechen rund 500 Euro) wurden sichergestellt. Die Razzia war Teil einer größeren Polizeioperation zur Niederschlagung des illegalen Handels und zur Festnahme von Mitgliedern krimineller Netzwerke.

Einer der Festgenommenen hat zugegeben, dass er das schon seit über zehn Jahren gemacht hatte. Er ist Apotheker in einem der größten staatlichen Krankenhäuser. Die Medikamente, die er verkauft hat, waren aus dem Krankenhaus gestohlen und mit gefälschten vermischt worden“, berichtet der Kommissar.

Kommissar Chikonde ist frustriert

Chikonde, der seit achtzehn Jahren bei der Polizei arbeitet, ist angesichts dieser Situation frustriert. Der Polizei fehle die Kapazität, um dieses Problem endgültig zu lösen, klagt er. „Wir könnten jeden Tag Leute verhaften, die in diesen illegalen Handel verwickelt sind, aber de facto sind wir dazu nicht in der Lage. Um großangelegte Operationen durchführen und kriminelle Netzwerke aufdecken zu können, fehlt es uns an Personal, Geld und Ausrüstung“, sagt er. Korruption und ein schwaches Justizsystem täten ein Übriges, um der Polizei die Arbeit zu erschweren. „Leute, die festgenommen und vor Gericht verurteilt wurden, können sich mit einer kleinen Summe aus dem Gefängnis freikaufen. Und sobald sie wieder in Freiheit sind, machen sie einfach weiter wie zuvor“, so Chikondi.

Viele der minderwertigen Medikamente kommen aus Ländern wie Indien und Indonesien, die meisten gefälschten dagegen laut Polizei aus Nachbarländern von Malawi. Fälschungen sind vorsätzlich und in betrügerischer Absicht falsch gekennzeichnet, um Verbraucher zu täuschen. Sie können unzulässige Bestandteile, schädliche Substanzen oder auch gar keine aktiven Wirkstoffe enthalten, was sie zu einem erheblichen Gesundheitsrisiko macht. Minderwertige Medikamente dagegen sind zugelassene Medizinprodukte, die den Qualitätsstandards oder -vorschriften nicht (mehr) entsprechen. Gründe dafür können fehlerhafte Produktionsverfahren, unsachgemäße Lagerung oder ein Wirkungsverlust über die Zeit sein.

Gefälschte und minderwertige Medikamente werden oft auf inoffiziellen Wegen nach Malawi geschmuggelt. Damit umgehen die Kriminellen offizielle Grenzkontrollen durch Zoll und andere Überwachungsinstitutionen wie etwa die malawische Steuerbehörde. „Um den Handel zu beenden, brauchen wir Polizeipatrouillen entlang der Grenzen“, sagt Chikondi. 

„Hauptsächlich arme Leute betroffen“

Wieder im Polizeirevier angekommen, öffnet er einen Safe, in dem beschlagnahmte Fälscherware aufbewahrt wird. Hinter einem breiten Eisentor stapeln sich bis unter die Decke Säcke mit Arzneimittelfälschungen, abgelaufenen Medikamenten und minderwertigen Tabletten. Daneben gibt es Taschen voll mit anderen gefälschten Produkten wie Hustensaft, Zahnpasta und Vitaminpräparaten. „Das Schlimmste ist, dass hauptsächlich arme Leute davon betroffen sind. Sie gehen in staatliche Krankenhäuser, wo Arzneimittel kostenlos sein sollten, während man in einem Privatkrankenhaus zahlen muss. Man rät ihnen jedoch, außerhalb von Apotheken zu kaufen, wo sie gezwungen sind, sich für Billiglösungen zu entscheiden“, sagt er.

An einer belebten Straße liegt gleich gegenüber dem größten staatlichen Krankenhaus eine Apotheke. Apotheker Salim (Name geändert) sagt, sie hätten täglich rund dreihundert Kunden. Viele kämen direkt vom Krankenhaus, wo man ihnen gesagt habe, dass die Medizin, die sie bräuchten, nicht verfügbar sei. Salims Apotheke erhält ihre Medikamente von örtlichen Großhändlern, die wiederum beziehen sie hauptsächlich aus Indien, aus verschiedenen afrikanischen Ländern und auch aus Europa. Allerdings werden die europäischen Marken ausschließlich an private Gesundheitseinrichtungen und Apotheken verteilt, wo nur wohlhabendere Menschen einkaufen. 

Apotheken in Lilongwe bieten vor allem Medikamente aus indischer Produktion an. Europäische Marken werden nur an Gesundheitseinrichtungen verkauft.

„Wir müssen darauf vertrauen, dass die Arzneimittel, bevor wir sie übernehmen, von den örtlichen Großhändlern geprüft worden sind. Aber wir hatten durchaus schon Fälle von minderwertigen Medikamenten“, sagt Salim. „Es bräuchte darum wirklich strengere Vorschriften und häufigere Überprüfungen.“ Jeder, der Medizin anbiete, müsse sicherstellen, dass die von ihm verkauften Medikamente einem akzeptablen Standard entsprechen. 

Bei vielen Präparaten aus Ländern wie Indien und China liege das größte Problem in ihrer geringeren Wirkung. „Bei minderwertigen Arzneimitteln mit niedrigerem Wirkstoffgehalt muss man die doppelte Dosis nehmen, um überhaupt einen Effekt zu erzielen. Das schadet dem Körper auf lange Sicht“, sagt er. Auch könnten diese Mittel schädliche Bestandteile enthalten, die bei Einnahme einer höheren Dosis zu Leberschäden und anderen unerwünschten Nebenwirkungen führen könnten.

