Mangel und Gewalt – die Bedingungen in kongolesischen Gefängnissen sind laut den Vereinten Nationen desaströs. Und sie verschlechterten sich weiter im ganzen Land, sagt der UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk. Insbesondere in den Haftanstalten, die vom Geheimdienst der Demokratischen Republik Kongo betrieben würden, werde gefoltert und vergewaltigt. Insassen dürften weder zu Anwälten noch Angehörigen Kontakt aufnehmen.
Auch ehemalige Häftlinge berichten in vertraulichen Gesprächen vom Grauen. So erzählt eine Menschenrechtsaktivistin, dass sie die Wärter bestechen musste, um einen Schlafplatz zu erhalten, an dem sie vor sexuellen Übergriffen sicher war. Die Häftlinge nennen solche relativ geschützten Orte „VIP-Zellen“. Sie kosten 500 bis 800 Dollar, zu zahlen bei Ankunft. Die Aktivistin musste ihre Nächte dafür allerdings mit einer verurteilten Mörderin verbringen. Sie selbst war sechs Monate wegen „Aufstachelung zum Aufruhr“ in der ostkongolesischen Provinzhauptstadt Goma inhaftiert.
Wenn Wärter Geld brauchen, konfiszieren sie Mobiltelefone
Untersuchungshäftlinge sitzen in den Gefängnissen zusammen mit verurteilten Kriminellen ein. Nach Angaben des „Institute for Crime & Justice Policy Research“ (ICPR) der Universität London warteten 2022 mindestens 70 Prozent der Gefangenen in kongolesischen Gefängnissen auf eine Anklage oder einen Prozess. Das kann Monate bis Jahre dauern.
Gegen 100 Dollar von der Mutter freigekauft
Dabei erleiden nicht nur Frauen Gewalt. Die Mutter eines jungen Mannes berichtet, dass sie den Wärtern täglich einige Dollar geben musste, damit diese ihren Sohn nicht verprügelten. Er wurde 14 Tage lang festgehalten, weil jemand behauptet hatte, er habe sich an einer Einbruchsserie beteiligt, obwohl er ein Alibi für die Tatzeit hatte. Gegen 100 Dollar konnte die Mutter ihn freikaufen.
Mit Hilfe von Bestechung können sich Häftlinge auch Mobiltelefone ins Gefängnis schmuggeln lassen, um Kontakt zur Außenwelt zu halten. „Wenn die Wärter Geld brauchen, konfiszieren sie die Telefone wieder und verkaufen sie“, erzählt ein Aktivist, der länger als ein Jahr eingesperrt war.
Die Haftanstalten sind völlig überfüllt, weil so viele Menschen willkürlich festgenommen oder wegen kleiner Vergehen inhaftiert werden. Die 142 Gefängnisse im Kongo sind zu 322,8 Prozent belegt. Laut ICPR sind weltweit nur die Gefängnisse in São Tomé und Príncipe, auf den Philippinen, in Uganda, Kambodscha und der Republik Kongo voller. In der Demokratischen Republik Kongo gibt es für die große Zahl Gefangener nicht genug Betten, Wasser, Essen, Strom und medizinische Versorgung. Viele Häftlinge sterben an behandelbaren Krankheiten oder Unterernährung.
Frühzeitige Entlassungen als Mittel gegen Überbelegung
Die Überfüllung führt auch immer wieder zu Tumulten. Anfang September starben bei einem Aufstand im Gefängnis in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa 129 Insassen – die meisten wurden im Gedränge totgetrampelt oder erstickten, 24 wurden von den Sicherheitskräften erschossen. 268 der 348 weiblichen Insassen wurden laut einem internen UN-Bericht, aus dem die Menschenrechtsorganisation HRW zitiert, vergewaltigt. Die Haftanstalt hatten die damaligen belgischen Kolonialherren 1957 für 1.500 Gefangene gebaut. Inzwischen sitzen dort 15.000 Menschen ein.
Als Reaktion auf den Aufstand entließ Justizminister Constant Mutamba 1.685 kranke Häftlinge. Manche mussten direkt ins Krankenhaus gebracht werden. Mit frühzeitigen Entlassungen versucht die Regierung immer wieder, gegen die Überbelegung vorzugehen. Allerdings gibt es das auch in Europa: Anfang September entließen England und Wales insgesamt 1.700 Häftlinge. Die gemeinsame Belegungsrate in den beiden Ländern beträgt 111,4 Prozent.
Internationale Geldgeber wie die EU oder die Vereinten Nationen unterstützen den Kongo seit vielen Jahren, um den Sicherheits- und Justizsektor zu reformieren. Allein der Europäische Entwicklungsfonds finanzierte Projekte von 2007 bis 2014 und von 2006 bis 2020 mit 40 Millionen Euro. Es mangele aber an der Umsetzung und der demokratischen Kontrolle, kritisiert der Bürgerrechtler Stewart Muhindo. So bleibt den Häftlingen nichts anderes übrig, als sich selbst zu helfen. So reparierte ein inhaftierter Aktivist die Stromleitungen im Gefängnis in Goma. Dank der Beleuchtung sank die Zahl der körperlichen Übergriffe. Sein Kollege, ein angehender Arzt, behandelte Mitinsassen – und sogar Wärter.
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