Ehrenamtlich unterwegs für die Gesundheit

Gesundheitsversorgung in Kenia
Die 45-jährige Millicent Miruka engagiert sich als ehrenamtliche Gesundheitshelferin in ihrem Heimatort im Westen von Kenia und klärt bei Hausbesuchen unter anderem über Ernährung und Familienplanung auf. Landesweit gibt es mehr als 100.000 Freiwillige, die ausgleichen, dass die öffentliche Gesundheitsversorgung unterfinanziert und überlastet ist.

Zwei oder drei Haushalte pro Tag besucht die ehrenamtliche Gesundheitshelferin Millicent Miruka. Sie untersucht neugeborene Babys, gibt Familien Tipps und hilft im Notfall auch mitten in der Nacht.

Mit ihrer Tasche über der Schulter, ihrem T-Shirt mit der Aufschrift „Jedes Kind verdient einen 5. Geburtstag“ und einem knielangen schwarzen Rock verlässt Millicent Miruka das Haus. Fünfzig Adressen in den ländlichen Gegenden der Region Migori im Westen von Kenia stehen jeden Monat auf der Besuchsliste der ehrenamtlichen Gesundheitshelferin. Meist versucht sie, zwei oder drei der Haushalte an einem Nachmittag zu besuchen, wenn die Eltern vom Feld oder von der Tagelöhnerarbeit zurück sind und die Kinder aus der Schule. 

Es ist der Schmerz darüber, ein Kind verloren zu haben, der die 45-Jährige antreibt. Sie engagiert sich als ehrenamtliche Gesundheitshelferin in der Gegend, in der sie seit ihrer Hochzeit lebt. Sie erzählt davon, wie sie als frisch verheiratete Frau – gerade 18 Jahre alt – ihr erstes Kind mit Hilfe einer traditionellen Hebamme entband. Nach der Geburt hörte sie nicht auf zu bluten, bis sie in ein Krankenhaus gebracht wurde. Es war knapp für sie und das Kind, beide hatten viel Blut verloren. Wenige Jahre später wurde ihr zweites Kind, als es eineinhalb Jahre alt war, immer schwächer. „In der Gemeinde hieß es, meine Tochter sei verflucht“, erinnert sich Miruka. „Ich behandelte sie mit Kräutern, aber leider ist sie gestorben. Ich wusste nicht, dass sie an Mangelernährung litt.“

Über Ernährung lernte Millicent Miruka mehr, als sie vor zwölf Jahren Teil des „Community Health“-Programms des Gesundheitszentrums in Lwala wurde, das etwa fünf Kilometer von ihrem Zuhause entfernt liegt. 2007 hatten dort die in den USA studierenden Brüder Milton und Eric Ochieng’ angefangen, ihr Heimatdorf zu mobilisieren, um ein Krankenhaus zu bauen. Anwohner spendeten Holz, andere brachten Sand, wieder andere gaben ihre Arbeitszeit.

Nur ein Arzt pro 10.000 Einwohner

Beide Brüder hatten Stipendien für ein Medizinstudium in den USA bekommen, während in ihrer Heimat die Müttersterblichkeit und die HIV-Rate extrem hoch waren. Auch die Eltern der beiden starben an den Folgen von Aids. Deshalb bauten die Brüder nicht nur das Krankenhaus, sondern gleichzeitig ein Netzwerk von ehrenamtlichen Gesundheitshelferinnen und -helfern auf, die in den umliegenden Gemeinden Hausbesuche machen, die Menschen über Ernährung und Familienplanung aufklären, auf Krankheiten testen und sie wenn nötig an die Klinik überweisen – eine davon ist Miruka. Mittlerweile finanziert sich die Arbeit in Lwala über Spenden auch von Prominenten wie dem Musiker Bruce Spring­steen, dazu kommen Gelder von privaten und öffentlichen Institutionen.

Landesweit gibt es mehr als 100.000 Freiwillige, die ausgleichen, dass die öffentliche Gesundheitsversorgung unterfinanziert und überlastet ist. Kenia hat laut der Weltgesundheitsorganisation nur einen Arzt pro 10.000 Einwohner, in Deutschland sind es 45. Oft ist die nächste Klinik kilometerweit entfernt – zu weit, um zu laufen, zu teuer, um ein Motorradtaxi zu nehmen. Das Krankenhaus wird oft erst aufgesucht, wenn es eigentlich schon zu spät ist. 

„Ich will nicht, dass andere Menschen so leiden, wie ich gelitten habe“, erklärt Millicent Miruka ihre Motivation. Mittlerweile entbinden nach Angaben der Organisation Lwala mehr als 95 Prozent der Frauen der Gegend in der Klinik. Der Weg dahin war kein leichter. „Wir entmystifizieren Vorstellungen und Missverständnisse, die in der Gemeinschaft über das öffentliche Krankenversorgungssystem herrschen”, erklärt Miruka. Menschen hätten Angst davor, viel Geld zahlen zu müssen, Medikamente zu bekommen, deren Wirkung sie nicht kennen, oder bei einer Entbindung im Krankenhaus unfruchtbar gemacht zu werden. Auch in bestimmten Religionsgemeinschaften sei die Skepsis gegenüber dem System noch immer groß, erzählt Miruka. In den 1990er Jahren, als in der Gegend viele Menschen an Aids starben, gab es wenig Wissen über die Krankheit und viele Gerüchte. 

