Politik mit dem Feuer

Ein Mann mit Hut spritzt Wasser in einer verkohlten Grube im Wald.
REUTERS/Ipa Ibanez
Nach einem Waldbrand versuchen in Bolivien im September Mitglieder einer lokalen Gemeinde mit einfachen Mitteln, Glutnester zu löschen.
Bolivien
Im Tiefland Boliviens haben dieses Jahr mehr Wald- und Savannenflächen gebrannt als je zuvor. Die Regierung lässt neues Agrarland erschließen – oft auf Kosten von Indigenen und Naturschutzgebieten.

Etwa elf Millionen Hektar Land sind in diesem Jahr in Bolivien Bränden zum Opfer gefallen. Das ist mehr als die Fläche von Bayern und Baden-Württemberg zusammen und mehr als in irgendeinem Jahr zuvor. Rund 60 Prozent davon waren Wälder, auch Urwald; der Rest sind Gras- und Weideflächen oder bereits zuvor angelegte Felder, sagt der Soziologe Erwin Melgar.

Die Brände sind nicht einfach ein Naturereignis. Viele werden gelegt, um neues Agrarland zu gewinnen, und die Regierung leistet dem Vorschub, weil sie die Landwirtschaft, besonders den großflächigen Zuckerrohr-, Fleisch- und Sojaanbau, und damit die Exporteinnahmen ausweiten will. Meist geht das auf Kosten indigener Völker. Erwin Melgar hat Satellitenaufnahmen, Daten der Agrarreform- und der Forstbehörde sowie Daten privater Organisationen ausgewertet. Danach wurden zwei Drittel der Brandschäden dieses Jahr im Departement Santa Cruz angerichtet, das im Tiefland liegt und über ein Drittel der Landesfläche und den Großteil der Wälder und Savannen umfasst.

Lange auf Selbsthilfe angewiesen

Die Regierung zögerte lange, wegen der Feuer den nationalen Notstand auszurufen und um internationale Hilfe zu bitten. Das für Katastrophenschutz zuständige Vizeministerium, das Teil des Verteidigungsministeriums ist, wies noch im Juli einen Hilferuf von Melgar mit der lapidaren Antwort ab, es sei kein Geld da. So weiteten sich die Feuer unter anderem in Santa Cruz immer weiter aus.

„Erst nach massivem öffentlichem Druck hat die Regierung Unterstützung mit Feuerwehrleuten und Geräten geschickt“, sagt Melgar – jedoch zu wenig. „So wurden vor Ort privat Suppenküchen organisiert, um die Feuerwehrleute zu versorgen. In den Städten wurden an Ampeln Spenden gesammelt. Der private Fernsehkanal Red Uno organisierte eine landesweite Sammlung. Selbst aus Potosí und Oruro haben wir drei Lastwagen mit Wasser, Geräten und Lebensmitteln geschickt bekommen“, berichtet Melgar. Am 8. Oktober dann, kurz vor dem Einsetzen der Regenzeit, gab Präsident Luis Arce Catacora grünes Licht für kostspielige große Löscheinsätze mit Flugzeugen.

Am 22. Oktober ist Melgar gerade von einem Einsatz im indigenen Territorium Monte Verde zurück, das nordöstlich der Tieflandmetropole Santa Cruz liegt. Die Mehrzahl der Waldbrände sei inzwischen gelöscht, vor allem vom Regen, sagt er. „Wir atmen wieder frischere Luft und haben die Menschen, die vor dem Feuer in Gemeinschaftsunterkünfte oder zu Privatleuten in das Städtchen Concepción geflohen waren, bei der Rückkehr begleitet. Wir haben ihnen Kleidung, Küchengerät und Nahrungsmittel übergeben. Auch Baumaterial, damit sie kleine Hütten errichten können. Allein in dem Dorf Macanaté haben die 60 Familien durch das Feuer alles verloren. Die Dächer sind aus Palmblättern, die Pfosten aus Holz. Das gerät schnell in Brand“, so Melgar.

Den Klimawandel und die globale Umweltkrise nennt Eulogio Nuñez, der Direktor der Agrarreformbehörde, als Ursachen der Feuerkatastrophe. Sie hätten zu vermehrter Dürre in Bolivien und zum Austrocknen von Wasserquellen geführt. Aber ein wichtiger Faktor für die Dürre und die geringe Widerstandsfähigkeit ist die Abholzung im Land selbst. Bolivien steht an dritter Stelle der Länder weltweit, in denen am meisten Tropenwald verschwindet.

