Piwas Leben steckte in einer Sackgasse: Als Jugendlicher war er in die Fänge krimineller Banden in El Salvador geraten und im Jahr 2000 wegen Mord zu 15 Jahren Haft verurteilt worden. Doch dann entdeckte er die Religion. Im Gefängnis schloss er sich einer evangelikalen Freikirche an. 2013 kam er vorzeitig wegen guter Führung auf freien Fuß. Nach seiner Entlassung eröffnete „Piwa“ – mit bürgerlichem Namen Marvin Adaly Ramos – einen Handel mit importierten Gebrauchtwagen, ließ sich zum Pastor der Freikirche Torre Fuerte (Starker Turm) weihen, war ehrenamtlich als Gefängnisseelsorger tätig und als Berater der Stadtverwaltung von San Salvador für Gewaltprävention. Es war offenbar eine Erfolgsgeschichte in dem von Gewalt so zerrütteten mittelamerikanischen Land.
Doch dann kamen ihm die Ermittler auf die Schliche: 2016 nahmen sie ihn erneut fest und stellten Bargeld, Immobilien und Waffen sicher. Seine Bankkonten und Firmen wurden beschlagnahmt. Insgesamt belief sich Ramos Vermögen auf mehrere Millionen US-Dollar. In der Anklageschrift heißt es, der heute 40-Jährige habe die Religion als Tarnung benutzt, um Gelder der kriminellen Bande Mara Salvatrucha zu waschen. Den Dokumenten und Telefonmitschnitten zufolge nutzte er seine Rolle als Gefängnispastor, um Botschaften zwischen inhaftierten Bandenchefs und deren Helfershelfern auszutauschen. Außerdem habe er die Finanzen der Bande verwaltet. Mit Hilfe von falschen Papieren und Strohmännern soll er ein komplexes Netzwerk legaler Geschäfte – darunter Restaurants, Bordelle, Werkstätten, Bus- und Taxiunternehmen – aufgebaut haben, um Einnahmen der Bande aus Erpressung und Drogenhandel zu waschen.
War Ramos ein besonders gerissenes, schwarzes Schaf? Oder ist sein Fall exemplarisch für eine lateinamerikanische Entwicklung, in der sich Religion und Unterwelt immer mehr verquicken? Anhänger der Freikirchen wiegeln bei solch unbequemen Fragen gerne ab und sprechen von Einzelfällen, die viel Medienecho auslösen. Das mag in der Menge stimmen – von den Zehntausenden Freikirchen Lateinamerikas und den Millionen Predigern sind bislang nur wenige ins Visier der Ermittler geraten. Doch die Fälle häufen sich, da sind sich Experten und Journalisten wie Asier Andrés einig. Er hat das Thema für die Gruppe Lateinamerikanischer Investigativjournalisten (CLIP) in Guatemala recherchiert. „Erst fand ich anekdotische Einzelfälle, dann strukturelle Mängel bei der Strafverfolgung und wenig Interesse von Banken und Politikern“, erzählt er „welt-sichten“. „Das legt nahe, dass das Phänomen noch viel größer ist.“ Die spanische Zeitung „El País“ schreibt gar von einer „Narco-Pfingstkirchenbewegung“ in Lateinamerika.
Für die Häftlinge bringt eine Bekehrung Vorteile
Sicherheitsexperte Robert Muggah vom brasilianischen Think-Tank Igarapé spricht von einer „Gefängnis-Kirchen-Pipeline“. Während in den 1980er und 1990er Jahren noch die Mehrzahl der brasilianischen Drogenbosse afrobrasilianischen Kulten huldigten, seien in Rio de Janeiro heute 81 der 100 in Gefängnissen tätigen Sozialorganisationen evangelikal, hat er festgestellt. Entsprechend habe die Zahl der sich zu Freikirchen bekennenden Drogenbosse zugenommen.