Miruka trägt beim Hausbesuch Gesundheitsdaten in eine App ein

Nach einer halben Stunde Fußweg kommt Miruka an diesem Donnerstag bei der Familie von Akinyi und Ogada Oyugi an. Deren sechstes Kind ist eine kleine Tochter, gerade drei Monate alt. Als Erstes überprüft die Gesundheitshelferin das Büchlein, in dem die Besuche im Krankenhaus eingetragen werden. Haben sie alle Vorsorgetermine eingehalten? Ist die Kleine gegen Tuberkulose und Polio geimpft? Die Ergebnisse trägt sie in eine App ein. Aktuell wird die digitale Datensammlung in Kenia vereinheitlicht. Das soll künftig dem Gesundheitsministerium dabei helfen, die Programme besser an die Bedarfe anzupassen. Miruka verwickelt die Eltern in ein Gespräch über das Kind und lässt immer wieder Infos einfließen.

Miruka hat gelernt, wie sie Verdachtsfälle von ernsten bakteriellen Infektionen bei Neugeborenen erkennt. Wenn ein Kind Fieber hat und nicht richtig trinkt, muss es dringend ins Krankenhaus. Für viele in der Region ist Miruka eine Art Ärztin, weil sie Rat weiß, die Verbindung zum Gesundheitssystem ist und Leute ins Krankenhaus verweisen kann. Manchmal melden sich Leute nachts bei ihr, wenn sie nicht weiterwissen und dringend Hilfe brauchen, die Miruka dann organisiert. Sie ist auch Ansprechpartnerin bei Themen wie Familienplanung, über die Menschen oft sonst mit niemandem sprechen können.

Station zu Hause. Miruka hat fünf Kinder und drei Enkel, ihre mittlere Tochter lebt mit ihrem eigenen Sohn bei Miruka. Ihr jüngster Sohn geht noch zur Schule; wie in Kenia üblich ist die weiterführende Schule ein Internat. Sie selbst konnte kein Abitur machen, weil ihr Vater starb und damit kein Geld mehr da war für ihre Schulgebühren. Dabei wäre sie gerne Krankenschwester geworden. Es freut sie besonders, dass ihr ältester Sohn sein Studium zum Medizintechniker beendet hat. Nahe dem Haus hat Miruka ein Feld, auf dem sie Mais und Zuckerrohr anbaut, aus dem Verkauf deckt sie einen Teil der Schulgebühren der Kinder. Mirukas Mann verkauft Rinder und sorgt damit für den finanziellen Unterhalt der Familie. Für ihr Ehrenamt bekommt Miruka etwa 35 Euro im Monat als Aufwandsentschädigung, auch in Kenia ist das nicht viel Geld.

Acht Frauen und ein Mann als Community Health Worker

Später treffen sich die Gesundheitshelferinnen aus dem Umkreis in einer staatlichen Krankenstation. Miruka leitet das Treffen, zu dem acht Frauen und ein Mann kommen. Wie hier sind auch weltweit die Mehrheit der Community Health Volunteers Frauen, etwa 70 Prozent. Dass es mehr Frauen als Männer sind, findet Miruka nicht ungewöhnlich: „Frauen haben viel Erfahrung im Haushalt, weil wir diejenigen sind, die Kinder gebären.“ Die Epidemiologin Catherine Kyobutungi sieht es kritisch, dass die „ausbeuterische Bezahlung“ vor allem Frauen betrifft. „Investitionen in die freiwilligen Gesundheitshelfer sind viel schneller gestiegen als Investitionen in das Gesundheitssystem, weil dies als kostengünstige Methode angesehen wird, etwas zu bewirken“, sagt die Leiterin des African Population and Health Research Center in Nairobi.

Auch John Ochieng, der bei der Organisation Lwala zuständig ist für die ehrenamtlichen Gesundheitshelfer, ist zum Austausch gekommen. Er hat seine erste Frau bei der Geburt ihres Kindes verloren und engagierte sich deswegen als einer der Freiwilligen. Er ist einer der wenigen, der inzwischen einen festen Job im Gesundheitsbereich hat. Denn der Schritt vom Ehrenamt in eine Anstellung ist eigentlich nicht vorgesehen, es gibt keine Möglichkeit der beruflichen Weiterentwicklung, selbst wenn die Helferinnen seit Jahren aktiv im Gesundheitssystem mitarbeiten. 

Millicent Miruka will das ändern. Ein erster Schritt ist getan, 2023 hat die kenianische Regierung die Ehrenamtlichen als Community Health Promoter offiziell zu einem Teil des Gesundheitssystems gemacht, sie mit Handys und einem Rucksack mit Waage, Blutdruck- und Blutzuckermessgerät ausgestattet. Auch die Bezahlung wurde landesweit vereinheitlicht. Doch für Millicent Miruka gibt es weiter viel zu verbessern: „Wir wollen wie andere Gesundheitsarbeiter anerkannt werden.“

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erschienen in Ausgabe 1 / 2025: Abwehrkräfte stärken
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