„In Baku sitzen nicht die am Tisch, deren Stimmen wir hören müssen“

Debt for Climate
Rund 200 Aktivistinnen und Aktivisten waren Anfang November bei der alternativen Klimakonferenz Anti-COP im mexikanischen Oaxaca dabei. Zum Abschluss gab es eine Demonstration durch die Stadt.
Klimaschutz
In der Hauptstadt von Aserbaidschan läuft die UN-Klimakonferenz COP 29. Bereits vergangene Woche haben sich im mexikanischen Oaxaca Aktivistinnen und Aktivisten aus aller Welt zu einer Anti-COP getroffen. Charlotte Kehre von der Organisation Debt for Climate erklärt im Interview, was es damit auf sich hat.

Charlotte Kehre ist Pressesprecherin für Debt for Climate. Die globale Bewegung fordert eine bedingungslose Schuldenstreichung für die Staaten des Globalen Südens.

Worum ging es bei der Anti-COP und wer hat teilgenommen?
Die Anti-COP in Mexiko fand dieses Jahr das erste Mal in dieser Form statt. Letztes Jahr gab es bereits eine Alternativveranstaltung in Kolumbien zur UN-Klimakonferenz in Dubai, die hieß Boycott COP 28. Die Anti-COP steht unter dem Motto „Globales Treffen für Klima und Leben“. Sie wurde organisiert von Indigenen- und Menschenrechtsbewegungen aus allen Weltregionen, vor allem aus Mexiko. Es ging darum, Aktivistinnen und Aktivisten aus aller Welt zusammenzubringen, die an den Fronten der Klimakrise und gegen Megaprojekte etwa im Bergbau kämpfen. Es gab mehr als 190 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus 30 Ländern, die meisten aus Lateinamerika, aber auch aus Afrika und von karibischen und pazifischen Inselstaaten.

Welche Themen wurden diskutiert?
Es ging um Megaprojekte wie den Rohstoffabbau, aber auch die Tourismusindustrie auf den karibischen Inseln, die die Lebensgrundlagen von Menschen zerstören. Weitere Themen waren Migration und Vertreibung und die globale Wasserkrise, also die Privatisierung und die Verschmutzung von Wasser. Außerdem ging es um die Kommerzialisierung des Lebens, also darum, dass immer mehr Lebensgrundlagen als Waren auf dem kapitalistischen Markt gehandelt werden. Ein Beispiel ist die Spekulation auf Nahrungsmittel. Zu all diesen Themen gab es Arbeitsgruppen, dann wurden die Ergebnisse zusammengetragen. Darüber hinaus ging es darum, dass die Menschen sich austauschen, die in diesen Bereichen kämpfen. Die indigene Gemeinschaft El Bosque im mexikanischen Bundesstaat Tabasco etwa wurde vom steigenden Meeresspiegel von ihrem Land vertrieben. Hier ging es darum, Verbindungen zu Gemeinschaften etwa auf den pazifischen und karibischen Inseln zu knüpfen, die ähnlich betroffen sind, um Taktiken und Strategien auszutauschen. 

Mit welchem Ergebnis ist die Konferenz zu Ende gegangen?
Es gibt eine Erklärung, zum Abschluss gab es auch eine Demonstration mit Kundgebung in Oaxaca. Die ganze Woche fanden außerdem in der Stadt öffentliche Seminare zu den Themen der Konferenz statt. In der Abschlusserklärung wird unter anderem festgehalten, dass wir uns weiter treffen und zusammen arbeiten wollen.

Haben die Organisatoren überlegt, die Anti-COP am Rande der UN-Klimakonferenz in Baku stattfinden zu lassen, um mehr Aufmerksamkeit zu bekommen?
Nein, wir wollten ja nicht nur eine Protestveranstaltung zur offiziellen COP, sondern eine eigenständige Alternative, die dort stattfindet, wo es Kämpfe und Strukturen gibt, an die wir anknüpfen können. Die Konferenz fand statt bei einer Organisation in Oaxaca, die sich für die Menschenrechte von Indigenen einsetzt. Zugleich ging es uns darum zu zeigen, dass Aserbaidschan ein Land ist, dass immer noch stark abhängig von fossilen Energien ist. Wir sind nicht in Baku, weil wir der Ansicht sind, dass Aserbaidschan kein geeignetes Land für eine UN-Klimaschutzkonferenz ist.

Viele zivilgesellschaftliche Organisationen und Klimaschutzaktivisten nehmen trotzdem an der Konferenz in Baku teil. Ist das die falsche Entscheidung?
Nein, es ist auf jeden Fall richtig, wenn Aktivistinnen und Aktivisten zur offiziellen COP fahren. Auch dort gibt es Möglichkeiten der Vernetzung. Einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Anti-COP sind im Anschluss auch zur Konferenz nach Baku geflogen. Wenn man die Chance hat, dort die Stimme zu erheben, dann sollte man das auf jeden Fall tun. Uns wurde allerdings auch erzählt, dass es sehr schwierig sei, dort in Veranstaltungen reinzukommen. Deshalb brauchen wir auf jeden Fall alternative Konferenzen.