Das hat mit der aggressiven Missionsarbeit der Freikirchen in Haftanstalten zu tun – die sich nicht auf Brasilien beschränkt, sondern in ganz Lateinamerika verbreitet ist. Für die Häftlinge bringt eine Bekehrung Vorteile: Oft werden den inhaftierten Pfingstkirchlern, die sich einer strikten, fast klösterlichen Disziplin unterwerfen müssen, besser ausgestattete und sicherere Zellen zugewiesen. Offizielle Begründung für diese Sonderbehandlung ist, dass diese Häftlinge sonst Gefahr laufen, von den anderen, gefährlichen und gewalttätigen Kriminellen diskriminiert oder angeworben zu werden. Auch nach der Entlassung, so Muggah, seien die religiösen Netzwerke nützlich: entweder, um den Neuanfang außerhalb des Drogenmilieus zu wagen (in Mittelamerika ist der Eintritt in eine Kirche das einzige Argument, das die Banden als „Entlassungsgrund“ akzeptieren, wenn Mitglieder aussteigen wollen) oder – und das ist die Kehrseite der Medaille – um die eigene Machtposition im Drogengeschäft zu festigen und mit Hilfe der Kirche eine soziale Kontrolle über die Bevölkerung auszuüben.
Autorin
Sandra Weiss
ist Politologin und freie Journalistin in Mexiko-Stadt. Sie berichtet für deutschsprachige Zeitungen und Rundfunksender aus Lateinamerika.Der Boss der kriminellen Organisation Terceiro Comando Puro gründete 2019 in Brasilien eine eigene evangelikale Kirche namens „Jesus Straßenbahn“. Sie wusch nicht nur Drogengelder, sondern trat auch eine fanatische Hexenjagd auf katholische und afrobrasilianische Gläubige und Priester los, weil der fanatische Chef der Drogenbande das für seine missionarische Pflicht hielt. Auch die Freikirche Torre Fuerte, der Ramos angehört und die mehrere Ableger in Mittelamerika hat, steht unter Verdacht, hauptsächlich zum Ziel der Geldwäsche gegründet worden zu sein. In Guatemala spielte sie jedenfalls eine Schlüsselrolle im Drogenimperium des inzwischen festgenommenen Paten Juan Ortiz alias Chamalé.
Die Behörden prüfen die Bilanzen von Kirchen kaum
„Kirchen sind ein ideales Vehikel, um Schwarzgeld zu waschen“, sagt der kolumbianische Anwalt Iván Velásquez im Interview mit „welt-sichten“. Er ist auf organisierte Kriminalität spezialisiert und hat in Kolumbien und Guatemala korrupte Netzwerke im Sumpf zwischen Politik, Mafia und Wirtschaft vor Gericht gebracht. Auf Kirchen stieß er dabei immer wieder. „In vielen Ländern Lateinamerikas genießen sie wegen der Religionsfreiheit Privilegien“, sagt er. Weil sie von Steuern befreit seien, prüften die Behörden ihre Bilanzen kaum. Erst seit kurzem unterliegen Kirchen in Guatemala Argentinien und Uruguay den jeweiligen Gesetzen gegen Geldwäsche und müssen ihre Geldflüsse offenlegen. Zumindest theoretisch. In Guatemala kommen nur 156 von über 3000 Freikirchen dieser Verpflichtung nach, hat der Investigativjournalist Asier herausgefunden.
In vielen Ländern Lateinamerikas ist es einfacher, eine Kirche zu gründen als ein Geschäft aufzumachen, sagt Asier. Die Dominikanische Republik zum Beispiel verlangt von Predigern nicht einmal ein Zertifikat etwa über Bibelstudien oder Studiennachweise. Oft müssen sich Kirchen nur dann bei der Steuerbehörde registrieren, wenn sie steuerlich relevante Spendenbescheinigungen an ihre Gläubiger ausstellen wollen. Hinzu kommt, dass einige Pfingstkirchen international tätig sind – und zwar nicht nur seelsorgerisch, sondern auch unternehmerisch. Besonders die großen Freikirchen in Brasilien haben Imperien aufgebaut, in denen sich (steuerfreie) Religion und (steuerpflichtiger) Kommerz nur schwer trennen lassen. Ein Beispiel dafür ist das von der Kirche geführte Medienimperium „Rede Record“ der Igreja Universal do Reino de Deus (Universalkirche Gottes), welches mit dem bislang größten privatwirtschaftlichen Medienkonzern „Globo“ um die Marktführerschaft streitet.
