Während Ihres Deutschland-Besuchs hat der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu seinen Verteidigungsminister Yoav Gallant entlassen und Donald Trump wurde zum Präsidenten der USA gewählt. Was bedeutet das für Ihre Menschenrechtsarbeit?
Wir sind keine politische Organisation und auch keine Bürgerinitiative. Wir befassen uns vor allem mit dem Rechtssystem und arbeiten daran, dass in unserem Land Grund- und Bürgerrechte eingehalten werden. Aber natürlich befürchte ich, dass sich die Netanyahu-Regierung jetzt weiter radikalisiert – und dass eine Trump-Regierung dem noch weniger entgegensetzt als bisher die Biden-Regierung. Gleichzeitig überlagern das Trauma der Hamas-Angriffe am 7. Oktober und der darauffolgende Krieg in Israel alles andere. So kann die Regierung nahezu unbemerkt Dinge umsetzen, die noch vor zwei Jahren landesweit Proteste ausgelöst hätten.
Sie meinen vor allem die neuen Befugnisse israelischen Regierung in den besetzten Gebieten, gegen die sich Ihre Organisation mit einer Petition an das Oberste Gericht gewendet hat?
Ja. Diese Änderung der Verwaltungsstruktur im Westjordanland kommt einer Annexion gleich. Sie ist ein zentrales Thema. Die derzeitige Regierung arbeitet offen daran, die israelische Souveränität über das Gebiet C im Westjordanland durchzusetzen, die Siedlungen massiv auszuweiten, Außenposten zu genehmigen und weite Gebiete im Gebiet C zu „Staatsland“ zu erklären. Gleichzeitig werden die Menschenrechte der palästinensischen Bewohner systematisch verletzt.
Haben die neuen zivilen Befugnisse der israelischen Regierung im Westjordanland die Gewalt befördert?
Sie ist seit der Vereidigung der jetzigen Regierung stetig und deutlich eskaliert. Einzelpersonen, die von der Regierung ermutigt und gefördert werden, wirken ganz in deren Sinne daran, die Palästinenser aus dem Gebiet zu vertreiben, die israelische Kontrolle über das besetzte Westjordanland auszuweiten und es zu annektieren. Das Ergebnis sind Zwangsumsiedlungen ganzer Dörfer. Etwa 20 solcher Gemeinden mussten seit Beginn des Krieges ihre Häuser wegen der Gewalt der Siedler und des mangelnden Schutzes durch die Armee verlassen, sie können nicht sicher in ihre Häuser zurückkehren.
Welche Rolle spielt dabei das Militär?
Gewalttätige Siedler können auf den Schutz des Militärs rechnen und auch damit, dass sie nicht strafrechtlich belangt werden, weil die Polizei wegschaut. Hochrangige Minister und Mitglieder der Knesset leugnen sogar die Existenz von Siedlergewalt.
Darüber hinaus wurden seit Beginn des Krieges viele Siedler zum Reservedienst eingezogen, auch bei den im Westjordanland stationierten Streitkräften. Viele von ihnen haben ihre militärischen Befugnisse unrechtmäßig gegen Palästinenser eingesetzt. Es ist auch dokumentiert, dass uniformierte Siedler mit Militärwaffen die Menschenrechte von Palästinensern verletzt haben.
Wie präsent sind diese Entwicklungen in der israelischen Diskussion?
Die Menschen sind durch den 7. Oktober traumatisiert, alle Aufmerksamkeit scheint auf das Geschehen in Gaza und Südlibanon gerichtet. Für die meisten gibt es nur noch „uns“ und „sie“. Menschenrechte für Palästinenser haben im Augenblick keine gute Position.
Welche Rolle spielen dabei die Medien?
Sie berichten wenig über das, was im Westjordanland passiert. Es wird aber auch nicht völlig verschwiegen – wer mehr darüber erfahren möchte, kommt an Informationen, nicht zuletzt über das Internet. Es ist nur so, dass Menschenrechte für Palästinenser vielen Israelis angesichts der existentiellen Bedrohung des jüdischen Staates nicht mehr allzu wichtig scheinen.
In Deutschland hat sich der Bundestag gerade in einer Erklärung zur Bekämpfung des Antisemitismus verpflichtet. Viele sehen darin die Gefahr, dass damit auch Kritik an der israelischen Regierung tabu werden könnte. Sehen Sie das auch so?
ACRI hat zusammen mit 15 weiteren nichtstaatlichen Organisationen in Israel eine Erklärung unterzeichnet, in der wir auf die Gefahr hinweisen, dass durch solch eine Erklärung legitime Kritik am Vorgehen der Netanjahu-Regierung gegen palästinensische Zivilisten als Antisemitismus ausgelegt werden könnte. Dies wiederum könnte sich nachteilig auf die Förderung regierungskritischer Organisationen in Israel auswirken.
Das Gespräch führte Barbara Erbe.
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