Resistenzen von Bakterien gegen Antibiotika gelten als globale Gesundheitsgefahr – es heißt, daran sterben schon jetzt mehr Menschen jährlich als an Malaria. Stimmt das?
Laut einigen Schätzungen sterben tatsächlich 1,3 bis 1,4 Millionen Menschen jedes Jahr aufgrund von Antibiotikaresistenzen. Solche Schätzungen sind aber sehr schwierig. Die ärmsten Länder, die vermutlich am meisten betroffen sind, haben auch die schwächsten Systeme zur Erfassung. Wo das Problem am größten ist, haben wir also am wenigsten Daten. Klar ist aber: Resistente Keime sind bedrohlich. Alle Altersgruppen sind betroffen, doch besonders Neugeborene und ältere Menschen sowie Personen, deren Immunsystem geschwächt ist. Und man darf die Gefahr nicht nur an der Todeszahl messen, die meisten Infektionen sind ja nicht tödlich. Antibiotika machen viele Eingriffe der modernen Medizin überhaupt erst sicher; zum Beispiel sind sie bei vielen Operationen nötig oder wenn man die Immunantwort nach Transplantationen mit Medikamenten unterdrückt. Wenn Sie etwa nach einer Hüftoperation mit einem Keim infiziert sind, ist der viel schwieriger zu behandeln, wenn er resistent ist. Das führt zu zusätzlichen Komplikationen.
Wodurch werden Keime resistent?
Das ist kompliziert. Resistenzen gab es schon, bevor Menschen Antibiotika eingesetzt haben. Wieso? Weil die meisten Antibiotika auf Stoffen beruhen, die Mikroorganismen selbst produzieren, um sich Konkurrenten vom Leib zu halten. Wenn ein Bakterium ein Antibiotikum herstellt, muss es selbst natürlich dagegen resistent sein. Und andere Bakterien hatten zig Millionen von Jahren Zeit, gegen solche Stoffe resistent zu werden. Solche „natürlichen“ Resistenzen sind weit verbreitet. Für uns sind allerdings hauptsächlich krankmachende Keime wichtig, und hier haben Resistenzen verschiedene Ursachen. Eine ist schlechte Wasser- und Abwasserinfrastruktur: Wenn Trinkwasser mit Ausscheidungen verschmutzt ist, übertragen sich leicht Bakterien, die man im Stuhl findet, und deren Resistenzen. Das ist global ein großes Problem, weil über zwei Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser haben. Eine zweite Ursache ist der Einsatz von Antibiotika: Wenn etwa im Krankenhaus die Hygiene nicht gut ist oder viele Patienten auf engem Raum sind, übertragen sich Keime leicht, und wenn man dann Antibiotika gibt, tötet man die empfindlichen Keime und verschafft den resistenten einen Selektionsvorteil – sie überleben und verbreiten sich noch mehr. Da sind Antibiotika die Opfer ihres eigenen Erfolgs.
Vor allem, wenn sie unsachgemäß eingesetzt werden?
Genau. Antibiotika gehören zu den wirksamsten und sichersten Medikamenten bei schweren Infektionen. Bei Lungenentzündungen war zum Beispiel die Sterberate hoch, bevor es Antibiotika gab. Aber die meisten werden nicht gegen schwere akute Infektionen eingesetzt, sondern außerhalb des Krankenhauses bei Virusinfektionen der Atemwege. Sehr oft bekommen Patienten sie bei Halsweh, Schnupfen oder Mittelohrentzündung, obwohl das in den meisten Fällen gar nicht hilft, da Antibiotika nicht gegen Viren wirken.
Auch in armen Ländern, wo Antibiotika teurer und weniger verfügbar sind?
Ja, überall, aber in armen Ländern hat es andere Gründe als in reichen: Der Zugang zu Ärzten ist dort eingeschränkt, deshalb gehen Kranke direkt in die Apotheke. Und obwohl es in den meisten Ländern verboten ist, Antibiotika ohne Rezept abzugeben, passiert das oft – das Verbot ist schwer durchzusetzen, auch weil es zu wenige Ärzte gibt. Und so teuer sind Antibiotika nicht; ein Test, um zu bestimmen, ob eines nötig ist, ist oft viel teurer. Das stellt Ärzte vor die schwierige Wahl, Kranken für zwei Dollar ein Antibiotikum zu geben oder für 50 Dollar einen Test zu machen, bei dem vielleicht herauskommt, dass sie doch keines brauchen. Wenn jemand mehrere Stunden mit dem Bus zum Arzt reist, kann man ihm außerdem schwer sagen: Kommen Sie in zwei Tagen wieder, wenn es nicht besser wird. Und es gibt finanzielle Anreize, schnell Antibiotika zu nehmen – zum Beispiel, dass man Geld verliert, wenn man nicht zur Arbeit geht. Allerdings gibt es auch Regionen, in denen Antibiotika zu wenig verfügbar sind und Menschen sterben, weil sie keine bekommen.
Laut einer Untersuchung sind resistente Keime in armen Ländern am stärksten verbreitet. Stimmt das und woran liegt es?