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Was läuft bei den UN-Klimaschutzkonferenzen falsch?
Dort sitzen nicht die am Tisch, deren Stimmen wir hören müssen – nicht die Menschen, die von der Klimakrise unmittelbar betroffen sind und die zum Teil ja schon Lösungen gefunden haben. Hier bei uns waren zum Beispiel Leute von der Karibikinsel Aruba, die immer noch zum Königreich der Niederlande gehört und auf der UN-Klimaschutzkonferenz von der niederländischen Regierung vertreten werden. Wir wollten aber nicht die Stimme der Niederlande, sondern die Menschen von dort hören. Wir wollten, dass die am Tisch sitzen, die sich schon Jahrhunderte gegen Kapitalismus und Kolonialismus wehren und sagen, was sie brauchen und wie wir uns gemeinsam organisieren. Auf den offiziellen COPs hingegen werden Interessen von fossilen Staaten und Unternehmen besprochen. Ein Beispiel ist die geplante Ölpipeline EACOP in Ostafrika, die einmal die längste beheizte Pipeline der Welt sein soll. Bei uns waren Menschen, die sich dagegen organisieren und die erzählt haben, dass das Projekt bei der COP in Baku als Projekt verkauft wird, das Entwicklung und Zugang zu Energie ermöglicht. Tatsächlich aber werden Menschen vertrieben und Menschenrechte verletzt.

Warum geht es mit dem Klimaschutz nur so schleppend voran? Was müsste getan werden?
Unsere Organisation Debt for Climate fordert eine bedingungslose Schuldenstreichung für Staaten des globalen Südens. Das würde es ihnen ermöglichen, Geld in Klimaschutz und in die Anpassung an die Folgen des Klimawandels zu investieren, weil sie es nicht mehr für den Schuldendienst ausgeben müssten. Das könnte sie auch aus dem Teufelskreis des Extraktivismus führen: Sie müssten nicht mehr ihre Rohstoffe exportieren, um ihre Schulden abzubezahlen. Darüber wird auf den UN-Klimakonferenzen viel zu wenig gesprochen. Es fehlt weiterhin das Bewusstsein, wer eigentlich wem etwas schuldet und welche Verantwortung die industrialisierten Staaten des globalen Nordens haben. Zugleich betreiben Institutionen wie der IWF und die Weltbank Greenwashing und behaupten, sie täten etwas für den Klimaschutz, was aber nicht stimmt. Es geht um Investitionen in grüne Energien, die aber in vielen Fällen zu Vertreibung und Menschenrechtsverletzungen führen.

Aber ohne grüne Energie geht es auch nicht, oder?
Nein, aber wir müssen schauen, wo investiert wird, wer davon betroffen ist und wer profitiert. Und wir müssen darüber reden, wofür wir Energie brauchen und wie wir unseren Verbrauch reduzieren können. Das ist eine Frage, die der globale Norden sich stellen muss. Im globalen Süden geht es erst einmal darum, Energiezugang für alle zu schaffen.

Sollte eine Entschuldung an die Bedingung geknüpft werden, dass das Geld wirklich für Klimaschutz ausgegeben wird?
Nein, uns geht es um eine bedingungslose Entschuldung, weil wir keine kolonialen Machtmuster fortsetzen wollen. Letztlich hat das Entwicklungsmodell des globalen Nordens uns in die multiplen Krisen geführt, in denen wir uns gerade befinden. Wir wollen Selbstbestimmung für die Staaten des globalen Südens. Dort gibt es starke soziale Graswurzelbewegungen, die Druck auf Regierungen ausüben können, das Geld in Klimaschutz und Anpassung zu investieren. 

Aber in vielen Ländern im globalen Süden wird der Handlungsspielraum sozialer Organisationen und Initiativen doch zunehmend beschränkt – Stichwort „shrinking space“?
Das stimmt, Aktivistinnen und Aktivisten im globalen Süden sehen sich ganz anderen Bedrohungen ausgesetzt als im globalen Norden. Hier ist Aktivismus lebensgefährlich. Trotzdem ist Mobilisierung möglich. Das haben wir in Kenia bei den Protesten gegen neue Steuergesetze gesehen.

Das Gespräch führte Tillmann Elliesen.

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Heute ist es weniger denn je angebracht, die Länder des Globalen Südens über einen Kamm zu scheren. Warum sollten Deutschland/die EU z.B. der zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt und dem größten Co2 Emittenten China die Schulden erlassen??? Was würde damit erreicht? Auch ist darauf zu achten, dass Partnerländer mit einer soliden Haushaltsführung, von den es im Globalen Süden auch nicht wenige gibt, nicht de facto gegenüber Ländern benachteiligt werden, die sehr unverantwortlich mit öffentlichen Finanzen umgegangen sind und z.B. viel Geld in unproduktive Prestigeprojekte versenkt haben. Von daher müssen Entschuldungen von Fall zu Fall verhandelt werden, wobei es dafür allerdings einheitliche internationale Regelungen geben sollte.
Im Übrigens ist es auch kein Teufelswerk, an Länder des globalen Südens verzinsliche Kredite für Investitionen in Erneuerbare Energien zu geben. Nehmen wir das Beispiel Tchad. Trotz eigener Ölquellen beruht ein Großteil der Energieversorgung des Tchad noch immer auf Dieselkraftwerken, die ihren Dieselbedarf importieren. Wenn diese fossile Energieversorgung z.B. durch kreditfinanzierte Solarkraftwerke ersetzt würde, würden alle gewinnen: das Klima, der Tchad der viel mehr Devisen einsparen würde als er dann für Zinsen ausgeben müsste, und natürlich auch Investoren und Kreditgeber.
Das simple Schwarz-Weiß Denken von Frau Kehre hilft nicht ansatzweise weiter.

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