„Ein Mittel wie Paracetamol zu testen, dauert zweieinhalb Stunden"

In einem modernen Gebäude im Zentrum Malawis befindet sich die Aufsichtsbehörde für pharmazeutische und medizinische Produkte (PMRA), deren Hauptaufgabe darin besteht, die Qualität und Sicherheit von Arzneimitteln im Land zu regulieren und zu überwachen. Es ist ruhig in dem hellen Labor, in dem Labortechniker hoch konzentriert Medikamente überprüfen. „Ein Mittel wie Paracetamol zu testen, dauert zweieinhalb Stunden. Dieser Prozess umfasst mehrere Stufen und ist unglaublich zeitaufwendig“, sagt der Laborant Moses Sondashi. Geprüft werden nur importierte Arzneimittel von amtlich zugelassenen ausländischen Firmen. Zudem betrifft der Check nur Produkte, die in Lilongwe verkauft werden. Die PMRA ist zentralisiert und hat keine Kontrolle über Medikamente außerhalb der Hauptstadt. Es gibt keine andere Prüfstelle mit Labor im Land, das heißt, wenn Ta­bletten hier nicht durchlaufen, sind sie nicht hinreichend getestet. 

Moses Sondashi prüft im Labor der malawischen Aufsichtsbehörde für pharmazeutische Produkte, ob importierte Medikamente internationalen Standards genügen.

„Uns fehlt die Kapazität, den Arzneimittelhandel außerhalb der Stadt zu überwachen. Von dem, was importiert wird, können wir nur einen Bruchteil prüfen“, sagt der Sprecher der Aufsichtsbehörde, Joseph Josiah. Und zeigt auf eine Reihe von Präparaten, die den Laborergebnissen zufolge nicht den Standards entsprechen. Manche der Schachteln sehen genau wie Originalmedikamente aus. „Oft ist es unmöglich, zu erkennen, ob ein Arzneimittel ein Original ist oder nicht, denn um das festzustellen, sind Labortests notwendig“, erklärt er.

Laut Josiah stellen kleine, oft nicht registrierte „Medizinshops“, von denen es landesweit Tausende gibt, das größte Problem dar. „Solche Läden dürfen keine verschreibungspflichtigen Medikamente verkaufen. Doch nicht alle befolgen diese Regel, und so kommt es immer wieder vor, dass unqualifiziertes Personal stark wirkende Medikamente verkauft, die oft den Qualitätsanforderungen nicht entsprechen.“

Der gefälschte Hustensaft bescherte Grace Herzbeschwerden

Viele Menschen berichten von ihren Erfahrungen mit gefälschten und abgelaufenen Medikamenten. Zum Beispiel Grace: Die 40-Jährige ist immer noch geschockt von dem, was ihr passierte, als sie vor einiger Zeit einen Hustensaft kaufte. „Kaum hatte ich von dem Saft genommen, bekam ich Herzklopfen und mir wurde schwindelig. Die Symptome verschlimmerten sich rasant, und bald konnte ich kaum noch atmen“, erzählt sie. Ursprünglich hatte sie auch ihrem Sohn von dem Hustensaft geben wollen, doch als ihre Symptome schlimmer wurden, goss sie den restlichen Saft in den Abfluss. Später fand Grace heraus, dass das „Hustenmittel“ gar kein Originalpräparat war. Wenn ein Medikament gefälscht ist, kann man das oft daran erkennen, dass die Etiketten falsch sind, was hier der Fall war. Wie die meisten anderen hatte sie dem System vertraut und nicht überprüft, woher die Arznei kam. Und wie die meisten anderen, mit denen wir gesprochen haben, entschied sie sich für die günstigste Option.  

Eine Packung Diclofenac aus Indien kostet rund einen Euro, während man für eine Marke aus Deutschland viermal mehr bezahle, sagt Francis Mwenitete, ein Patient, der schlechte Erfahrungen mit Medikamenten minderwertiger Qualität gemacht hat. Indische Firmen stellen den europäischen Originalen ähnliche (generische) Medikamente zu einem Bruchteil der Kosten her. Aufgrund von Kontrolllücken hielten sich dabei einige Hersteller aber nicht an strenge Qualitätsvorgaben, was zu minderwertigen Produkten führen könne.

Als Mwenitete Schmerzmittel gegen heftige Gelenkschmerzen brauchte, konnte auch er nur das günstigere Mittel bezahlen. „Ich kaufte eine Marke aus Indien und verspürte kaum einen Unterschied. Also musste ich die Dosis erhöhen, und das hat mir chronische Magenschmerzen eingebracht“, sagt er. 

Francis Mwenitete nahm wegen Gelenkschmerzen ein minderwertiges Schmerzmittel aus Indien. Das hat ihm chronische Magenschmerzen beschert.

Peter, der nach der Einnahme gefälschter Malaria-Tabletten eine Blutvergiftung erlitt, ist nach diesem Vorfall psychisch angeschlagen. Er hat Tränen in den Augen, als er darüber spricht. „Mir ist klar geworden, dass man dem Gesundheitssystem nicht trauen kann, und jedes Mal, wenn ich ein Medikament kaufe, habe ich Angst. Ich denke oft, was für ein Glück ich habe, am Leben zu sein, und wie viele Menschen nicht überleben“, sagt er.

Wir haben mehrere Versuche unternommen, das malawische Gesundheitsministerium zu kontaktieren, jedoch auf unsere Anfragen keine Antwort erhalten.

Aus dem Englischen von Juliane Gräbener-Müller.

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erschienen in Ausgabe 1 / 2025: Abwehrkräfte stärken
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