Der Klimawandel ist es nicht allein

Für Erwin Melgar sind die Regierung, auch die Agrarreformbehörde, dafür mitverantwortlich: „Sie schicken Siedler in indigene Territorien, auf Staatsland oder in Naturschutzgebiete, um dort Feuer zu legen. Kaum ist der Brand erloschen, machen die Siedler aus den Baumresten Holzkohle, verkaufen sie und beginnen, das Land unter sich aufzuteilen. Häufig haben sie da bereits die Genehmigung der Agrarreformbehörde zur Ansiedlung.“

Oft wird so das Land von Indigenen beschlagnahmt: „In Monte Verde haben die alteingesessenen Chiquitano-Gemeinden schon vor vielen Jahren Titel für Teile ihres Landes beantragt, deren Besitz rechtlich noch ungeklärt ist. Das wurde immer mit dem Argument abgelehnt, es handele sich um Staatsland, das nicht für Landwirtschaft geeignet sei“, berichtet Melgar. Aber manche Siedler haben Landtitel für angestammtes Land der Chiquitano bekommen – einige haben die Melgar gezeigt –, obwohl nach dem Gesetz die ansässige Bevölkerung Vorrang haben muss.

Die Polizei sieht den Brandstiftern zu 

„Als die Siedler Macanaté in Brand gesetzt haben, hat die Polizei nur zugeschaut“, so Melgar. „Kaum hatten wir mit freiwilligen Feuerwehrleuten auf der einen Seite gelöscht, legte eine etwa dreißig Kopf starke Gruppe von bewaffneten und vermummten Siedlern auf der anderen Seite mit Benzin schon ein neues Feuer. Nicht einmal mit den 80-Jährigen und den Kleinkindern hatten sie Mitleid. Wir mussten darum kämpfen, dass sie uns wenigstens entkommen ließen. Keiner der Brandstifter wurde von der Polizei festgenommen.“ Bis zum nächsten Jahr würden die Bewohner von Macanaté jetzt wohl in Ruhe gelassen, hofft Melgar, der beim jüngsten Besuch in Macanaté einen Vertreter der Regionalregierung als Zeugen mitgebracht hatte – zum Schutz der Chiquitano vor den Siedlern.

Autor

Peter Strack

ist Soziologe und schreibt regelmäßig für den latin@rama-Blog der taz sowie die Zeitschrift ila.
 

In Monteverde geht es den Siedlern, die sich im indigenen Territorium breitmachen, auch darum, den Kokainhandel zu schützen. Dagegen würden in der südwestlich davon gelegenen Provinz Guarayos Brände vor allem gelegt, um neue Flächen für Zuckerrohr, Reis- oder Sojaanbau zu gewinnen. Denn das Land in diesen schon länger kolonisierten Gebieten nördlich der Metropole Santa Cruz wird knapp und ist häufig erodiert. „Siedler haben mir berichtet, dass sie von großen Agrarbetrieben Unterstützung für die Besetzungen bekommen, um ihnen das Land später abzukaufen. Die Unternehmer fügen dann die verschiedenen Parzellen zusammen. Das sind dann nicht mehr fünfzig, sondern zusammen Tausende Hektar, die industriell bewirtschaftet werden.“

Wald roden ist ein Ziel der Regierung

Jährlich Hunderttausende Hektar neue Agrarflächen zu gewinnen, ist ein erklärtes Ziel der Regierungspolitik. Dies geht vor allem auf Kosten der Naturschutzgebiete, aber auch der indigenen Territorien, beklagt die nichtstaatliche Organisation Fundación Tierra. Für neue Monokulturen habe die Forstbehörde Agrargroßbetrieben großflächige Abholzungen erlaubt. Viele dieser Unternehmen seien im Besitz von Regierungsanhängern, ergänzt Melgar.

Selbst Boliviens Vizepräsident David Choquehuanca hat Ende 2023 auf einer gemeinsamen Veranstaltung seines Hauses mit der Friedrich-Ebert-Stiftung die Viehzüchter und Agrargroßbetriebe als Hauptverantwortliche der jährlich wiederkehrenden Waldbrände bezeichnet. Er kündigte dort an, die Unternehmen zu verklagen oder ihnen das Land wegzunehmen. Doch so etwas ist kaum geschehen. Schließlich will die Regierung mittels Ausweitung der Agrarflächen und Exporte steigern und den Devisenmangel lindern. Dabei verbrauchen die Subventionen für importierte Treibstoffe für die Produktion von Fleisch oder Soja selbst Devisen. 