Ermittler stellt diese Verquickung vor Probleme. Die Justizbehörden in Lateinamerika sind personell, finanziell und technisch selten auf dem neuesten Stand. Auch die Bürokratie stellt ihnen oft ein Bein. „Die Staatsanwaltschaften für Drogen und die für Geldwäsche arbeiten getrennt“, sagt Asier. „So ist es schwierig, Verknüpfungen herzustellen.“ Die Banken, die eigentlich verdächtige Geldbewegungen melden müssten, sind darauf nicht sehr erpicht. Zumal es schwierig ist, bei einer Kirche die Glaubwürdigkeit der Sonntagskollekte zu überprüfen. „Die Bankenaufsichtsbehörde in Guatemala hat kein einziges Mal eine Kirche als verdächtig gemeldet“, so Asier.
Illegale Aktivitäten ohne Folgen
Es ist schon schwierig, den Überblick über die Kirchen zu behalten. In Guatemala mit seinen 16 Millionen Einwohnern sind über 3000 evangelikale Kirchen registriert. In Brasilien sind es 25.000, doppelt so viele wie vor 15 Jahren, in Argentinien 6330. Nimmt sich trotzdem einmal eine Ermittlungsbehörde die kirchlichen Finanzen vor, wird es schnell brenzlig. Denn viele der charismatischen Prediger können im Handumdrehen ihre Medien, teure Anwälte und Tausende Anhänger mobilisieren. Das Argument lautet dann meistens „Schutz der Religionsfreiheit“. Auch Gegenklagen wegen Verleumdung und Diskreditierung drohen den Justizbeamten und den Medien, die über dieses Thema berichten.
Zusätzlich können die Pastoren oft auf politische Verstärkung zählen. Denn viele Kirchen finanzieren politische Kampagnen oder entsenden inzwischen selbst Abgeordnete in die Politik. In Brasilien kontrolliert die sogenannte „Bibelfraktion“ 85 der 513 Parlamentssitze. „In Mittelamerika ist eine Wahl ohne Unterstützung der evangelikalen Bewegung kaum zu gewinnen“, sagt Asier. Auch in Peru, Kolumbien, Mexiko und selbst in traditionell laizistischen Ländern wie Uruguay sind pfingstkirchliche Politiker auf dem Vormarsch. Sie sehen sich als Verteidiger einer wertkonservativen, gesellschaftlichen Agenda. Es geht ihnen aber auch um die Verteidigung von Privilegien wie der Steuerbefreiung.
Geldwäscheprozesse gegen Prediger verlaufen im Sande
Werden Kirchen oder Pastoren bei illegalen Aktivitäten erwischt, hat dies selten Folgen. Der „Löwenbrüller“ Cedeño war schon lange vor seiner Verurteilung mit über 100.000 US-Dollar in bar in einer Polizeikontrolle festgenommen worden. Es reichte ein Anruf beim Polizeichef und ein Hinweis auf Spendengelder, um wieder freizukommen. Einer der prominentesten evangelikalen Prediger, Edir Macedo, Gründer der brasilianischen Universalkirche, konnte in seiner Heimat immer wieder Geldwäscheprozesse abschmettern, weil er so ein gutes Netzwerk hat. In Guatemala, wo in den vergangenen Jahren dank der vor zwei Jahren von der Regierung abservierten UN-Kommission gegen Straffreiheit unter Anwalt Velásquez große Fortschritte gemacht worden waren, demontieren kriminell vorbelastete Parlamentarier gerade die Staatsanwaltschaft. Das heißt, es werden fähige Antikorruptionsrichter und -staatsanwälte unter fadenscheinigen Vorwänden vom Parlament abgesetzt und durch der Politmafia gehorsame ersetzt. Geldwäscheprozesse etwa gegen den Prediger Cash Luna von der Casa de Dios, der seine Kirchenbauten von einer Drogenpatin finanzieren ließ, verlaufen im Sande.
Anderswo gibt es Hoffnung: Sowohl in Argentinien als auch in Mexiko ziehen die Regierungen die Zügel an. Argentinien zum Beispiel eröffnete im August 2020 ein Ermittlungsverfahren wegen Geldwäsche gegen den dortigen Ableger der Igreja Universal. In Mexiko fror eine Einheit der Sonderstaatsanwaltschaft zur Bekämpfung von Geldwäsche Konten der Kirche Luz del Mundo ein, deren Gründer Naasón García 2019 in Kalifornien festgenommen wurde – nicht wegen Geldwäsche, sondern wegen Pornografie und sexuellen Missbrauchs von Kindern.
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