Solche Aussagen werfen immer die Frage auf, wovon genau die Rede ist. Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Keime, von denen manche mehr im Krankenhaus vorkommen und andere mehr außerhalb. Zudem kann ein und derselbe Keim gegen verschiedene Antibiotika resistent sein. Globale Aussagen über die Verbreitung von Resistenzen sind also sehr schwierig. Aber generell sind sie in ärmeren Ländern das größere Problem, zumal dort Antibiotika, die gegen resistente Keime wirken, weniger verfügbar sind. Weitere Gründe sind Mangel an sicherem Trinkwasser und enges Zusammenleben von Menschen und Tieren; bei Nutztieren werden ja ebenfalls Antibiotika eingesetzt. Auch in Krankenhäusern gibt es wahrscheinlich in armen Ländern mehr Resistenzen, weil die Ausstattung schlechter ist – zum Beispiel fehlt fließendes Wasser, Antibiotika werden daher manchmal als Ersatz für Hygiene eingesetzt.
Welche von resistenten Keimen verursachten Krankheiten sind am gefährlichsten?
Auch da muss man unterscheiden: Eine Krankheit wie Lungenentzündung kann von verschiedenen Erregern verursacht werden, und umgekehrt kann derselbe Keim verschiedene Krankheiten auslösen. Am meisten Probleme machen weltweit wahrscheinlich Keime, die wir alle im Darm haben, wenn sie gegen Breitspektrumantibiotika resistent werden. Das Kolibakterium zum Beispiel löst häufig Blasen- und Harnwegsentzündungen aus und ist oft resistent. Eine verwandte Familie von Keimen, die Klebsiellen, sind im Krankenhaus verbreitet und häufig gegen eine Vielzahl von Antibiotika resistent. Sie können unter anderem Infektionen der Lunge, der Harnwege oder von Wunden verursachen.
Erwartet die WHO, dass die Gefahr von resistenten Keimen wächst?
Konkrete Voraussagen sind mit Vorsicht zu genießen. Aber wenn man nichts tut, muss man schon davon ausgehen, dass Resistenzen zunehmen, weil der Konsum von Antibiotika ständig steigt und zudem oft die falschen eingesetzt werden: Solche mit sehr breiter Wirkung, die mehr zu Resistenzen beitragen als klassische Mittel wie Amoxicillin oder Penicillin. Die würden für die meisten Anwendungen außerhalb des Krankenhauses völlig ausreichen.
Was sollte man gegen die Gefahr tun? Neue Antibiotika entwickeln?
Das ist nötig, kann aber nicht die Hauptlösung sein. Es ist sehr schwierig, neue Antibiotika zu finden, weil die Keime nicht so viele Angriffspunkte bieten und weil Antibiotika verglichen mit anderen Medikamenten nicht sehr lukrativ sind. Resistenzen zu verhindern, ist immer wirksamer, einfacher und kostengünstiger. Das erste Mittel dafür sind Impfungen – auch gegen Viren oder Malaria, denn wenn Menschen weniger Virusinfekte bekommen, gehen sie weniger zum Arzt und bekommen weniger Antibiotika. Und als die Impfung gegen Pneumokokken in vielen Ländern eingeführt wurde – das sind Bakterien, die Atemwege und die Lunge befallen –, ist allein dadurch der Anteil der resistenten Stämme gesunken, weil die Impfung vor allem gegen die wirkte. Das zweite Mittel ist, die Krankenhaushygiene sowie die Infrastruktur zu verbessern, vor allem beim Trinkwasser. Drittens muss man darauf hinwirken, dass Antibiotika besser und sachgerecht eingesetzt werden, und die Diagnostik verbessern – also die Gesundheitssysteme stärken. Wenn man diese Probleme nicht in den Griff bekommt, bringen neue Antibiotika wenig. Es sind in den vergangenen Jahren einige entwickelt worden, aber sie sind sehr teuer und genau in den Ländern, in denen man sie braucht, nicht verfügbar. Außerdem möchte man, dass diese Mittel auch richtig eingesetzt werden, und das können schwache Gesundheitssysteme nur schwer sichern. Das alles anzugehen, kostet sehr viel Geld und ist eine Langzeitaufgabe. Wir wissen, was zu tun ist, die meisten Länder haben auch Aktionspläne gegen Antibiotikaresistenz, aber die wenigsten sind ausreichend finanziert.
Welche Schritte sind aus Ihrer Sicht denn am dringendsten?
Keine Intervention wird einzeln zum Erfolg führen. Es wirkt nur im Paket. Wenn wir zum Beispiel nur den Antibiotikagebrauch verbessern, aber nicht die Hygiene und die Wasserversorgung, wird das nicht funktionieren. Und vor allem braucht man eine Stärkung der Gesundheitssysteme. Auch reiche Länder haben zwar Probleme mit Resistenzen, aber das ist für sie besser kontrollierbar, weil sie die Ressourcen dafür haben.
Das Gespräch führte Bernd Ludermann.
Neuen Kommentar hinzufügen