Dass vor allem Zuckerrohr-, Soja- und Fleischproduktion zum Verlust der Wälder in Bolivien führen, hat Stanislaw Czaplicki Cabezas in einer von der Organisation Action Aid herausgegebenen Studie von 2024 bestätigt. Danach ist von 2012 bis 2022 die Summe der jährlichen Kredite, die der Staat und Privatbanken an den Agrarsektor geben, von 852 Millionen auf 3,6 Milliarden US-Dollar gestiegen. Fast vier Fünftel gingen in diese drei Bereiche, die am stärksten für die Entwaldung verantwortlich sind, so der Ökonom.

Neue Flächen für Zucker-, Soja- und Fleischproduktion

Bolivien hat 2022 fast 18.000 Tonnen Fleisch exportiert, zwei Drittel davon nach China; fünf Jahre vorher waren es nicht einmal 3000 Tonnen. Beim Soja tätigen laut Czaplicki acht Konzerne vier Fünftel aller Exporte Boliviens, darunter die US-Konzerne Cargill und Archer Daniels Midland, aber auch die bolivianische Gravetal. Dieses Konsortium ist nach eigenen Angaben der wichtigste Akteur im Sojasektor Boliviens und laut Recherchen der Nachrichtenagentur FIDES im Besitz des früheren Parlamentariers Juan Valdivia von der regierenden „Bewegung zum Sozialismus“ (MAS).

Zwar würden zumeist Siedler vorgeschickt, sagt Melgar, doch auch die großen Agrarbetriebe selbst arbeiteten mit Feuer – allerdings zumeist auf bereits gerodeten Flächen oder Weideland, um eine Aussaat vorzubereiten. Nicht selten gerieten diese Brände dann außer Kontrolle.

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Chiquitano-Gemeinden haben jüngst mit einem Marsch dafür demonstriert, Gesetze zu annullieren, die Waldbrände erleichtern. Eines hat noch die Regierung unter Evo Morales eingeführt, der von 2006 bis 2019 Präsident war: Es hat die Brandrodung auf Parzellen von bis zu 20 Hektar Größe erlaubt – davor durften nur Kleinbauern und Indigene sie anwenden, das traf fast nie Flächen über ein Hektar.

Seit langem wollen Abgeordnete verschiedener Parteien im Parlament zurück zu der vorherigen Regelung, sind aber bisher gescheitert. „In der entscheidenden Sitzung am 10. Oktober waren die sonst zerstrittenen Anhänger von Präsident Luis Arce und von Evo Morales sich plötzlich wieder einig. Sie lehnten es ab, das Thema in die Tagesordnung aufzunehmen. Auch einige Abtrünnige der Opposition“, beklagt Melgar. Eine andere Gesetzesvorlage soll der Agrarreformbehörde untersagen, Landtitel für von Feuer zerstörte Waldflächen zu erteilen. Sie zu nutzen, soll für zehn Jahre untersagt werden. Dagegen protestieren derzeit Evo Morales nahestehende Gruppen mit Straßenblockaden.

Das Gegenteil von Artenschutz

„Wenn ein Wald mit 50-jährigen Bäumen abgebrannt ist, wird er auch in 50 Jahren nicht wieder aussehen wie vor dem Feuer“, mahnt der Tierarzt Richard Rivas. Er war Direktor des im Department Santa Cruz gelegenen Naturparks von Tucabaca, der fast jedes Jahr von Brandstiftern heimgesucht wird. Das zerstört nicht nur Bäume. Ein Biologenteam der staatlichen Universität Beni schätzt die Zahl der im Jahr 2024 im Feuer umgekommenen Tiere auf zehn Millionen. Manche Arten kommen nur in dem betroffenen Gebiet vor und sind bei Großbränden vom Aussterben bedroht. Ohne bessere Gesetze, eine Umkehr in der Agrarpolitik und energisches Vorgehen gegen die Brandstifter, resümiert Erwin Melgar, würden verheerende Waldbrände Bolivien auch künftig heimsuchen.

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erschienen in Ausgabe 6 / 2024: Wo Macht sich kaufen lässt
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