Wenn die Polizei sich selbst im Auge hat

Halbporträt von drei Männern in Uniformen der brasilianischen Militärpolizei im Profil, die Gesicher sind nicht zu erkennen. Der Polizist, der rechts groß im Bild ist, trägt an seiner Weste in Brusthöhe eine Boycam.
Rovena Rosa/Agência Brasil
Ein brasilianischer Polizist mit einer Bodycamera. Seit 2020 gehen Korruptionsbeschwerden gegen Beamte zurück.
Polizeiarbeit in Brasilien
Die Kameras, die brasilianische Polizeibeamte am Körper tragen, haben die Zahl der Korruptions- und Todesfälle verringert; doch geplante Änderungen bei der Videoauf­zeichnung ab 2025 gefährden diese Fortschritte.

Polizeibeamte stiegen im Polizeidistrikt Vila Jacuri am Rande von São Paulo, der größten Stadt Brasiliens, mit einem auf frischer Tat festgenommenen Drogendealer aus ihrem Fahrzeug aus. Doch statt ihn in Untersuchungshaft zu nehmen, verhandelten sie mit ihm: ein minutenlanges Gespräch, dann holte der Kriminelle ein Päckchen aus seiner Tasche und gab es den Polizisten. Er zahlte den Gegenwert von 890 Euro, damit seine Straftat nicht erfasst wurde. All dies geschah im Jahr 2011. 

Einige Monate zuvor, im Polizeidistrikt von Santo André, einer Stadt in der Region São Paulo, gab es einen ähnlichen Vorfall, nur dass der Straftäter mehr Geld hinlegen musste: 8000 Euro, damit die Polizei ihn nicht einsperrte. Diese und 16 weitere Fälle von Polizeikorruption sind angezeigt, untersucht und von den brasilianischen Gerichten geahndet worden, doch das bedeutet nicht, dass solche Fälle seitdem nicht mehr vorkommen. Die Fälle kamen ans Licht, weil eine Abteilung des Justizministeriums die Polizeiarbeit überwacht.  

Die Polizei von São Paulo wurde in einer Umfrage des Justizministeriums aus dem Jahr 2013 (letzte verfügbare Daten) als die zweitkorrupteste des Landes eingestuft, vor ihr lag nur die Polizei von Rio de Janeiro. „Korruption und Polizeigewalt sind Symptome für die Schwäche der öffentlichen Sicherheitsorgane. Es fehlt an Transparenz und effizienter Überwachung“, sagt Daniel Edler, Forscher an der Universität Glasgow und am Zentrum für Gewaltstudien an der Universität von São Paulo. 

Schutz vor Polizeikorruption und falschen Anschuldigungen

Die Regierung des Bundesstaates São Paulo hat seither viele Maßnahmen beschlossen, um Gewalt und Polizeikorruption einzudämmen. Eine Maßnahme hat zu aufsehenerregenden Ergebnissen geführt: Seit 2020 tragen die Polizisten Bodycams an ihren Uniformen, die alle Aktivitäten der Beamten aufzeichnen, eine Unterbrechung der Aufnahmen ist nicht möglich. 

„Die Kameras tragen zu mehr Transparenz bei und liefern Beweise, insbesondere wenn ein Straftäter in flagranti erwischt und festgenommen wird. Aber sie waren auch mit anderen Investitionen zur Verbesserung der Polizeiarbeit verbunden, etwa mit Untersuchungskommissionen und dem Einsatz von nicht tödlichen Waffen“, sagt Edler. „Kameras schützen gute Polizisten vor falschen Anschuldigungen und auch vor Anschlagsversuchen, da Straftäter leichter verfolgt werden können.“

Autorin

Sarah Fernandes

ist Journalistin und Geografin in Brasilien. Sie berichtet über Menschenrechte und entwicklungspolitische Themen in Lateinamerika und Asien.

Die Zahlen sprechen für sich. Im Jahr 2019, dem letzten Jahr ohne Bodycams, registrierte die Behörde für innere Angelegenheiten und Ombudsstelle der Militärpolizei von São Paulo 273 Korruptionsbeschwerden, an denen Beamte dieser Polizeieinheit beteiligt waren. Im Jahr 2022, mit dem Einsatz der Kameras, sank die Zahl auf 132. 

„Kameras sind Instrumente der Aufsicht über die Polizei bei allen Formen des Machtmissbrauchs“, sagt Carolina Diniz, Koordinatorin des Programms zur Bekämpfung institutioneller Gewalt bei der Organisation Conectas Human Rights. „An vielen Orten der Welt will die Polizei Kameras einsetzen, weil sie damit ihre Darstellung von Vorfällen belegen kann.“ Doch manche Polizisten in Brasilien wehren sich dagegen. 

12.000 Kameras werden 2025 ersetzt

Trotz aller Argumente und Beweise für die Wirksamkeit von Bodycams wird es ab 2025 Änderungen geben. Der Gouverneur von São Paulo, Tarcísio de Freitas, wird Geräte, die sich automatisch einschalten, durch neue Modelle ersetzen, bei denen der Polizeibeamte die Aufnahme starten muss. 

Der neue Vertrag mit der Firma Motorola ist bereits unterzeichnet. 12.000 Kameras werden also 2025 ersetzt. Die Regierung von São Paulo begründete dies mit den hohen Kosten für die Wartung der Server bei automatischer Aufzeichnung und mit den Schwierigkeiten bei der Verarbeitung einer so umfangreichen Datenmenge. „Im Bereich der öffentlichen Sicherheit lassen sich gut KI-Systeme nutzen, um Bilder auszuwählen, sie auszuwerten und die Datenspeicherung und -verwaltung zu optimieren. In solche Systeme sollten wir investieren und nicht in andere Kameras“, betont Carolina Diniz. Denn die sieht sie kritisch: „Im Falle von Korruption oder unverhältnismäßiger Gewaltanwendung kann es sein, dass der Beamte einfach nicht aufzeichnet. Wie kann man da die Integrität seines Handelns garantieren?“

„Jeder in Bodycams investierte Dollar hilft Kosten sparen“

Seit den Gouverneurswahlen in São Paulo im Jahr 2022 ist der Einsatz von Bodycams Gegenstand politischer Diskussionen: Linke Kandidaten verteidigen ihn, Politiker der Mitte und des rechten Flügels lehnen die Ausrüstung mit dieser Technik ab. Der Gouverneur Tarcísio de Freitas, ein Verbündeter des Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro, behauptet, dass die Kamera „den Polizisten behindert“. „Die Annahme, dass die Kameras die Polizei blockieren und die Kriminalität zunehmen wird, ist nicht bewiesen“, sagt hingegen Forscher Edler. „In einigen Fällen erhöht ihr Einsatz sogar die Effizienz der Polizei. Studien zeigen, dass jeder Dollar, der in Bodycams investiert wird, Kosten sparen hilft – die Fälle von Gewaltanwendung durch Polizeibeamte gehen zurück – und damit auch die Kosten für Gerichtsverfahren und medizinische Behandlungen.“ 

Die Ausrüstung mit Bodycams  zeigt, dass sich Korruption und Polizeigewalt verringern lassen. Nun ist die Frage, ob diese Politik fortgesetzt wird oder nicht. Inzwischen warten die Einwohner von São Paulo, die täglich mit der Gewalt leben müssen, auf eine Antwort.

Aus dem Englischen von Anja Ruf.

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erschienen in Ausgabe 6 / 2024: Wo Macht sich kaufen lässt
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